Fotoserie "Die Gläubigen":"Wenige Menschen wollen heute ihren Glauben vertiefen!"

Martin Schoeller fotografiert religiöse Menschen in New York - im April waren das ein Vertreter des schiitischen Islam und ein katholischer Priester.

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(Foto: Martin Schoeller)

New York ist der Ort mit der größten Zahl unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften. Der Fotograf Martin Schoeller porträtiert in seiner Feuilleton-Kolumne jeden Freitag einen gläubigen Menschen aus dieser Stadt. Hier finden Sie seine Werke monatlich gesammelt.​ Jiro Mihama. Tenrikyo (neureligiöse Ableitung des Shintōismus). Gott schuf uns Menschen und die Tiere, das Wasser. Alles. Gott tat das an dem Ort Jiba. Wobei Gott wie ein Vater oder eine Mutter für uns war, wir sind also alle Brüder und Schwestern. Wir müssen uns also gegenseitig helfen. Gott wollte aber auch, dass wir ein glückliches Leben führen. Das allerdings sind Doktrinen, die von Menschen geschrieben wurden. Unser Glaube nahm seinen Ursprung vor 180 Jahren. Im Jahr 1838 begann eine Frau namens Miki Nakayama unseren Glauben. Sie hatte viele Jahre lang unzählige Mühen und Leiden zu durchstehen, während derer sie vom glücklichen Leben erzählte, das wir Menschen leben können. Viele wollten ihr nicht glauben. Doch es war eine starke Botschaft. Wir versuchen nicht, perfekt zu sein. Doch ein zentraler Punkt in der Botschaft ist es, die Gefühle der anderen zu verstehen. Deswegen müssen wir uns auch zuerst um die anderen sorgen. Das ist auch der Kern der japanischen Kultur und reicht bis in kleinste Alltagsmomente. Wenn uns beispielsweise heiß ist, müssen wir zuerst an die andere Person denken. Vielleicht ist ihr ja kalt? Deswegen müssen wir zuerst fragen, ob es in Ordnung ist, den Ventilator anzustellen. So was. Unseren Körper aber haben wir von Gott nur geliehen. Wenn wir sterben, bleibt uns unsere Seele. Und nach unserem Tod umarmt Gott diese Seele. Wenn die Zeit reif ist, wird Gott uns erlauben, einen neuen Körper zu leihen. Man hat da keine Wahl. Man kann nicht sagen, man will dünner oder größer werden. Man hat auch keine Wahl, in welche Familie man geboren wird. Ich hatte Glück. Ich wurde in eine sehr nette Familie geboren. Aber der Umstand, dass wir unseren Körper nur geliehen haben, zwingt uns auch dazu, ihn sehr sorgsam zu nutzen. Auch die Welt wurde uns von Gott nur geliehen, und wir müssen sie achten und alles in ihr mit Weisheit benutzen. Wenn wir das aber tun und hart arbeiten, dann sind wir auch unseren Kindern ein Vorbild, und der Glaube lebt ihn ihnen weiter.

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(Foto: Martin Schoeller)

James Martin. Katholischer Priester. Ich stamme nicht aus einer sehr religiösen Familie, meine Eltern waren lauwarme Katholiken. Ich habe auch zuerst Wirtschaft studiert. Irgendwann habe ich eine Dokumentation im Fernsehen gesehen über den Mönch Thomas Merton. Das war mein Weckruf. Ich war damals 27 Jahre alt. Heute halte ich Messe in der "St. Ignatius Church" in New York City. Mein Glaube lehrt mich die Liebe. Nichts ist unmöglich mit dieser Gottesliebe. Christus ist von den Toten erstanden. Das ist die wahre Botschaft. Es gibt ein Leben nach dem Tod, wir bereiten uns darauf vor mit einem Leben in Gottes Liebe, sie erfüllt uns mit Freude. Alles, was Gott erschaffen hat, ist heilig. Ein guter Christ zu sein, das ist es, was ich an die weitergeben möchte, die nach mir kommen. Denn dieser Glaube gibt unserem Leben die Richtung, die Bedeutung. Wie der Glaube die Welt besser machen kann? Im Mittelpunkt unseres Glauben steht Christus. Es ist es, der die Welt besser macht, nicht ich oder eine einzelne Person. Diesen Glauben habe ich noch nie verloren. Sicher, auch ich habe Gottes Plan schon hinterfragt, gezweifelt. Aber ich muss Gott nicht verstehen, um an ihn zu glauben. Gott übersteigt meine Verstandeskraft. Ganz offensichtlich.

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(Foto: Martin Schoeller)

Faiyaz Jaffer. Schiitischer Islam. Unsere Gottesdienste stehen allen Muslimen im Großraum New York offen, Sunniten und Schiiten. Ich arbeite nicht in einer Moschee, sondern im Islamischen Zentrum der New York University, es ist ein einzigartiger Platz, denn wir richten uns an alle. Ich bin Schiit, arbeite aber eng mit einem sunnitschen Imam zusammen, um etwas ganz Neues aufzubauen. Ich bin im Osten Long Islands aufgewachsen, keine sehr diverse Gegend. Meine Eltern waren gläubige Muslime, aber in meiner Abschlussklasse gab es kaum Angehörige von Minderheiten, ich wurde oft gehänselt. Nach dem 11. September wollte ich Jura studieren, wegen der Einwanderungsgesetze und allem, womit sich Muslime in Amerika herumschlagen. Aber ich habe begriffen, dass ich erst mich selbst ändern muss, ehe ich die Welt ändern kann. Ich habe meinen Bachelor in Politik und Theologie an der Stony Brook University in New York gemacht, und danach meinen Master in Theologie und Islamwissenschaften in Großbritannien. Von 2012 bis 2015 habe ich im Irak drei Jahre schiitischen Islam studiert, ich wollte einer von Krieg und Elend gebeutelten Nation etwas zurückgeben. Es war lohnenswert, aber auch beängstigend. Anfangs habe ich dem Taxifahrer manchmal berichtet, wenn eine Autobombe explodiert ist. Der Fahrer antwortete: "Sie sind nicht von hier, oder? So ist das bei uns. Sie werden sich daran gewöhnen." Seitdem weiß ich New York besser zu würdigen. In Amerika gibt es nicht viele junge, englischsprachige schiitische Prediger, deshalb bin ich fast 100 Tage im Jahr unterwegs, auch in Europa oder arabischen Ländern. So wenige Menschen wollen heute ihren Glauben vertiefen! Mein Glaube verlangt von mir, dass ich mich weiterentwickele, um eine spirituelle Verbindung mit Gott einzugehen, sodass ich anderen wiederum helfen kann, ebenfalls eine Verbindung einzugehen. Wenn die Menschen ihren Glauben besser kennen würden, könnten sie begreifen, dass seine wichtigste Aufgabe darin besteht, die Welt besser zu machen.

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(Foto: N/A)

Ryan Holliday, Nicht-konfessionelles Christentum. Ich war immer der Meinung, das Beste an der Kindheit, meine Lieblingsbeschäftigung, war der Besuch unserer Kirche. Mein Vater ist Ministrant, ich bin mit unserem Glauben aufgewachsen. In unserem Glauben gibt es keine Kirche, stattdessen mieten wir sonntags einen Hochzeitssaal im New Yorker Stadtteil Tribeca. Unser Gottesdienst ähnelt dem anderer christlicher Konfessionen, wir singen, es gibt eine Predigt, aber alles ist schneller und schlanker. Gesang und Predigt dauern jeweils nur eine halbe Stunde. Die erste Botschaft meines Glaubens ist wahrscheinlich die Liebe. Jesus hat gesagt: Liebe Gott aus ganzem Herzen, mit deiner ganzen Seele und aus all deinen Kräften. Und: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Unser wichtigster Text ist die Bibel, Altes und Neues Testament. Die Bibel ist ja auch eine Art Liebesgeschichte: Der Mensch flieht vor Gott, und Gott versucht, ihn zurückzugewinnen. Ich habe vier Töchter, acht, sechs, vier und zwei Jahre alt. Wir lesen jeden Abend in der Bibel. Ich kann sie nicht zu Christen machen, aber ich versuche alles, damit sie positive Eindrücke mit dem Glauben verbinden. Am Ende müssen sie sich selbst entscheiden. In den vergangenen 2000 Jahren hat das Christentum viel Schlimmes auf der Welt angerichtet, die Kreuzzüge, das Versagen der deutschen Kirchen im Dritten Reich. Andererseits haben wir auch viel geleistet, etwa die Menschenrechte, auch sie gehen zurück auf das Christentum. Mein Glauben hat mich nie im Stich gelassen, allerdings gibt es einige Stellen in der Bibel, mit denen ich nicht zurechtkomme. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr frage ich mich, warum Gott so etwas sagen würde. Warum würde er so handeln? Eine Zeitlang hadere ich damit, dann wende ich mich anderen Dingen zu, schließlich kehre ich zur Bibel zurück. Und jedes Mal verstehe ich sie ein wenig besser, auch wenn mich die Stellen weiterhin stören. So gibt es immer wieder Spannungen, aber es ging nie so weit, dass ich gar nicht mehr glauben konnte.

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