Geburtstag:Helden müssen reifen

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Mit Elastizität und lässigem Elan ins hohe Alter: Der französische Dirigent Georges Prêtre wird neunzig Jahre alt. Noch immer vermag er mit Schwung, Feuer und starkem Willen die großen Orchester der Welt zu inspirieren und anzufeuern.

Von WOLFGANG SCHREIBER

Der Dirigent Leopold Stokowski leistete sich im biblischen Alter von 94 Jahren noch einen neuen Plattenvertrag mit CBS Records, Laufzeit bis zum 100. Geburtstag. Mit 95 starb er, fast bis zuletzt am Pult bei der Arbeit. Die uralten Dirigenten sind ein Phänomen - zu ihnen gehört heute der Franzose Georges Prêtre, der als munterer 86-Jähriger beim legendären Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker mit lässigem Elan die Walzer und Polkas antrieb.

Warum so mancher Orchesterleiter noch im Methusalem-Modus tatkräftig sein kann, darüber ist oft spekuliert worden. Stokowski selbst hatte dazu eine Meinung, wobei er die Dirigenten gern mit Generälen verglich: "Vielleicht liegt es am Vergnügen, anderen seinen Willen aufzuzwingen". Stokowski und Toscanini, Klemperer und Monteux, Karajan und Celibidache, so hießen die alten Alleinherrscher. Aber die Zeit der dirigierenden Autokraten ist abgelaufen - nur, der Faszination von Befehlsgewalt erliegen, wiewohl in abgemilderter Form, noch immer viele Kapellmeister. Die hochbetagt tätigen unter ihnen sind heute Nikolaus Harnoncourt und Bernard Haitink, Herbert Blomstedt, Michael Gielen und eben Georges Prêtre.

Für Dirigenten und Generäle gibt es das Vergnügen, anderen seinen Willen aufzuzwingen

Durchsetzungsfähigkeit ist bei ihnen Lebenserfahrung, erworben in unzähligen Konzertschlachten: Erst jenseits der Achtzig erwerben sich die greisen Dirigenten ihre fast heroische Anmutung, die ihnen eine höhere Künstlerweihepräsenz zu geben scheint. Auch für den 1924 im nordfranzösischen Waziers geborenen, als Trompeter ausgebildeten Prêtre mag gelten: Die von der Öffentlichkeit gespendete Ehrfurcht in Sälen und Medien spielt für den Erhalt der Vitalität durchaus eine Rolle.

Der Dirigent Georges Prêtre beim Proben mit den Wiener Philharmonikern für das Neujahrskonzert 2010. (Foto: dpa)

Bei Georges Prêtre gibt es jedoch eine Besonderheit, die ihn von allen prominenten Alterskollegen unterscheidet: Anders als diese, deren Wirken Tonträger reichlich dokumentieren, kann Prêtre nur relativ wenige Aufnahmen vorweisen. War er zu wenig ein "Stardirigent"? Der Plattenmarkt vertraute ihm hauptsächlich französische Musik an, Ausgewähltes von Berlioz, Ravel, Bizet oder Poulenc - darunter allerdings Schwergewichte wie eine "Carmen" mit Maria Callas und Nicolai Gedda oder die "Traviata" mit Caballé und Bergonzi. In den siebziger Jahren war Prêtre der Vorzugsdirigent der Callas - bei ihren mythischen Gala-Konzerten. Beide Neujahrskonzerte 2008 und 2010 mit den Wiener Philharmonikern gibt es auf CD und DVD.

Wer ihn beim Dirigieren beobachtet, etwa auch aus Kamera-Nähe bei Youtube, kann staunen, mit welcher Elastizität, Gelassenheit, ja Heiterkeit Georges Prêtre seine hohe Kompetenz ausübt. Dass er etwa beim Allegretto aus Beethovens siebenter Symphonie zu den nervösen, eher kniffligen Dirigiergesten am Pult mitsingt, weist auf seine starke innere Beteiligung hin. Natürlichkeit des Atmens und Phrasierens ist bei gemäßigten Tempi die Basis seiner mit Aufmerksamkeit des Hörens jeder Note, Linie und Stimme verbundenen Gestaltung. Der siebte Sinn für Klangfarbe und Tonatmosphäre ist dem Franzosen angeboren.

Die Stationen von Prêtres Karriere sind überschaubar: Nach frühen Engagements an mehreren Musiktheatern Frankreichs dirigiert er seit 1958 erstmals in Chicago, an der New Yorker Met, an Londons Covent Garden Opera und an der Mailänder Scala. Er wird Musikdirektor der Pariser Oper, ist erster Gastdirigent der Wiener Symphoniker, leitet das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart. Die Berliner und die Wiener Philharmoniker verehren ihn mittlerweile. Am Freitag feiert Georges Prêtre seinen 90. Geburtstag.

© SZ vom 14.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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