Französische Literatur:Moby Dünn

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Zu stoffverliebt: François Gardes essayistisch-poetische Tierkunde "Das Lachen der Wale".

Von Thorsten Glotzmann

Der Wal zählt allein deshalb zu den faszinierendsten Wesen des Meeres, weil er mit unserer Neugier auf geradezu erotische Art und Weise zu spielen scheint, indem er sich unseren Blicken offenbart und zugleich entzieht. Immer ist da ein Teil von ihm, den er für sich behält, ein Geheimnis wie etwa sein Gesang, der uns berührt, obgleich wir ihn nicht verstehen.

"Je nach Laune, lässt er seinen Rücken sehen, seinen Schwanz, manchmal den Schatten eines Walkalbs", schreibt François Garde. Auch wenn es nichts wirklich Spektakuläres zu sehen gebe, teilten die ihn beobachtenden Menschen eine "konfuse Ergriffenheit". Auch der Franzose Garde, der für seinen Vorgänger-Roman "Was mit dem weißen Wilden geschah" (2012) mit dem Prix Goncourt für das beste Debüt ausgezeichnet worden ist, zählt zu den Bewunderern des Wals. Daran lässt "Das Lachen der Wale" keinen Zweifel - ein Buch, das weder ein Roman noch ein Reisebericht ist, auch wenn der Untertitel eine "ozeanische Reise" verspricht.

Viel eher ist es eine essayistisch-poetische Annäherung, ein Sammelsurium angelesener Geschichten und erlebter Episoden - wie jener von 1988, die erklärt, weshalb sich der Autor dem Wal auf besondere Weise verbunden fühlt: Garde, der als hoher Regierungsbeamter in verschiedenen Überseegebieten Frankreichs tätig war, stand auf der Insel Martinique vor der Aufgabe, einen angeschwemmten Walkadaver zu beseitigen. Da das zehn Tonnen schwere Tier nicht einmal mit Traktoren abtransportiert werden konnte, ließ er es in die Luft sprengen. Garde hatte seine Pflicht als Unterpräfekt erfüllt und wurde doch das Schuldgefühl nicht los, die Würde des Leichnams verletzt zu haben.

So nähert sich François Garde dem Wal über Umwege an und folgt den Spuren, die der Meeressäuger in der westlichen Kultur hinterlassen hat: Museumsstücke, Straßenschilder, Ortsnamen und Sternbilder, die das Tier im Namen tragen. Eines der drei großen Kapitel seines Buches widmet er der Jagd, den Harpunen und Bajonetten. Und immer wieder kommt er auf die biblische Geschichte des Propheten Jona zurück, der auf Gottes Geheiß im Bauch eines "großen Fisches" weilt und verwandelt daraus hervorgeht. Ebenso wenig lässt er Herman Melville aus. Ihm widmet Garde einen unterhaltsamen Brief, in dem ein Verleger begründet, weshalb der Roman "Moby Dick" für eine Veröffentlichung nicht in Frage komme. "Ich will gern Ihre Gelehrsamkeit loben und würdige die Zeit, die Sie in Lesesälen zugebracht haben", schreibt er. "Aber hat diese Anhäufung einen Sinn? (. . .) Wohin gehen wir?"

Das ist eine Frage, die sich auch François Garde gefallen lassen muss, denn er scheint selbst nicht recht zu wissen, wohin er mit seinem Buch will. So sehr er den Leser mit stilistischer Könnerschaft für sich einnimmt - was übrigens auch der tadellosen Übersetzung zu verdanken ist - Garde lässt sich allzu bereitwillig treiben, mal hierhin, mal dorthin. Aber gerade darin gleicht sein Buch natürlich dem Wal, der sich eben nie ganz, sondern immer nur in Teilen zeigt.

© SZ vom 14.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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