Gegenwart im Märchenton:Buttercremeprosa

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Ihr Debüt, der Roman "Blasmusikpop", wurde 2012 ein Bestseller. In "Makarionissi oder Die Insel der Seligen" romantisiert Vea Kaiser ihre griechische Familie und zeigt sich begeistert von der eigenen Virtuosität.

Von Christoph Schröder

Zunächst einmal, vor der Lektüre, alles abschütteln: Die Interviews, die die Österreicherin Vea Kaiser im Zusammenhang mit der Veröffentlichung ihres zweiten Romans gegeben hat; die Sätze über die alten Menschen, allen voran Peter Handke, die besser nicht mehr schreiben sollten; die komplizierten Überlegungen, ob es vorteilhafter wäre, sich für ein Zeitschriftencover auf eine Kuh zu setzen oder besser nur an eine Kuh zu lehnen; kurz: all das Außerliterarische, das Vea Kaiser seit dem Erscheinen ihres Debütromans "Blasmusikpop" 2012 (mehr als 100 000 verkaufte Exemplare) bewusst um sich herum angelagert und das ihr das Image eines Altphilologie studierenden Stadl-Popstars verschafft hat - dieses Begleitrauschen müsste erst einmal ausgeblendet werden.

Das wiederum ist aber gar nicht so einfach, weil auch der zweite, erneut knapp 500 Seiten starke Roman sich von Beginn an in derart ambitionierte Höhen wagt, dass der Absturz nahezu programmiert ist. Man kann das naiv nennen oder auch anmaßend. "Makarionissi" ist nicht in Kapitel gegliedert, sondern in Gesänge. In formaler Anlehnung und mit aufdringlichen, weil allzu expliziten Querverweisen auf antike Heldendramen erzählt Vea Kaiser eine weitverzweigte griechische Familiengeschichte von den Fünfzigerjahren bis in die unmittelbare Gegenwart. Und es gibt selbstverständlich eine echte Heldin: Eleni Stefanidis, geboren in einem Bergdorf an der griechisch-albanischen Grenze. In und an Eleni exerziert Vea Kaiser die Zeitläufte, die historischen Wandlungen und politischen Friktionen: Bürgerkrieg und Militärjunta, Patriarchat und Emanzipationsbewegungen, familiäre Unterordnung gegen nicht zu bremsenden Freiheitsdrang.

Sunt aliquid manes: Vea Kaisers dritter Roman verbindet memento mori und Sozialgeschichte. (Foto: Ingo Pertramer)

Um dem Dorf zu entkommen, heiratet Eleni ihren wackeren, pflichtbewussten Cousin Lefti. Gemeinsam gehen die beiden nach Hildesheim (wo die Autorin Vea Kaiser Kreatives Schreiben studiert hat) und führen eine unfrohe Gastarbeiter-Existenz. Schon hier kommen einem die Stereotypen geradezu schreiend entgegen: Klar, Deutschland ist dumpf, kalt, bevölkert von fantasielosen Neinsagern; ein Land, in dem die temperamentvolle, selbstbewusste und selbstverständlich wunderschöne Griechin (die in ihren Wutanfällen permanent Dinge um sich werfen muss) nicht zurechtkommen kann. Eleni verliebt sich in einen Hippie-Musiker, Lefti in seine Sprachlehrerin; die beiden gehen getrennte und weitverzweigte Wege. Die schwangere Eleni verschlägt es zunächst zurück in ihr Heimatdorf, dann nach Chicago und schließlich auf die Insel Makarionissi, wo sie mit ihrem zweiten und wesentlich älteren Mann ein Hotel eröffnet. Lefti geht ebenfalls in die Gastronomie und führt gemeinsam mit seiner neuen Frau in St. Pölten ein Restaurant.

Es wird gehasst und geliebt, gefoltert und gestritten; viele Kinder werden geboren; Brüder, Schwestern oder Ehemänner sterben; Söhne werden verstoßen; Töchter stürzen sich ins Unglück. Das Schicksal, so die Erkenntnis, lässt sich ebenso wenig bändigen wie Elenis Lockenpracht oder ihr störrisches Wesen, das sie von ihrer Großmutter geerbt hat - von wem auch sonst? Dies alles wird erstaunlich konventionell, nämlich streng chronologisch, aber mit einem Höchstmaß an Souveränität erzählt. Technische Probleme oder Selbstzweifel scheint Vea Kaiser nicht zu kennen. Vielmehr installiert sie eine gottgleiche Erzählinstanz, die in der Lage ist, die Dinge in jedem Augenblick nicht nur genau so zu richten, wie sie geschehen sollen, sondern vor allem so, wie wir sie erwarten, selbst wenn es sich um das eigentlich Unerwartbare handelt.

Das ist ein erzählerischer Kniff, der für gewisse Effekte sorgt, sich aber auch bald abnutzt. Ein Beispiel: Da sitzen Eleni und Spiros, ihr Vater, bei Vollmond auf einer Bank vor dem Haus. Spiros kündigt Eleni eine dramatische Geschichte an. Ein Wolf heult. Aber das genügt nicht: "Als ob der einzige Wolf, der weit entfernt von Varitsi den Winter in den Bergen verbrachte, bereits wüsste, welche Geschichte folgte, heulte er in diesem Moment auf." "Makarionissi" ist nicht zuletzt deshalb ein so umfangreicher Roman, weil vieles von dem, was man bereits ahnt oder weiß, noch einmal ausgesprochen werden muss, und auch vor Sätzen wie "Essen war ein Stück Heimat" oder "Die Schokolade-Nuss-Kreation war die reine Sünde" wird keineswegs zurückgescheut.

"Makarionissi" lässt sich ungeheuer gut und widerstandslos lesen, jederzeit, in jeder Passage. Das ist die eigentliche Tragödie. Denn darüber gerät schnell in Vergessenheit, dass es grundsätzlich harter Stoff ist, den Vea Kaiser sich vorgenommen hat, die großen Themen des 20. Jahrhunderts: Krieg, Heimatlosigkeit, Migration, Identitätsverlust, gespiegelt in individuellen Lebensläufen. Für all das hat Vea Kaiser nur einen einzigen, märchengleichen Tonfall. Die Brüche werden zugekleistert mit Buttercremeprosa, mit einem Gute-Laune-Stil, der vor allem eines ausstrahlt: Begeisterung für die eigene Virtuosität. Man lese als Gegengift zur Überdosis an Gefälligkeit Aris Fioretos' Roman "Der letzte Grieche" (2011), um den Unterschied zu spüren zwischen Durchdrungenem und nur flott Gemachtem.

Vea Kaiser: Makarionissi oder Die Insel der Seligen. Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015. 464 Seiten, 19,99 Euro, E-Book 17,99 Euro.

© SZ vom 05.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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