Frankreichwahl:Wäscheklammer

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(Foto: Waldmüller/imago)

Hört man vielen französischen Intellektuellen zu, so möchte man ein Utensil hervorkramen, das bei der Wahl 2002 zum Einsatz kam.

Von JOSEPH HANIMANN

Für den Grundakt in der Demokratie sind wenige Dinge nötig, ein Stimmzettel, eine Wahlurne und vier Wände drum herum genügen. In Frankreich wurde aber vor fünfzehn Jahren für manche ein zusätzliches Utensil notwendig: die Wäscheklammer. Als 2002 in der Endrunde der Präsidentschaftswahlen Le Pen, der Vater, gegen Chirac antrat, steckten einige linke Intellektuelle im Geiste sich dieses eher für die Wäscheleine bestimmte Ding auf die Nase bei der Stimmabgabe für Chirac. Das erübrigt sich heute, denn zwischen Macron und Le Pen, der Tochter, wollen etliche nicht mehr entscheiden. Er bleibe der Wahl "mit Freuden" fern, erklärt der Demograf Emmanuel Todd, denn entscheidend sei für ihn an diesem Sonntag das Profil Frankreichs, das sich aus den Nichtwählern ergebe. Auch der Essayist Michel Onfray verweigert sich der Wahl mit der Begründung, Le Pen sei das Produkt genau jener Politik, die Macron verkörpere. Der Publizist Régis Debray bedauert ein Dilemma zwischen Wirtschaftsliberalismus und Nationaltribalismus, tröstet sich aber mit dem Gedanken, auch im Fall eines Siegs des Letzteren würde sein Land schon nicht untergehen. Die Philosophen Jacques Rancière oder Alain Badiou wiederum halten den Urnengang als solchen für ein bloßes Täuschungsmanöver zur Verhinderung einer wahren Demokratie. Das alles klingt seltsam angesichts der Alternative, vor der Frankreich steht, und manche befürchten, bei diesen Intellektuellen sei die Wäscheklammer von der Nase in die Gehirnwindungen verrutscht. Er werde "ohne Freude" für Macron stimmen, gesteht der Philosoph Alain Finkielkraut, denn ein Sieg Le Pens würde das Land zugrunde richten, doch erscheine ihm auch die im Liberalismus verflüssigte Gesellschaft Macron'scher Prägung wenig verlockend. Andere wie der Buch- und Dokumentarfilmautor Raphaël Glucksmann oder der Journalist Edwy Plenel argumentieren politisch klarer und verkünden, sie würden für Macron stimmen, dessen Politik aber gleich nach der Wahl bekämpfen. Bei so viel rhetorischem Wind ist man versucht, reflexhaft zu oben besagter Klammer zu greifen und politisch festzumachen, was noch festzumachen ist, bevor die Stimmzettel samt Wahlurnen und demokratischen Gepflogenheiten ins Ungewisse davonflattern.

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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