Frech, brav und skurril:Hommage an die Kindheit

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Einfach umwerfend: Ein gut gelaunter Galimat. Abb: Oetinger/ Ute Krause (Foto: N/A)

Ob Galimat oder Sams: Paul Maars Fabelwesen beflügeln die Fantasie und lösen reale Konflikte der jungen Leser.

Von Yvonne Poppek

Der "Sprach-Brockhaus" von 1935 ist eines von zwei Dingen, die Paul Maar von seiner Mutter geblieben sind. Die andere handfeste Erinnerung ist ein Foto. So erzählte es der 1937 geborene Autor kürzlich in einem Interview mit Dein Spiegel. Für Paul Maar ein wertvoller Band also, dieser Brockhaus. "Als Kind habe ich stundenlang darin gelesen", sagte er. Die Erinnerung an die eigene Kindheit und das Vermächtnis der Mutter, die Maar nie kennenlernte, laufen in dem Buch zusammen. Man kann sich gut vorstellen, wie dieses Exemplar den Autor vor einiger Zeit zu seinem Buch "Der Galimat und ich" (Oetinger Verlag) inspiriert hat, spielt es doch für ihn selbst eine so bedeutende Rolle.

Auch im "Galimat" ist das Lexikon wichtig. Der zehnjährige Jim merkt sich mit seinem fotografischen Gedächtnis daraus Eintrag für Eintrag. So präpariert will er einmal in einer Quizshow eine Million Euro gewinnen. Was Jim, der bei seinem Onkel und seiner Tante aufwächst, aber eigentlich umtreibt, ist, dass er gerne erwachsen wäre - für ihn die Lösung, um den Konflikten mit Gleichaltrigen und Lehrern endlich zu entkommen. Und hier kommt der Galimat ins Spiel. Ein kleines Wesen, ähnlich einem Fußball auf zwei Beinen mit beweglichen spitzen Ohren, das sich eines Nachts in Jims Zimmer materialisiert und Jim eine Erwachsenenwerde-Pille verschafft.

Denn so verständnisvoll der Galimat auch ist - er urteilt nicht, da ihm die Kategorien gut und böse fehlen

Paul Maar, der vielfach ausgezeichnete Kinder- und Jugendbuchautor, erzählt den Konflikt des Zehnjährigen, der in der Schule als "Besserwisser" ausgegrenzt wird, leichtfüßig und humorvoll. Er nimmt der Geschichte die Erdenschwere, ohne jedoch das Problem herunterzuspielen. Jim erklärt und öffnet sich dem Galimaten, diesem Wesen, das mit dem Menschlichen nicht vertraut ist. Geschickt hat Maar also den Blick von weit außen auf den kindlichen Konflikt gelenkt, den er in den naiv-witzigen Dialogen erklärt - und zugleich schrumpfen lässt. Denn so verständnisvoll der Galimat auch ist - er urteilt nicht, da ihm die Kategorien gut und böse fehlen. Sein nüchterner, dennoch vorwitziger Blick lässt die Dinge mit einem Mal nicht mehr so bedrohlich erscheinen, vielmehr gewinnt die Kindheit ihre Kraft als Wunderwelt zurück.

Mit dieser Hommage an die Kindheit ist Paul Maar nun auf dem Münchner Literaturfest zu Gast: Am Sonntag, 6. Dezember, liest er aus "Der Galimat und ich". Bereits am Freitag, 4. Dezember, ist er auf dem Bayern 3-Diwan zu erleben. Dort soll es im Autorengespräch um seine neuen Bücher gehen. Und natürlich um ihn selbst, den studierten Maler und Kunstgeschichtler, der einst als Kunstlehrer tätig war und sich dann als freier Autor und Illustrator etablierte.

Um das neue Sams geht es am Samstag, 5. Dezember. Der neue Band in der Sams-Reihe ist wie der "Galimat" 2015 im Oetinger Verlag erschienen. Gerade auf dieses Ereignis scheinen sich seine Münchner Leser besonders zu freuen, diese Veranstaltung im Gasteig ist jedenfalls schon seit einiger Zeit ausverkauft.

Paul Maars Schatzi-Schmatzi- Schnucki-Sams ist leicht als Abziehbild elterlicher Träume zu entlarven

Das kommt nicht von ungefähr, ist Paul Maar doch mit der Figur des "Sams" berühmt geworden, jenem frechen, kindlichen Wesen mit roten Haaren, einer Nase geformt wie eine Steckdose und ausgestattet mit einem unerschöpflichen Reimpotenzial, das seinem von ihm gewählten Vater, dem braven Herrn Taschenbier, das Leben durchaus aufregend macht.

In "Ein Sams zu viel" ist Herr Taschenbier noch ganz jung und wohnt zur Untermiete bei der strengen und peniblen Frau Rotkohl, die naturgemäß ihre liebe Mühe mit dem Sams hat. Insbesondere, wenn er ihr die Würstchen stiehlt und dann noch vollmundig reimt: "Leider war in zwei Sekunden/das halbe Würstchen wegverschwunden./Doch zu Rotkohls großem Glück/blieb diese Hälfte noch zurück." Als Frau Rotkohl die Contenance verliert, wird sogar Herr Taschenbier wütend und wünscht Frau Rotkohl einen Sams auf den Hals. Dumm nur, dass es funktioniert und dass dieses Sams brav ist. Gruselig brav. Und ein eifersüchtig betrachteter Konkurrent für Taschenbiers Sams, der sich über den "Schleimer", den "Schatzi-Schmatzi-Schnucki-Sams" empört, sich von seinem Wahl-Vater zurückgesetzt fühlt und versucht, das andere Sams los zu werden.

Paul Maars Schatzi-Schmatzi-Schnucki-Sams ist leicht als Abziehbild elterlicher Träume zu entlarven. Und es ist durchaus beruhigend, dass die Erfüllung dieser Träume entsetzlich langweilig ist. Wenn man an seine eigene Kindheit zurückdenkt, so wird einem vermutlich bewusst, warum die Sympathien für den frechen Taschenbier-Sams groß sind. Und was für eine fantastische Spielwiese diese Kindheit ist. Mit "Der Galimat und ich" und "Ein Sams zu viel" feiert Maar diesen Bolzplatz der Heranwachsenden und gibt seinen kleinen Lesern ordentlich Selbstbewusstsein, sich darin auszuprobieren. Und sich für immer daran zu erinnern.

"Ein Sams zu viel", Paul Maar, Samstag, 5. Dezember, 15 Uhr, im Gasteig. "Der Galimat und ich", Paul Maar, Sonntag, 6. Dezember, 11 Uhr im Gasteig.

© SZ vom 12.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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