Gazprom-City I:Erbarmen! Zu spät! Die Russen bauen. (1)

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In Petersburg feiert sich die Energie-Branche: Am 1. Dezember wird dort der Sieger eines Architektur-Wettbewerbs bekanntgegeben, in dem soetwas wie eine "kühne Hochhauskomposition mit beliebigem Abschluss" gefordert wurde.

Gerhard Matzig

Schon einmal hat ein Architektur-Wettbewerb auf russischem Boden Furore gemacht. Das war in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als in Moskau der Palast der Sowjets geplant wurde: in Form einer gigantischen Steintorte, die Schicht um Schicht in den Himmel wächst, um dort von einer 100 Meter hohen Lenin-Statue gekrönt zu werden. Dieser Entwurf, der vom Backblech eines irre gewordenen Zuckerbäckers zu stammen schien, blieb Utopie. Die Bauarbeiten, 1937 begonnen, wurden vom Krieg unterbrochen und im Jahr 1941 eingestellt. In dem Buch "Tyrannei des Schönen" (Prestel Verlag) heißt es: "Es hat etwas Symbolisches, dass die Idee, den Mythos von der lichten kommunistischen Zukunft in der Architektur zu realisieren, in dem Augenblick scheiterte, als sich herausstellte, dass diese lichte Zukunft eine Utopie blieb."

Bis zum Jahr 2010 soll der erste Bauabschnitt von "Gazprom City" am rechten Ufer der Newa in St. Petersburg realisiert werden. Bis zum 1. Dezember 2006 soll entschieden sein, wer der zum Weltkulturerbe gehörenden Altstadt zu Leibe rücken darf. Egal wie: es wird 300 Meter hoch. Von links die Entwürfe von: Jean Nouvel, Herzog & de Meuron sowie Daniel Libeskind. (Foto: Montage: SZ)

Nun meldet sich der Mythos auf architektonisch spektakuläre Weise zurück. Nicht in Moskau, sondern in Sankt Petersburg. Und nicht als Mythos von der lichten kommunistischen Zukunft, sondern als Mythos der russischen Gegenwart und eines Machtanspruchs, der Gazprom heißt. Dieser Energie-Leviathan mit mehr als 330 000 Angestellten besitzt 16 Prozent der Weltreserven an Gas und kauft ständig Energiefirmen hinzu. Die Bedeutung dieses Imperiums soll nun architektonisch und stadträumlich auf plakative Weise inszeniert werden. Voraussichtlich am 1. Dezember wird der Sieger eines Architektur-Wettbewerbs in Petersburg bekanntgegeben, dessen denkwürdiger Ehrgeiz an jenes Sowjetpalast-Projekt erinnert, für das eine "kühne Hochhauskomposition mit einem beliebigen Abschluss" gefordert wurde.

Im Baunetz, einem Online-Dienst für Architekten, wurden soeben die Beiträge von Jean Nouvel (Paris), Herzog & de Meuron (Basel), RMJM (London), Rem Koolhaas (Rotterdam), Daniel Libeskind (New York) und Massimiliano Fuksas (Rom) veröffentlicht. Die Weltelite der Baukunst steht also vor den historischen Toren Petersburgs, um dort inmitten des Unesco-Weltkulturerbes und unmittelbar gegenüber dem Smolnyj-Kloster ein suggestives, gewaltig ausstrahlendes Gebilde zu realisieren, das mit einem 300 Meter hohen Turm von der russischen Dominanz in der Petrodollar-Branche künden soll. Als Bauzeit werden zehn Jahre genannt. 2010 soll der erste Teil stehen.

Dann könnte der Himmel über Sankt Petersburg zum Beispiel von einem gläsern-transparenten Wurzelgeflecht akzentuiert werden, das aus drei sich um eine Zentralachse windenden Strängen besteht und von ferne an das Modell einer DNS-Helix erinnert (Herzog & de Meuron). Oder es wird der Vorschlag von Jean Nouvel realisiert, dessen vier Nadeltürme durch horizontale Bänder wie zum Gitter geformt erscheinen. Daniel Libeskind hat sich dagegen eine plastische Großform ausgedacht. Sollte sich der Konzern in Petersburg für diesen Entwurf entscheiden, wird man sich allerdings fragen müssen, warum ausgerechnet der Buchstabe "H" Gazprom repräsentieren soll. Noch dazu, wenn er aussieht, als habe man ihn aus einer Kekstüte "Russisch Brot" gefischt und ein bisschen angeknabbert.

Diese Energie-Architektur ist ebenso sehenswert wie gespenstisch. Geformt von den bekanntesten Architekten der Gegenwart, wird sich nämlich der hier behauptete Futurismus schon bald seiner eigenen Vergangenheit zuwenden müssen. Das Gazprom-City-Projekt, von dem Jean Nouvel behauptet, es sei so wegweisend wie einst der Bau des Pariser Eiffelturms, ist alles andere als innovativ. Es wirkt, als ob sich eine sterbende Branche auf dem Höhepunkt ihrer Macht schaurigschöne Denkmale setze. Noch mag sich die Welt um die weltweiten Öl- und Gasfelder versammeln, noch mögen sich die Energielieferanten als Riesen fühlen - die Zeit der fossilen Brennstoffe geht dennoch zu Ende. Egal, welcher Bau in Petersburg realisiert wird: Er wird als Dokument des Niedergangs in den Himmel ragen.

© Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.262, Dienstag, den 14. November 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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