Frankreich:Heute geschlossen

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Notwendige Vorsichtsmaßnahme: Auch der Louvre blieb am Samstag geschlossen. (Foto: dpa)

Während der Proteste der "Gelbwesten" stehen viele Pariser Museen unter Polizeischutz. Aus gutem Grund: In Frankreich sind Kulturgüter immer auch Kampfmittel.

Von Joseph Hanimann

Ein Mann mit gelber Weste pinkelt gegen den mit Sperrholz abgeriegelten Eingang der Luxuspatisserie Ladurée in der Rue Royale unter der Überschrift "Frohe Weihnachten". Seine Kumpane warten feixend etwas abseits.

Ein halbes Dutzend anderer Gelbwesten schlendert ziellos durch die leere Rue de Rivoli entlang der abgedunkelten Fassade des Louvre und lauert auf Anzeichen von Radau aus den Nebenstraßen. Paris ohne Theater, Konzerte und offene Museen ist wie eine verlassene Kulisse, und die Passanten wirken wie herumirrende Statisten nach der Aufführung.

Den Banausen sei alles Schöne ein Dorn im Auge, weil es sie an ihre Beschränktheit erinnere, schrieb der Historiker Louis Réau 1958 in seiner monumentalen "Geschichte des Vandalismus". Das mochte damals schon fragwürdig sein und ist für die heutige Situation grundfalsch. Die meisten Demonstrierenden aus den oft entlegenen französischen Mittelstandssiedlungen wollen gerade nicht mehr nur Statisten, sondern ernst genommene Mitspieler sein im großen Stück, das die Republik sich immerfort selber gibt.

Wie kommt es, dass dennoch vier Dutzend Pariser Museumsdirektoren, Theater- und Opernintendanten beim Kulturminister darauf drangen, ihre Häuser schließen zu dürfen? Dass an diesem Samstag ohne Kultur in der Hauptstadt Nationalbibliothek, Centre Pompidou, Philharmonie, Sainte-Chapelle, Garnier- und Bastille-Oper, Comédie Française und zahlreiche andere Institutionen hinter geschlossenen Toren von der Polizei bewacht wurden?

Hat Frankreich kein Wertgefühl für seine Schätze? Die Zerstörungen vom vorigen Wochenende am Arc de Triomphe bleiben in aller Erinnerung. Die Schließung sei eine notwendige Vorsichtsmaßnahme angesichts des Risikos, betonte der Kulturminister Franck Riester am Freitag.

Den Vandalen unter den Gelben Westen ging es bei ihrer Wut aber nicht um das "Schöne" als solches, um die Kultur, sondern um deren Träger, den Staat, der sich mit allen Insignien der Kultur schmückt, sie gleichzeitig jedoch an allen Ecken und Enden mit Steuern schröpft und von seinen Segnungen in Form von Institutionen, Schulen, Ämtern, Spitälern, öffentlichen Verkehrsmitteln so wenig bis zu ihnen durchdringen lässt.

Die Graffiti und Hammerschläge gegen den edlen Stein des Triumphbogens galten der dahinter stehenden Staatsmacht, ähnlich wie das Abbrennen von Verkehrsbussen bei den Vorstadtkrawallen der vergangenen Jahre.

Die Werke selbst sind den zwischen Denkmalkult und blinder Zerstörung alternierenden Franzosen nicht weniger wert als etwa den Revoltierenden des Arabischen Frühlings, die sich in Kairo, Tunis, Bagdad schützend vor sie stellten, die ihren.

Neben seiner Geschichte als Hort für Kulturschätze hat Paris auch seine Geschichte der Zerstörungen: von der Bastille 1789 über die Statuen Heinrichs IV., Ludwigs XIV. und Ludwigs XVI. 1792, die zerstörten Königsgräber 1793 in der Basilika von Saint-Denis, bis zur geschleiften Siegessäule auf der Place Vendôme und zum brennenden Tuilerienschloss 1871. Seit der Beschlagnahmung der Kirchengüter und Adelsschlösser sah Frankreich sich wiederholt einer großen Masse von Beutegut gegenüber, die immer auch den Zwang des Sortierens einschließt. Was wollte man bewahren? Was loswerden?

Kunstobjekte sind zu schützen, verhasste Symbolik ins nächste Museum zu schaffen

Auf den Ansporn zur Vernichtung der verhassten Machtsymbole folgte immer schnell auch eine Denkmalkommission, die klare Vorschriften machte und strenge Strafen verhängte. Der Abbé Grégoire, ein Unterstützer der Französischen Revolution, unterschied zwischen drei Arten von Vandalismus: Unwissenheit, Gleichgültigkeit und Gaunerei, nämlich der Raubguthändler. Seine drei Berichte über Kunstzerstörung führten zur Konventsverordnung vom 3. Brumaire des Revolutionsjahres 2, wonach Kunstobjekte zu schützen und an ihrem Ort zu lassen, Gegenstände mit verhasster Symbolik hingegen ins nächstgelegene Museum zu schaffen seien. Das öffentliche Museum wurde zu einer Profanierungsanstalt der Republik, um den symbolisch belasteten Werken ihre Weihen zu nehmen.

Das schafft eine Bedeutungstopografie, die manchmal leicht verrutschen kann. Unten auf der Rue de Rivoli, wo die Rue Castiglione auf den Tuileriengarten trifft, steht heute ein roher Metallverschlag. Er füllt die Lücke jenes vergoldeten Gusseisenzauns, der vor einer Woche von den Gelben Westen gestürzt wurde und beim Fallen einen der ihren schwer verletzte. Die Demonstrierenden gingen an diesem Samstag achtlos daran vorbei.

Nicht Gedenken, nicht historische Bedeutungszusammenhänge mit dem damals, am 16. Mai 1871, als großes Spektakel inszenierten Sturz der Säule sind bei dieser Bewegung entscheidend, sondern die unmittelbare Gegenwart, in der jedes Ereignis mit wachsender Spannung zum nächsten führen soll.

Wie bei einem Drama mit fortlaufender Zählung der Akte. Als Akt vier wurde der vergangene Samstag von den Gilets jaunes präsentiert. In diesen Tagen soll nun Staatspräsident Macron mit konkreten Ankündigungen ins Spiel kommen und zeigen, ob er der Lage gewachsen ist. In klassischen Stücken ist der fünfte Akt dann auch der letzte.

© SZ vom 10.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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