Für kleine Leser:Fressen und Freiheit

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In dieser Geschichte erfüllt die Krähe dem Bären, der ihr das Leben gerettet hat und sie auch mit Essen versorgt, einen langgehegten Wunsch. Mit Hilfe eines Zaubertranks tauschen sie ihre Gestalten und er kann frei sein und fliegen. Und sammelt eine Menge Erfahrungen.

Von Heike Nieder

Die Freundschaft beginnt mit einem Unglück. Bei dem Versuch, einen Knochen aus seinem Gehege zu klauen, stürzt die Krähe in den Pool des Bären. Sie droht zu ertrinken, doch seine Tatze rettet sie. Eigentlich nicht aus Gutmütigkeit, sondern weil er ihr Geschrei nicht länger ertragen kann. Zunächst ist der Bär nicht gut auf den Vogel zu sprechen - seine Sehnsucht nach Freiheit hat ihn mürrisch gemacht. Doch die Krähe bleibt hartnäckig. Auf der Suche nach Futter besucht sie den Bären fast täglich. "Mein Frühstück kriegst du nicht!" Die einzige Freiheit des Bären ist die, über die Bitte zu entscheiden. Aber die Krähe ist klug: Sie kann nicht nur Italienisch und Latein - sie schafft es sogar mit der Zeit, den Bären zu erweichen. Nachdem er ihr tatsächlich einen ganzen Eimer Fleisch überlassen hat, erfüllt sie ihm mithilfe eines Zaubertrankes seinen größten Wunsch: Die beiden tauschen ihre Körper und der Bär verlässt als Vogel das Gehege und fliegt in den Himmel. Doch ist das nun die Freiheit, von der er geträumt hat? Beinahe endet die Geschichte tragisch.

Martin Baltscheits Geschichte einer Freundschaft zwischen einer Krähe und einem Bären ist zugleich ein Schlagabtausch zwischen einem Träumer und einem Realisten. Wer genug zu fressen hat, kann es sich leisten, philosophische Betrachtungen über Freiheit anzustellen oder Wert auf gutes Benehmen zu legen. "Da ist kein Frieden ohne Freiheit!", behauptet der Bär noch in Gefangenschaft. Später muss er erkennen, dass Freiheit auch Krieg bedeuten kann und dass es sich im Kampf ums Überleben keiner leisten kann, höflich zu sein. Hier werden im Kleinen große Themen behandelt - auf so unterhaltsame Weise, dass auch ein Sechsjähriger seinen Spaß hat. Beim Vorlesen sollte das Kind auf jeden Fall mit ins Buch schauen, sonst verpasst es die charakterstarken Illustrationen Wiebke Rauers, die der Krähe und dem Bären ihre Stimmungen einzigartig ins Gesicht zeichnet. Auch die besondere Typografie - fett gedruckte, schräg gestellte Sätze, farblich abgesetzte Dialoge - spricht besonders die Jüngsten an und erleichtert das Verständnis. (ab sechs Jahre)

© SZ vom 21.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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