Gartenkultur:Schlumpfines Traum

Lesezeit: 1 min

Hämatomie der Sehnsucht: Vorerst scheint das zarte Rosenblau noch mehr eine Ahnung und ein Versprechen zu sein – als eine Farbe. (Foto: American Chemical Society)

Die deutsche Romantik scheiterte daran, aber China macht es möglich: Die blaue Blume ist da.

Von Sonja Zekri

"Ich wandre schon seit lange / Hab lang gehofft, vertraut / Doch ach, noch nirgends hab ich / Die blaue Blum geschaut." Man wagt sich nicht zu weit vor auf dem schwankenden Grund zwischen Wissenschaft und Literatur, wenn man festhält: Die Suche nach einem blauen Fleck in der Schöpfung ist kein Picknick. Joseph von Eichendorffs lyrisches Ich legt hier immerhin drei Strophen und eine nicht näher bestimmte Strecke zurück, aber: nichts. Kein Vergissmeinnicht, nicht mal die kleinste Kornblume, und die muss früher doch sehr viel leichter zu finden gewesen sein - als auf den herbizidgetränkten Schollen dieser Tage.

Novalis' Held Heinrich von Ofterdingen hatte noch Glück gehabt: "Die Blütenblätter zeigten einen blauen ausgebreiteten Kragen, in welchem ein zartes Gesicht schwebte". Nimmt man Eichendorffs Wanderschaft und Novalis' Blütenkragen zusammen, so war die blaue Blume als romantischer Inbegriff eines unerfüllbaren Verlangens, als Gewächs an der Grenze zwischen Mensch und Natur, Traum und Wirklichkeit, literarisch etabliert.

Wir wissen nicht, wie sehr sich die Forscher der Tianjin Universität der Chinesischen Akademie der Wissenschaften bei ihren Studien von den deutschen Romantikern haben antreiben lassen. Immerhin haben sie auf ihrer Wanderschaft nun das Unerreichbare erreicht: Sie haben eine blaue Rose geschaffen, wohlgemerkt, nicht irgendeine Blume, sondern eine Rose, wo doch die blaue Rose im Englischen ein ähnlich aussichtsloses Streben wie bei Eichendorff verkörpert, und ja auch tatsächlich nicht gezüchtet werden kann, sondern nur gefärbt, was dazu geführt hat, dass schlumpffarbene Sträuße mit dem Hinweis auf unerfüllte Liebe die sozialen Medien verstopfen.

Aber nun haben die Wissenschaftler sich letzte Tricks der Gen- und Enzymforschung zunutze gemacht, hier Bakterien injiziert, dort die Umwandlung von Proteinen in das blaue Pigment Indigoidin erreicht. Was heraus kam, ähnelte zwar noch nicht den angestrebten mitternachtsfarbenen Blütenblättern, sondern eher einem Hämatom. Aber es war ein Anfang.

In ein paar Jahren sehen die Forscher ihre Blume bereits auf dem Markt, so die Washington Post säuerlich. Der Planet werde zugrunde gerichtet, der gottgleiche Mensch drehe völlig durch, aber blaue Rosen! Und tatsächlich, die Freude am Erfolg der Chinesen steht nicht ganz im Verhältnis zur Tatsache, dass die nächste blaue Blume vielleicht der blaue Planet sein könnte.

© SZ vom 23.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: