Gegenwartskunst:Kultur als Spektakel? Nein, danke

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Okwui Enwezor wurde in Deutschland durch seine Documenta 11 im Jahr 2002 bekannt. In diesem Jahr verantwortet er die Venedigbiennale. (Foto: Maximilian Geuter)

Okwui Enwezor, Direktor des Münchner Hauses der Kunst, hat als Kurator viel mit Händlern zu tun. Für gefährlicher als die Kräfte des Marktes hält er aber politische Einflussnahme in Ausstellungen.

Interview von Catrin Lorch

Er war gerade wieder in Venedig - denn während überall schon die Herbst-Ausstellungen eröffnen, ist seine Biennale noch immer nicht vorüber. Okwui Enwezor, Direktor am Münchner Haus der Kunst, der im Nebenberuf an der Lagune die Weltkunstschau kuratierte, ist gut gelaunt, er hat sich in der Vorwoche die neuen Sänger angesehen, die dort im Wechsel ein Werk von Jason Moran einstudieren. Nachdem seine Biennale von der deutschen Kritik in die Mangel genommen wurde, als zu groß, zu zusammenhanglos, gigantomanisch, treffen bessere Nachrichten aus anderen Ländern ein: Seine Pressesprecherin notiert eine zweite, positive Welle von kritischer Reflexion von Journalisten, die aus dem Nahen Osten, aus Nordamerika und Australien stammen; bunte Grafiken auf ihrem Computer zeichnen nach, wie die Welt, nicht die westlich ausgerichtete Kunstszene, die Biennale wahrnimmt.

SZ: Die Szene ist weitergezogen, und Sie sind noch immer an der Lagune?

Okwui Enwezor: Man bleibt verantwortlich für so ein Projekt. Dies ist kein Event, das man eröffnet, um dann wegzulaufen. Ich bin sehr involviert in die Diskussionen, Performances. Und Projekte wie die Erschließung des Werks von Harun Farocki sind beispielsweise noch nicht abgeschlossen. Wir haben ein zweitägiges Symposium veranstaltet und möchten einen Atlas seines Œuvres hinterlassen. Obwohl wir sogar eine Entdeckung verzeichnen können - "White Christmas" galt als verschollen und tauchte jetzt in einem Archiv auf -, sind wir mit der Arbeit noch nicht fertig. Aber auch das Publikum verändert sich: Jetzt kommen nicht mehr nur Europäer und Amerikaner.

Es heißt, die Besucherzahlen seien nicht sehr hoch.

Das ist für mich nicht interessant, ich schaue nicht auf Zahlen. Venedig ist als Stadt eben auch immer eine harte Konkurrenz gewesen für die Ausstellung. Anders als in Kassel beispielsweise, wo die anreisenden Touristen zuverlässig die Documenta besuchen, gibt es in Venedig so viel Ablenkung. Dazu kommt die lange Laufzeit - wir haben sie einen Monat verlängert. Schon deswegen gibt es viele Kooperationen, ein umfangreiches Vermittlungsprogramm für Schulen und Universitäten. Wir sind eben mehr als nur Spektakel.

Genau darauf zielten aber viele Kritiken ab: dass Ihre Ausstellung zu viel zugleich sein wollte. Und dass Sie den Kunstmarkt bedienen - die gesamte Installation von Baselitz beispielsweise wurde aus den Sälen der Arsenale heraus direkt an Sammler wie François Pinault verkauft . Sie haben das mit dem Satz kommentiert, dass man dem Markt heute nicht entkommen könnte.

Der Markt ist da. Aber ich wache nicht morgens auf und mache mir Gedanken über den Markt. Der Markt ist nicht neu - und die Kunst liegt schon so lange mit ihm in einem Bett. Die Strukturen, die wir haben, wären ohne Markt doch nie entstanden. Alle großen amerikanischen Museen, das MoMA, das Getty, die Frick Collection, die wurden doch von Sammlern wie den Rockefellers oder den Carnegies begründet. Und von den Kunsthändlern des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts geformt. Diese Zusammenhänge haben wir schon im Studium gelernt, sie sind erforscht und belegt. Die Zusammenhänge zwischen Sammlern, Händlern, Beratern, Museen sind komplex - und keiner der Bereiche kann ohne den anderen existieren. Aber man muss doch so differenziert sein zu bemerken, dass ich in meiner gesamten Karriere ausschließlich im Non-Profit-Bereich gearbeitet habe. Und es ist an der Zeit, als Kurator auch einmal anzuerkennen, welche Arbeit die Galerien leisten. Ich sehe keinen Widerspruch darin, dass Galerien womöglich Transporte oder Reisekosten übernehmen. Sie haben ja, bevor Kuratoren überhaupt ihre Künstler auswählen, schon Archive unterhalten, Werke gelagert und restauriert, den Kontakt zu Sammlern hergestellt. Ich sehe die Zusammenarbeit als produktiven Austausch. Greift es wirklich die Unabhängigkeit des Museums an, wenn eine Galerie ihm einen Discount einräumt, beim Ankauf? Oder dient das nicht der Öffentlichkeit?

Aber hat der Markt dann nicht doch einen Einfluss, wenn er sich derart nützlich macht?

Meine intellektuelle Unabhängigkeit werde ich doch nicht aufgeben wegen ein paar Vergünstigungen. Und das Einzige, was zählt, das ist, dass ich beispielsweise hier am Haus der Kunst das stärkste Programm zusammenstelle, das möglich ist. Wir zeigen nicht Hanne Darboven, nur weil wir uns das gerade leisten können. Oder weil es für diese Kunst einen Markt gäbe.

Aber um eine Ausstellung wie die Biennale zu realisieren, waren Sie auf die Zusammenarbeit mit Galeristen angewiesen. Für Transport, Versicherung, Aufbau. Kleine Biennalen wie Kiew oder Moskau - oder auch die Skulpturenprojekte in Münster - gehen einen anderen Weg und lassen Künstler vor Ort Werke realisieren, um dem Markt zu entgehen.

Das ist Nonsens. Ich habe Ausstellungen in Südafrika gemacht und an anderen Orten, wo es kein Geld gibt. Niemand investiert dort in Ausstellungen, und deswegen muss man sich weder in Münster noch in Moskau solche Gedanken machen wie in Venedig. Es ist eine alte Strategie der Neunziger, die Künstler mit dem Rucksack zum Arbeiten anreisen zu lassen. Aber ich glaube, das ist nicht aufrichtig. In Moskau zum Beispiel hat man doch ganz andere Probleme. Da gibt es eine unglaubliche Zensur. Die ideologischen Kompromisse, die man in einem so illiberalen Kontext machen muss, sind unvorstellbar. Der Markt ist tatsächlich weniger involviert als viele andere Förderer, die man aber fraglos akzeptiert: Wer hat denn das britische Kunstwunder begründet? Das British Council mit seiner klugen Förderpolitik. Hinter dem Nordic Miracle stehen Sponsoren, die ein Interesse an der Kunst hatten. Das Goethe-Institut ist einer der einflussreichsten Mitspieler überhaupt. Wir überschätzen den Einfluss des Marktes und schauen nicht auf diese Soft Power, die eben zuweilen auch Ideologie im Gepäck hat.

Auf der Biennale wurde der armenische Pavillon mit einem Löwen ausgezeichnet. In Istanbul verteilte die Dilijan Art Initiative Broschüren, in denen sie stolz damit wirbt, dass sie nicht nur diesen Auftritt gefördert habe, sondern auch zwölf Künstler, die im Rahmen der Istanbul Biennale Arbeiten zum Thema des Genozids an den Armenieren produzierten. Meinen Sie solche Projekte?

Das ist genau der Punkt - ich nenne das kuratorisches Crossdressing. Ich lasse mir doch in meine Biennale nicht die armenische Agenda implementieren. Es geht um intellektuelle Integrität, wir müssen das beste Programm machen, nicht das umfangreichste. Es gibt so viele Organisationen, die ihre Anliegen in die öffentliche Diskussion einbringen wollen, viele moralisch gerechtfertigte Anliegen und sehr viel Geld. Ich akzeptiere das, aber ich muss so nicht arbeiten. Für eine große Biennale muss man mit einer Vielzahl von Partnern zusammenarbeiten - vor allem eben auch mit solchen Institutionen. Galeristen und Sammler sind am Ende das geringste Problem.

Aber die Öffentlichkeit ist doch zu Recht an der Frage interessiert, wer alles Einfluss ausübt auf die Programmatik von Museen und Ausstellungshäusern.

Da sollte man sich viel mehr für den Einfluss der Vorstände und Freundeskreise interessieren. Warum zeigt das MoMA in New York private Kollektionen? Wir müssen wachsam sein, wer das Feld kontrolliert, wer die wirklich mächtigen Mitspieler sind. Und als öffentliche Institutionen diskutieren, woher die Mittel kommen. Es ist dramatisch, welche Kürzungen wir in den vergangenen Jahren in den öffentlichen Museen hinnehmen mussten. Aber dennoch bleibt es eine Tatsache, dass man in Deutschland unabhängig von der Politik arbeiten kann. Das ist nicht einmal in Europa selbstverständlich. Als ich hier anfing, fragten mich viele, wie ich denn mit der konservativen Regierung in Bayern zurechtkommen will. Aber weder hier in München noch in Kassel, während der Vorbereitungen zur Documenta, bin ich je von Politikern oder Behörden behelligt worden. Das ist - relativ betrachtet - ein enormer Freiraum. Sogar in Europa ist das nicht selbstverständlich, Frankreich beispielsweise ist voller Zombies, die alle wissen, dass sie als Untote weg sind, wenn die Regierung wechselt - oder wenn man es wagt zu sagen, "Ich bin nicht Charlie". Dieser freie Ort des Denkens ist unschätzbar wertvoll.

© SZ vom 22.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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