Geisteswissenschaften:Die Macht fordert Opfer

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Herfried Münkler lehrt Politische Theorie an der Berliner Humboldt-Universität. Jetzt sprach er in der Carl Friedrich von Siemens Stiftung in München, wo er derzeit Fellow ist. (Foto: Christian Thiel/imago)

Herfried Münkler ist der erste Staatsphilosoph des Landes geworden. In München trug er jetzt vor, wie die Demokratie eine Zukunft haben könnte.

Von Jens-Christian Rabe

Man hat sich daran gewöhnt, dass strenge Politik- und Demokratiekritik in diesen unruhigen Zeiten vor allem von rechts und links kommt - je nach Moment mal romantisch, mal melancholisch, mal alarmistisch oder gleich geradeaus apokalyptisch. Die Mitte hat sich dagegen eher trotzig und zerknirscht verschanzt und hofft, sich schon irgendwie hindurchregieren zu können. In der vornehmen Siemens-Stiftung im mondänen, weitläufigen Schlosspark Nymphenburg, der geografisch immerhin mitten in München liegt und doch noch ungleich ferner erscheint von aller Unbill der Gegenwart, als man das in dieser Stadt ohnehin ist, war es am Dienstagabend aber ganz anders. Man konnte dort nämlich tatsächlich so etwas wie eine ausführliche politisch-philosophische Regierungserklärung erleben, eine wirklich fundierte, skrupulöse Stellungnahme der Macht zu ihrer Lage. Weil sie sich nicht wie üblich um unpopuläre Bekenntnisse drückte, weil sie es sich analytisch nicht einfacher machte, als das derzeit eben möglich ist, weil sie nicht realpolitische Zwänge vorschützte - und weil sie hinterher auch noch ehrlich Rede und Antwort stand. Danach waren zwar nicht alle Fragen beantwortet, aber die Probleme und Widersprüche durften wenigstens offen daliegen. Wie konnte das passieren? Hatte ein führender Politiker eine intellektuelle Sternstunde?

Nein, aber der Berliner Politiktheoretiker Herfried Münkler war da und sprach im Rahmen der laufenden Reihe der Stiftung zur Zukunft der Demokratie. Münkler ist nicht irgendein Berliner Politiktheoretiker, er ist in den vergangenen zehn Jahren nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch als Politikberater zu so etwas wie dem ersten Staatsphilosophen des Landes geworden, der auch an diesem Abend natürlich nicht der Versuchung widerstehen konnte, beiläufig fallen zu lassen, wie er kürzlich mal wieder mit Schäuble zusammengesessen sei und sie auf einem Schmierzettel verschiedene Ideen zur Rettung Europas skizziert hätten. Oder wie er damals Müntefering im kleinen Kreis gesagt habe und so weiter. Münklers Habitus strahlt am Rednerpult die altmodische Lässigkeit dessen aus, der es geschafft hat, allein mit der Kraft des Geistes und der Gelehrsamkeit das Ohr der Mächtigen gewonnen zu haben. Wie er gelegentlich die linke Hand in die Hosentasche führt, ganz kurz nur, wie er immer wieder mit zusammengekniffenen Augen über den Rand seiner Brille lugt, wie er Aussagen mit resoluten kleinen Zuckungen der Hand in der Luft unterstreicht, wie er überhaupt auftritt als Dirigent seiner eigenen Gedankenpartitur.

Aber was sagte er nun Unerhörtes aus der Mitte zur Zukunft der Demokratie? Er schlug historisch einen weiten Bogen von der attischen Demokratie über die gute alte behäbige Beratungsdemokratie bis zur nervösen "Stimmungsdemokratie" in Zeiten der Digitalisierung. Und vollkommen pathosfrei und funktionalistisch konzedierte er, dass die Demokratie keine heilige Kuh unter natürlichem Artenschutz sei. Auch heute müsse sie schlicht beweisen, dass sie für die Menschen etwa im Gegensatz zur Autokratie die bessere Lösung sei. Das jedoch sei nur zu schaffen, wenn man moderne demokratische Politik als eine Art Pendelbewegung denke, was jedoch von Bürgern wie Berufspolitikern Opfer verlange.

Politiker müssten Politik verkleinern, also über direkte Abstimmungen systematisch Macht ans Volk abgeben in lokalen oder regionalen Zusammenhängen. Das Volk wiederum müsse - angesichts der Vergrößerung der Politik, man denke an die Sicherung der Grenzen Europas in Nordafrika - seine notwendige politische Inkompetenz aktiv bekämpfen, auch und gerade, wenn dass mitunter Freizeit koste oder sogar Verdienstausfälle bedeute. Nur so könne der Bürger verstehen und ertragen, dass vieles eben nur von Repräsentanten nach quälend langen Beratungen entschieden werden könne.

Da blitzte er auf, der von den Populisten so verhasste kühle Elitismus der Eliten. Und so einfach wollten ihm diesen sogar die versammelten Professoren in der Siemensstiftung - in der traditionell freundlich, allerdings auch ungewöhnlich hartnäckig diskutiert wird - nicht durchgehen lassen. Aber es ist bei Münkler eben doch auch ein ebenso kühl selbstkritischer Elitismus. Er verschwieg also nicht, wie die Müntefering-Sache ausging. Zu seinen Ungunsten.

Er habe, so Münkler, den SPD-Mann seinerzeit überzeugen wollen, dass die Sozialdemokraten weniger von Gerechtigkeit und mehr vom Gemeinwohl reden müssten, um Wahlen zu gewinnen. Müntefering haben da in seiner berüchtigt direkten Art nur den Kopf geschüttelt: Das gehe nicht. Denn wenn die SPD von Gemeinwohl rede, dächten immer alle sofort, dass sie den Leuten Geld aus der Tasche nehmen wolle.

© SZ vom 22.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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