Frankreichs Intellektuelle zur Syrien-Debatte:Ein Häuflein Unentschlossener

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Kosovo, Afghanistan, Irak: Laut haben Frankreichs intellektuelle Wortführer die Trommel des Militäreinsatzes gerührt. In der Syrien-Debatte kommt die Diskussion nur schwer in Gang - das schlichte Modell von Schlächter und Opfer will nicht recht passen. Das führt zu einem ungewöhnlichen Rollentausch.

Von Joseph Hanimann

So mühevoll ist die Argumentschleuder von Frankreichs intellektuellen Wortführern noch nie in Gang gekommen wie diesmal im Fall Syrien. Wo in Kosovo, Afghanistan, im Irak laut die Trommel des Militäreinsatzes gerührt wurde und beim Eingreifen in Libyen vor zwei Jahren Bernard-Henri Lévy neben dem Präsidenten Sarkozy gleichsam mit am Schalthebel saß, herrschte in der Frage Syriens bis heute Schweigen - nicht zuletzt, weil das schlichte Modell von Schlächter und Opfer nicht richtig passen wollte auf Regime und Rebellen.

Nun, als Präsident Hollande gegen die öffentliche Meinung ganz allein auszog mit seiner seltsamen "Bestrafungs"-Rhetorik, klären sich allmählich die Positionen. Und heraus kommt ein einziges gewundenes Rufen nach Vorsicht, Abwarten, internationalen Rechtsnormen, mit seltsam vertauschten Fronten.

Vielleicht habe US-Präsident Barack Obama gar nicht so unrecht, für den Schlag gegen das Regime in Damaskus die Zustimmung des amerikanischen Kongresses abzuwarten, schreibt Bernard-Henri Lévy: Denn dadurch bekomme die über die UN nicht konsensfähige Operation zumindest ihre größtmögliche demokratische Legitimierung. Selbst André Glucksmann, der stets entschiedene Verfechter des Eingreifens gegen Gewaltherrscher, scheint vom Zögern befallen zu sein. Warum jetzt handeln, nach zwei Jahren Krieg und hunderttausend Toten?

Zwar spricht er sich für eine Strafaktion gegen Assad aus, dessen Kampf um den Machterhalt nur noch von der Obsession der größtmöglichen Zerstörung rund um sich her geleitet werde. Zugleich sieht Glucksmann im Zaudern Obamas aber die Tücken einer Zeitenwende: Zwar könne nie mehr eine Nation, und sei es die stärkste der Welt, allein die Geschicke der Menschheit in die Hand nehmen, nur sei leider Europa "unter Führung Deutschlands" gerade dabei, die Bühne der Weltpolitik zu verlassen, mit dem festen Vorsatz, ein Kontinent der lähmenden Vorbildlichkeit, der Anständigkeit und tadellosen Bescheidenheit zu werden.

Parallele zur französischen Haltung im Spanischen Bürgerkrieg 1936

Ein anderer Intellektueller hingegen, Rony Brauman, der Mitbegründer der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, der sich vor zwei Jahren noch gegen den Militäreinsatz in Libyen engagierte, plädiert nun für ein Eingreifen in Syrien mit der Begründung, mit dem Giftgaseinsatz gegen die Bevölkerung sei eine "symbolische Schwelle" der Gewalt überschritten worden, die nicht reaktionslos bleiben könne.

Ähnlich sieht das der Soziologe Edgar Morin.

Braumann zieht, wie auch andere Autoren, eine Parallele zur französischen Haltung gegenüber dem Spanischen Bürgerkrieg von 1936. Der Verzicht auf eine Intervention sei eine "gefährliche Wette des Passivbleibens" wie damals, als Frankreich den um Hilfe rufenden Partisanen der Republik seine Hilfe verweigerte.

Für nicht weniger gefährlich hält Morin aber die Wette des militärischen Aktivwerdens, denn das erhöhe die Wahrscheinlichkeit der auf Gewalt antwortenden Gegengewalt. Den einzigen Ausweg aus dem Dilemma sieht der Soziologe darin, langfristig Druck auszuüben im Sinn einer politischen Lösung. So unerträglich es vielen vorkommen möge, Baschar al-Assad weiterhin an der Macht zu sehen, schreibt Morin, die demokratische Rechtsnormalität brauche manchmal Zeit - so sei in Chile der Mörder Augusto Pinochet zwei Jahre lang als Staatschef und dann nochmals sechs Jahre als Armeechef an der Macht geblieben, bevor er schließlich gerichtlich verfolgt wurde.

In der Syrien-Diskussion vollzieht sich in Frankreich ein Rollenwechsel

Mehrere namhafte Persönlichkeiten der französischen Öffentlichkeit raten aber von einem Militärschlag in Syrien ab. Man könne nicht auf der einen Seite durch UN und Sicherheitsrat internationale Rechtsnormen schaffen und auf der anderen als starke Militärmacht im Namen einer höheren Legitimität sich über diese Normen hinwegsetzen, sobald sie den eigenen Vorstellungen nicht mehr entsprechen, schreibt der Historiker und Schriftsteller Tzvetan Todorov.

Im Zusammenhang mit der Diskussion über Syrien vollzieht sich in Frankreich gerade ein Rollenwechsel. In früheren Konflikten folgten auf die Verallgemeinerungen der oben genannten Universal-Intellektuellen der Fernsehstudios die Mahnungen der Experten und Spezialisten - der "intellectuels spécifiques", laut Foucaults Bezeichnung - nach Vorsicht und mehr Differenzierung. Das hat sich heute verkehrt, wie die Zeitung Le Monde verwundert feststellt.

Die Forderung, dem Regime Assads so schnell wie möglich ein Ende zu setzen, bevor es zu spät sei und sein Land endgültig im Chaos versinke, kommt vorwiegend von ausgewiesenen Syrien-Kennern, gegenüber denen die Medienintellektuellen beinah wie ein Häuflein Unentschlosser wirken. In der schwer durchschaubaren Schar der syrischen Rebellen haben sie zum ersten Mal einen Akteur vor sich, der nicht mehr ins klare Bild von Recht und Verbrechen, Täter und Opfer passt.

© SZ vom 09.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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