Frankreich: Wein und Terror:Die Al-Qaida-Winzer

Lesezeit: 7 min

Terrorvideos, verfaulte Reben, Rotwein in Dosen: In Südfrankreich kann man die Krise des Weinbaus in Zeiten der Globalisierung beobachten.

Alex Rühle

Ah, die Franzosen, herrlich. Dieses Pathos! Noch das albernste Gerede wohnt hier Tür an Tür mit dem großen Ganzen. Auf der Autobahnraststätte zwischen Narbonne und Carcassonne sagt ein Mann, während er eine kleine Plastikweinflasche aufschraubt, zu seiner Frau: "Wir brauchen eine Philosophie der Verpackung!" Sarkozy tönt kurz darauf im Radio, die Agrarpolitik müsse "das ganz und gar Andere wagen".

Man sollte Wein wieder in der Schulspeisung einführen, finden manche französischen Bauern. (Foto: Foto: dpa)

Und in Montserét, einem Weiler hinter der Autobahnausfahrt, auf dem kastanienbestandenen Dorfplatz, kommen zwei alte Bauern des Weges. Ein Scheißjahr sei das gewesen, kaum Ertrag, viel zu extreme Temperaturen. "C'est la vie," sagt der eine, "mais non", knurrt der andere, "c'est plutôt la mort!" Beide lachen. So ist das Leben. Nein, so ist eher der Tod. Es riecht vergoren, in den Fässern des Kooperativegebäudes arbeitet der Wein.

Die zwei Alten erzählen von "Mondovino", dem Dokumentarfilm über die Globalisierung des Weines, einem Film, der in der Gegend Kultstatus genießt, und in dem der knorrige Winzer Aimé Guibert einmal deklariert: "Für einen großen Wein braucht es Liebe und Demut, Verbundenheit mit dem Spirituellen und mit dem Boden und dem Wetter. Für einen großen Wein braucht es einen Dichter!"

Aragon. Nicht der Dichter. Nur das Dorf. Aragon liegt 20 Kilometer nördlich von Carcassonne. Es duftet nach Erde, Thymian und Herbstfeuern. In der Ferne sieht man die Gipfel der Pyrenäen, der Himmel sieht aus wie gewienert, zwischen den Kalksteinplateaus, in den windstillen Senken, hängen noch Spätsommerreste, weiche Luft, besoffene Hummeln torkeln brummend durch die flammroten Weinstöcke: So schön können die Kulissen einer Krise aussehen.

Hier herrscht Krieg!

"Krise?" sagt Michel Sendra mit spöttisch aggressivem Unterton. "C'est pas la crise, c'est la guerre." Tatsächlich? Ein Krieg? Zwischen wem denn? "Zwischen denen, die widerstehen und denen, die kollaborieren!" Den Satz sagt der junge Winzer an dem Nachmittag viermal. Die Resistance und die Kollaboration - es gibt kaum aufgeladenere Worte im Französischen. Und wer sind dann die Nazis?

Das Languedoc-Roussillon, die Gegend zwischen Nîmes, Montpellier, Perpignan und den Pyrenäen, ist das größte zusammenhängende Rebengebiet der Welt. Ein Drittel des französischen Weines wächst hier. Viele Jahrzehnte versorgte die Gegend ganz Frankreich mit billigem Tischwein. Der aber hat einerseits scharfe Konkurrenz aus den USA, aus Australien, aus Chile bekommen.

Außerdem trinken die Franzosen nur noch halb so viel Wein wie vor 40 Jahren - und wenn schon dann lieber gute AOC-Weine. Die französischen Bauern blieben im vergangenen Jahr auf einer Überproduktion von 350 000 Hektolitern sitzen. Ein Großteil davon wurde mit Hilfe von EU-Geldern zu Industriealkohol destilliert. Acht Prozent der Anbaufläche wurden gerodet. Die Zeitungen zeichnen kein rosiges Bild von der Lage.

Schon wieder eine Analogie

"Das hier ist ein geologisches Aquarell", sagt Michel Sendra. Der krümelige Boden, auf dem er steht, ist braungrau, hundert Meter weiter strahlt weißer Kalk. Unten an der Straße glänzt fettig schwarze Erde, auf der anderen Straßenseite, hügelaufwärts, leuchtet rotbrauner Fels. Die Gegend sei schon von ihrer geologischen Beschaffenheit her geeignet zum Widerstand, sagt Sendra. "Die Händler, der Markt, die Politiker, die wollen uns alle standardisieren, sie wollen, dass alles in die Hände einiger weniger Großproduzenten fällt. Aber das wird nicht funktionieren, das Terrain hier ist zu kleinteilig."

Irgendeiner der Languedocschen Felsen musste im Frühsommer als Kulisse herhalten für ein skurriles Video: Es wurde landesweit in den Nachrichten ausgestrahlt, maskierte Männer, nachts, Gewehre in der Hand, im Hintergrund die Steinwand. Die Bildsprache des Videos erinnert eher an al Qaida oder palästinensische Selbstmordattentäter als an französische Winzer. Die Männer drohten, wenn sich Sarkozy nicht sofort um die Belange der Weinbauern kümmere, trage er die "volle Verantwortung für all unsere Aktionen".

Nach Tiraden über die Mafia aus Händlern und Großvertrieb, der es nur darum gehe, "die Weinkultur ausbluten zu lassen", und der Forderung nach Subventionen endete der Sprecher mit dem Satz: "Nehmt euch in acht, die Winzer werden schon bald aus dem Maquis hervorkommen und zur Tat schreiten." Maquis, schon wieder so eine Analogie zur Nazizeit: Zum einen bezeichnet das Wort den mediterranen Buschwald, zum anderen wurden so die Partisanen der französischen Resistance bezeichnet.

Auf der nächsten Seite löschen zwei Schiffe aus Argentinien im Hafen von Sète zwei Millionen Liter Rotwein.

Das Video haben Mitglieder des Comité Regional d'Action Viticole (CRAV) gemacht, einer Art Untergrundbewegung verarmter Winzer aus dem Languedoc. Michel Sendra sieht nicht verarmt aus. Er ist in der Kooperative von Aragon engagiert und Mitglied in der Gewerkschaft der jungen Bauern. Aber er macht kein Hehl daraus, dass für ihn das CRAV der Robin-Hood-Verein der französischen Weinbauern sei. Die CRAV-Aktivisten haben in den vergangenen Jahren verschiedene Anschläge verübt, spanische Weinlaster umgestürzt, Sprengsätze vor regionalen Behörden hochgehen lasen, Supermärkte von Händlern vandalisiert, die in ihren Augen für die Dumpingpreise zuständig sind.

Was die Bauern so vom Stapel lassen

"Richtig so", sagt Sendra. Er zeigt in die blaue Ferne, dahin, wo das Mittelmeer liegt. "Während wir zwei hier reden, löschen zwei Schiffe aus Argentinien im Hafen von Sète zwei Millionen Liter Rotwein. Was soll das?" Hm, was soll man sagen, das klingt nach Globalisierungsalltag. Genau, sagt Sendra, die Globalisierung, die Händler, dieser Wahnsinn, dass Produkte rund um den Erdball verschoben werden.

Ironischerweise verdankt das Languedoc seine Weinkultur zu großen Teilen der Tatsache, dass Produkte schon seit geraumer Zeit rund um den Erdball verschoben werden: Im 19. Jahrhundert führten hiesige Winzer nach einer Meltaukrise eine widerstandfähige amerikanische Rebe ein. Als dann die Reblaus aus den USA nach Europa eingeschleppt wurde, waren sie fein raus: Während im Bordelais und in Burgund ganze Ernten vernichtet wurden, konnte die Reblaus den hiesigen Pflanzen kaum etwas anhaben.

Ungefähr zur selben Zeit, 1857, wurde die Eisenbahntrasse von Sète nach Paris eröffnet: Das Languedoc wurde zur monokulturellen Weinregion und belieferte von da an das ganze Land mit billigem Wein, dem "pinard". Aus dieser Zeit noch führt das kleine Städtchen Beziers den heute grotesk anmutenden Namen Welthauptstadt des Weines.

Eric Le Ho ist Biowinzer, ein feiner stiller Mann, der zusammen mit seiner Frau hinter dem kleinen Kloster von Gaussan ein paar Hektar bewirtschaftet und in seiner Domaine de l'Arbousier aufsehenerregend gute Bioweine produziert. Nebenher berät er an der Chambre d'Agriculture Weinbauern. Er sagt, er könne es oft nicht fassen, was die Bauern so vom Stapel lassen, wenn sie mit ihren finanziellen Sorgen zu ihm kommen: Brüssel solle den ganzen Überschuss kaufen. Sarkozy solle noch mehr Subventionen locker machen.

Ehrwürdige Nachfolger der Rebellen von 1907

Man solle Wein wieder in der Schulspeisung einführen, schließlich seien die Bauern früher auch mit Wein großgeworden, außerdem könne man so flächendeckend zukünftige Konsumenten heranzüchten. Einer sagte, im Krankenhaus habe man ihm in den fünfziger Jahren täglich Wein als Medizin verabreicht, wie könne es da sein, dass die Regierung jetzt Werbekampagnen gegen Weinkonsum finanziere. Le Ho sagt, es sei oft geradezu schmerzhaft zu sehen, wie diese Winzer, die merken, dass ihr Billigwein keine Chance mehr hat, sich in der Vergangenheit verstecken wollen.

Dabei sind die großen Zeiten der billigen Languedoc-Weine eigentlich schon seit genau hundert Jahren vorbei: 1907 kam es in der Gegend zu bürgerkriegsähnlichen Aufständen. Immer stärker war zu der Zeit die Konkurrenz algerischer Billigweine geworden, gleichzeitig hatten Weinbauern aus anderen Gegenden damit angefangen, gesüßten Billigwein auf den Markt zu werfen.

Die Region verarmte, es kam zu Aufständen, im Frühsommer 1907 demonstrierten 800 000 Menschen in Montpellier, Clemenceau befürchtete, dass sich das Languedoc-Roussillon von Frankreich abspaltet, und schickte Truppen, es gab sechs Tote. Die Rebellen des CRAV bezogen sich in ihrem Drohvideo auf diese Ereignisse, als sie die Winzer dazu aufriefen, sich als "ehrwürdige Nachfolger der Rebellen von 1907" zu erweisen, "damals als Menschen dafür starben, dass zukünftige Generationen von den Früchten ihres Landes leben können."

Auf der nächsten Seite sind jungen Leuten 2700 Jahre Weinkultur komplett egal.

Michel Sendra sagt, die momentane Situation gleiche der von 1907. Die Krise dauere jetzt vier Jahre an, die Einkommen seien um die Hälfte zurückgegangen, zwei Bauern hätten sich im Frühjahr das Leben genommen. Die Gewerkschafter würden sich längst nicht mehr trauen, zu Streiks aufzurufen, weil sie genau wissen, dass es das nächste Mal Tote geben würde.

Stattdessen Drohvideos machen

"Krise?", fragt Jean-Noël Bousquét und die Gläser auf seinem Schreibtisch fangen an zu zittern. "Wo denn? Ich sehe keine Krise." Bousquét hat eine Stimme wie der Boden rund um Lezignan, schwer, dunkel, windgegerbt und rauh. Er sitzt in seinem Lager, auf seinem Weingut Chateau Grand Moulin, überall stehen Paletten, eine Großbestellung nach Kanada muss raus. Bousquét war bis 1987 Kooperativenwinzer, dann hatte er genug davon.

"Die erinnern mich an Kommunisten in den Siebzigern. ,Markt? Geht mich doch nichts an.' Die sitzen auf ihrem Traktor, philosophieren von früh bis spät und fahren abends verfaulte Reben in die Kooperative." Er habe 2005 einen CRAV-Sprecher gehört, wie er sich auf einer Demonstration aufgeregt habe, dass vier Monate kein Kunde in seiner Kooperative vorbeigekommen sei. "Wenn hier im Chateau vier Tage keiner vorbeikommt, überlege ich mir, was ich falsch mache. Die machen stattdessen Drohvideos."

Bousquét ist repräsentativ für den enormen Aufschwung, den der Weinbau im Languedoc gleichzeitig mit dem Niedergang der Kooperativen gemacht hat: Weinexperten sprechen von einer "Revolution" im Midi und überbieten einander in euphorischen Berichten über Winzer, die umgesattelt haben auf die alten südeuropäischen Reben und so großartige biologische Weine produzieren wie Eric Le Ho oder herbe Verschnitte wagen.

Das hat in Japan eingeschlagen!

Das Telefon klingelt, Bousquét muss eine Flugreservierung nach Québec klären. Dann sagt er: "Die Globalisierung hat aus dem Wein ein industriell gefertigtes Produkt gemacht. Punkt. Nur hier in Frankreich redet man noch immer davon wie von heiligem Weihwasser. Dabei scheißen sich die jungen Leute doch was. Denen ist das Gerede von 2700 Jahren Weinkultur komplett egal."

Bousquét fliegt alle zwei Monate nach Kanada und in die USA. Was er den Leuten vom CRAV sagen würde, wenn er ihr Chef wäre? "Klappe halten, ab in den Weinberg, schlechte Pflanzen rausreißen, neu pflanzen, Flugticket kaufen, Kunden suchen. Und schauen, was die Jugend macht."

Was die Jugend macht, weiß keiner so gut wie Jacques Gravegeal. Gravegeal ist Präsident des Syndicat des Producteurs de Vin de Pays d'Oc und Président d'InterOc, ein wirklich hohes Tier. Er sitzt in seinem Büro in einem Vorort von Montpellier, lässt seine Zunge aus dem Mund hängen wie ein Stück Dörrfleisch, haut mehrfach mit dem Zeigefinger darauf und sagt: "Man muss die jungen Leute da abholen, wo ihr Gaumen ist."

Vor ihm, auf dem Konferenztisch, stehen verschiedene Tetrapakmodelle, Wein in Rugbybällen aus Plastik, Wein in kleinen orangen Kartons, Wein in aludeckelverschweißten Gläsern. Er zeigt auf die Sammlung und sagt leicht abgeändert den Satz, den am Tag zuvor der Mann an der Autobahnraststätte zu seiner Frau gesagt hat: "Wir brauchen eine völlig neue Philosophie der Verpackung!" Dann lässt er wieder die Zunge aus dem Mund fallen, klopft dagegen und sagt: "Ich habe gestern im Restaurant gesehen, wie ein paar Studenten Eiswürfel in ihren Rotwein geschmissen haben. Da fallen andere in Ohnmacht. Ich sage, ihr wollt kalten Rotwein, geben wir euch."

Viel zu lange hätten die französischen Winzer geglaubt, sie machten per se den besten Wein der Welt. Jetzt müssten sie sich eben anstrengen. Dann stellt er eine Dose auf den Tisch: Sein neuester Coup. Wein in silbernen Dosen, die aussehen wie Red Bull. "Das hat in Japan voll eingeschlagen, und demnächst rollen wir damit den französischen Markt auf!"

© SZ vom 10.11.2007/ihe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: