Gehört, gelesen, zitiert:Der Richter fehlt

In der Schrift "Blick auf die Lage von Europa" beleuchtet ein anonymer Autor im Jahr 1840 die internationalen Mächteverhältnisse. Die Analyse kommt uns vertraut vor.

Weil die ordnende Macht der Vereinten Nationen zu schwach ist, finden wieder Konferenzen zwischen Groß-, Mittel- und Kleinmächten statt, um Krisen zu bewältigen, so wie jetzt am Sonntag in Berlin zur Libyenfrage geschehen. Eine auch heute bedenkenswerte Analyse der internationalen Mächteverhältnisse und des "Nation-building" versuchte im Jahr 1840 die Schrift "Blick auf die Lage von Europa" von einem anonymen deutschen Autor, die gerade im Heidelberger Universitätsverlag Winter neu aufgelegt wurde. Da heißt es:

"Die Staaten sind nur groß geworden durch Vereinigung mehrerer, die oft einen andern Stamm, immer eine andere Geschichte haben, meist durch Gewalt, List, selten durch freien Vertrag. Je complizierter dieser Zustand, je complizierter die Politik durch die Persönlichkeit, Beschaffenheit der Regenten, der Regierungen, durch deren und der Völker Interessen und Sympathien mit Stamm-, Glaubens- und Prinzipien-Verwandten. So müssen mit dem Auslande häufig Konflicte, und da der Richter fehlt, Kriege entstehen. Dauernder Friede ist nur da denkbar, wo ein prädominierender Staat ist, in der Mitte von abhängigen, dazu aber ist Europa doch zu groß, und der kräftigen heterogenen Völker sind zu viele; oder wenn unter diesen einiges Gleichgewicht der Kräfte, mit Befriedigung der Hauptinteressen besteht."

© SZ vom 20.01.2020 / SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: