Fünf Jahre nach dem 11. September:E-Mail an Gott

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Absender unbekannt: Wie das Terrornetzwerk al-Qaida die Anonymität des Internets nutzt, um seine Ideologie zu verbreiten - ein Glossar.

Sonja Zekri

Fünf Jahre nach dem 11.September 2001 füllen die Analysen über al-Qaida Bibliotheken. Nur der Gegenstand rückt in immer weitere Ferne. Die Welt lebt mit einer allgegenwärtigen, nicht endenden Bedrohung, denn der Terror der al-Qaida hat sich verselbstständigt. Neue Zellen sind entstanden, die nach einer eigenen Agenda operieren - in London, auf Bali, in Köln. Und doch bleibt das Netzwerk al-Qaida, die "Basis" oder die "Regel", die schwarze Quelle der Inspiration, und dies vor allem in ihren Schriften. Tausende Internetseiten verbreiten Interviewnotizen und Briefe, Fernsehauftritte, Ermahnungen, Drohungen, Theorien und praktische Handreichungen für den Dschihad - vieles sogar auf Deutsch. Oft sind die Urheber nicht mehr zu ermitteln. Und doch geben einzig die Schriften eine Ahnung von der Strategie der al-Qaida, ihren Zielen - und ihren Grenzen.

Was verbindet Osama bin Laden und Bob Marley? Beide verkaufen sich blendend als T-Shirt-Motive - zumindest in Bahrain. (Foto: Foto: Reuters)

Amerika

Die Geschichte der al-Qaida ist die einer ideologischen Eskalation: Geboren auf den Schlachtfeldern Afghanistans, zielten die Aktionen anfangs auf den Sturz der arabischen Regime, griffen dann aber auf den Westen über. Diesen expansiven Dschihad, den der Koran nicht mehr deckt, rechtfertigt al-Qaida als Selbstverteidigung: Zu lange Zeit, so der Kern der fast paranoiden Ideologie, wurden Muslime erniedrigt und vernichtet. Nun wehren sie sich.

"Seit mehr als sieben Jahren besetzt Amerika das heiligste der muslimischen Gebiete (die arabische Halbinsel), plündert seine Reichtümer, erteilt seinen Regierungen Befehle, demütigt seine Bewohner, versetzt seine Nachbarn in Angst...Trotz der gewaltigen Zerstörungen, die das irakische Volk durch die Koalition der Juden und Kreuzfahrer erlitten hat ..., versuchen die Amerikaner immer noch, diese schrecklichen Massaker zu wiederholen. ..

Die Amerikaner und ihre Verbündeten zu töten, ob Zivilisten oder Soldaten, ist eine Pflicht für jeden Muslim, der es tun kann, in jedem Land, wo er sich befindet, bis die Al-Aksa-Moschee und die große Moschee in Mekka von ihnen befreit sind, bis ihre Armeen alle muslimischen Gebiete verlassen, mit gelähmten Händen, gebrochenen Flügeln, unfähig einen einzige Muslim zu bedrohen, entsprechend seinem Befehl, gelobt sei Er!"

Erklärung der internationalen Islamischen Front für den Heiligen Krieg gegen die Juden und Kreuzfahrer, 23. Februar 1998

11. September

Ohne Kalaschnikow, dafür im Abaja, im respektablen Umhang, präsentierte sich Osama bin Laden am 30. Oktober 2004: ein Politiker am Schreibtisch. Er sprach zum amerikanischen Volk, zwei Tage vor der Präsidentschaftswahl, um zu zeigen, dass George W. Bush den Krieg gegen al-Qaida verloren habe. Bush wurde wiedergewählt.

"Gott ist Zeuge, dass wir niemals daran gedacht hatten, die beiden Türme zu zerstören, wenn wir nicht solche Ungerechtigkeit und Unterdrückung von dem amerikanisch-israelischen Bündnis gegen die Unsrigen in Palästina und im Libanon erlebt hätten... Die Folgen sind, dem allmächtigen Gott sei Dank, höchst positiv, sie übersteigen jede Erwartung. Wir wussten genau, wie die Regierung Bush zu behandeln war, denn sie ähnelt den Regimen in unseren Ländern, die zur Hälfte von Militärs regiert werden und zur anderen Hälfte von Königssöhnen und Präsidenten. Wir kennen sie gut, denn beide Arten zeichnen sich aus durch Hochmut und Arroganz, Gier und Korruption...

Es genügte, dass wir zwei Mudschahedin in den Fernen Osten entsandten, wo sie eine Fahne von al-Qaida erhoben und schon stürmten die Generäle dorthin, was die humanitären, finanziellen und politischen Verluste erhöhte, und sie vollbrachten nichts Nennenswertes außer einigen Profiten für ihre privaten Gesellschaften...al-Qaida hat für die Operation am 11. September 500000 Dollar ausgegeben, während Amerika durch das Ereignis und seine Auswirkungen, vorsichtig geschätzt, 500 Milliarden Dollar verloren hat. Das heißt, jeder Dollar von al-Qaida hat eine Million Dollar vernichtet dank des allmächtigen Gottes."

Osama bin Laden, 30. Oktober 2004

Medien

Osama bin Laden ist ein Popstar in der arabischen Welt, auch andere Anführer von al-Qaida inszenieren sich in Video-clips und im Fernsehen. Der Islam-Forscher Gilles Kepel hat beschrieben, wie eng der Aufstieg der al-Qaida mit dem Siegeszug überregionaler, privater Fernsehsender in der arabischen Welt verbunden ist - zur Verbreitung eines grenzenlosen Schreckens oder dschihadistischer Verheißungen.

"Zu den Szenen, die selbst jene Muslime abstoßen, die euch lieben und unterstützen, gehören die Aufnahmen vom Abschlachten von Geiseln. Lasst euch nicht täuschen vom Lob einiger übereifriger junger Männer, die euch den "Scheich der Schlächter" nennen. Sie drücken nicht die allgemeine Stimmung im Irak aus... Diese allgemeine Stimmung aber steht unter dem Einfluss einer bösartigen, perfiden und betrügerischen Medienkampagne . ..Ich sage euch, dass wir uns in einem Kampf befinden und dass mehr als die Hälfte dieses Kampfes in den Medien stattfindet; dass wir einem Medienkrieg führen um die Herzen und Köpfe unserer Umma (der Gemeinschaft der Muslime)."

Brief Aiman al-Sawahiris an Abu Mussab al-Sarkawi, 9. Juli 2005

Internet

Vieles an al-Qaida wirkt retrospektiv: der idealisierte Ur-Islam, die Beschwörung eines fast zyklischen Ringens mit den Ungläubigen - ihre Medienkompetenz tut es nicht.

"Um das Internet zu benutzen, gehe in ein Internet-Café. Besuche niemals eine Seite, die deine Identität enthüllen könnte. Bevor du das Internet-Café verlässt, lösche alle Beweise. Benutze für deine E-Mails niemals Wörter, die deine ideologischen Verpflichtungen verraten könnten. Schreibe deine Nachricht in Word, konfiguriere sie, schneide sie aus, füge sie ein und schicke sie ab. Dann beende die Verbindung. Während du eine Nachricht schreibst, darf deine E-Mail nie geöffnet sein."

al-Qaida, Januar 2004

Töten

Al-Qaida exportiert terroristisches Know-how. In Manchester fand die Polizei bei einer Hausdurchsuchung auf dem Computer eines Al-Qaida-Mitglieds eine Trainingsanleitung, die das ABC des Terrors von Geheimtinten bis zum effektiven Mord erläutert.

"Töten mit kaltem Stahl.

Bei einem Mord mit dem Messer muss der Feind an einem der folgenden Punkte getroffen werden:

Von vorne: 1) Brustkorb, 2) Eines oder beide Augen, 3) Becken (unter dem Nabel), 4) Über den Genitalien.

Von hinten: 1) Rückseite des Schädel, 2) unter dem Steißbein...

Töten mit einem Seil: 1) Strangulieren (Halsbereich). Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.

Töten durch Gift: Wir beschränken uns auf jene Gifte, die der heilige Krieger zubereiten kann, ohne seine Gesundheit zu gefährden..."

Weltbürgerkrieg

Abu Mussab al-Sarkawi galt als "Statthalter Osama bin Ladens im Irak". Er hatte durch Anschläge auf Schiiten einen Bürgerkrieg entfachen wollen, um den islamistischen Umsturz einzuleiten. Im Juni wurde al-Sarkawi ermordet, dennoch ist der Irak nicht zur Ruhe gekommen.

"Die einzige Lösung ist der unerbittliche Kampf gegen die Häretiker. Man muss ihnen einen Schlag nach dem anderen versetzen, bis sie sich den Sunniten unterwerfen. Man kann mir natürlich entgegenhalten, dass es zu früh wäre, die über die ganze Welt verbreitete muslimisische Gemeinschaft in einen Kampf zu stürzen, auf den sie nicht vorbereitet ist und der erhebliche Verluste fordern wird, aber genau das ist es ja, was wir wollen."

Abu Mussab al-Sarkawi, Januar 2004

Tod von Muslimen

Bei den Anschlägen der al-Qaida im Irak sowie in anderen Ländern sterben auch Muslime, was nicht nur dem Werben um die Gemeinschaft der Gläubigen widerspricht, sondern auch dem Koran. Al-Qaida ist angewiesen auf eine makellose islamische Legitimität: Die Terrorgruppe beansprucht die alleinige Deutungshoheit über den modernen Islam.

"Eine Anzahl von Muslimen zu töten, ist zugegebenermaßen schlimm. Es ist allerdings zulässig, eine so schlimme Tat zu begehen, wenn dadurch noch Schlimmeres verhindert wird, beispielsweise die Aussetzung des Dschihads...Dies würde bedeuten, das Land und die Gläubigen den Ungläubigen auszuliefern."

Abu Mussab al-Sarkawi, 18. Mai 2005

Mobilisierung der Massen

Al-Qaida begreift sich als Avantgarde eines militanten Umsturzes. Um das Kalifat, das muslimische Weltreich, zu errichten, ist allerdings die Erhebung der Massen unabdingbar. Bis heute hat al-Qaida dieses Ziel nicht erreicht.

"Den Massen der Umma unsere Botschaft zu vermitteln und das Medienembargo gegen die Dschihad-Bewegung zu brechen, ist die eigenständige Schlacht, die wir parallel zur militärischen führen müssen. Die Umma zu befreien, die Feinde des Islam anzugreifen und gegen sie den Dschihad zu führen, erfordert eine islamische Macht auf dem Boden eines muslimischen Landes. Wird dieses Ziel nicht erreicht, beschränkt sich unser Tun auf einfache Störmanöver, die ihr Ziel -die Wiederherstellung des Kalifats und den Rückzug der Eindringlinge aus den Ländern des Islam - verfehlen werden."

Aiman al-Sawahiri, 2. Dezember 2001

Auszüge aus: GILLES KEPEL UND JEAN-PIERRE MILELLI: Al-Qaida. Texte des Terrors. Piper Verlag, München, Zürich 2006; BRUCE LAWRENCE: Messages to the world. The statements of Osama bin Laden, Verso-Verlag, London New York, 2005; BRAD K. BERNER: The World According to Al-Qaida, Booksurge, 2005; Al-Qaeda Training Manual, Pavilion Press, Philadelphia, New York 2006.

© SZ vom 02.09.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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