Gegen Diskriminierung:Jacques Toubon, Verteidiger der Rechte

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(Foto: Martin Bureau/AFP)

Von Andreas Zielcke

Nicht im Traume hätte sich der revolutionäre Frühsozialist Gracchus Babeuf ausmalen können, dass der Untertitel "Le Défenseur des Droits de l'homme", mit dem er 1795 den Anspruch seiner Zeitschrift Le Tribun du peuple pathetisch herausstrich, über 200 Jahre später tatsächlich ein hohes französisches Amt bezeichnen würde. Ausgerechnet Präsident Nicolas Sarkozy, der nicht wirklich durch menschenrechtlichen Einsatz auffiel, schuf 2008 den Posten eines "Défenseur des droits", eines Verteidigers der Rechte. Die Aufgabe und vor allem die Unabhängigkeit dieses einzigartigen Ombudsmannes wurde sogar durch eine Verfassungsklausel ausgestaltet und garantiert. Und ausgerechnet sein Nachfolger, der Sozialist François Hollande, ernannte 2014 gegen alle Kritik vieler Genossen den konservativen Jacques Toubon, einen treuen Anhänger und Ex-Minister Chiracs, zum neuen Inhaber des Amtes. Doch in seinem Fall leitet nicht der Konservative das Amt, sondern das Amt den Konservativen. Gerade jetzt, wo sich trotz der auch in Frankreich explodierenden Antirassismus-Proteste kein Minister durchringen konnte, die massive Benachteiligung Farbiger durch polizeiliche Willkür und Erniedrigung offen beim Namen zu nennen, nimmt Toubon bei aller Sachlichkeit kein Blatt vor den Mund und prangert ihre "systemische Diskriminierung" in den Banlieues an. Er sieht die strukturelle Gewalt, die die Regierung leugnet. Bei einem besonders krassen Fall dieser Tage, in dem Polizisten einen wehrlos am Boden liegenden 16-Jährigen mit ihren Stiefeln mehrfach ins Gesicht traten und schwer verletzten, hat er eine Untersuchung angeordnet - ein derart seltenes Engagement einer hoheitlichen Autorität, dass es der Anwalt des Jungen als "historisch" bezeichnet. Aber genauso resolut leuchtet Toubon in viele andere Praktiken der Diskriminierung hinein, sei es gegenüber Asylbewerbern, gegenüber Frauen, gegenüber Kindern, gegenüber Roma oder gegenüber den von Paris seit je vernachlässigten Bewohnern der französischen Überseegebiete. Die Nation, sagt er, spiegelt sich in den Rechten, die auf dem Papier stehen, und verdrängt die reale Rechtspraxis. "Wir sind ein Land der Gesetzesgläubigen ohne Rechtskultur."

© SZ vom 13.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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