Fotoserie:Die Gläubigen (14)

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(Foto: Martin Schoeller)

Unsere Porträts von Gläubigen in New York - heute geht es um einen Rastafari. Sein Erlöser war äthiopischer Kaiser und heißt Haile Selassie I.

Von Martin Schoeller

New York ist der Ort mit der größten Zahl unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften. Der Fotograf Martin Schoeller porträtiert in seiner Kolumne jeden Freitag einen gläubigen Menschen aus dieser Stadt.

Abbot Abdia. Rastafari. Viele Menschen brauchen einige Zeit und gehen durch einige Verwirrungen, bis sie ihren wahren Glauben finden. Ich hatte Glück. Mein Vater und meine Mutter waren beide Rastafari. Nachdem ich nun nicht in Jamaika lebe, wo der Hauptsitz unserer Kirche ist, sondern in Brooklyn, gehe ich in die Church of Haile Selassie an der Gates Avenue in Bedford Stuyvesant, die wir Ba Beta Kristiyan Haile Selassie I nennen. So heißt sie in der altäthiopischen Sprache. Haile Selassie I. ist unser Erlöser - so wie Jesus für Christen oder Allah für Moslems. Jeden Sonntag treffen wir uns dort zum Gottesdienst, weil Haile Selassie am Sonntag den 2. November 1930 zum Kaiser gekrönt wurde. So steht es zumindest in der Geschichte. Für uns ist er an diesem Tage zum Gott aufgestiegen.

In unserem Tempel beginnen wir gegen elf und feiern bis gegen halb zwei. Während der ganzen Zeit hört man uns dabei Skandieren. Das ist eine uralte Form des Gottesdienstes, die aus der Zeit Moses stammt, wenn sie nicht noch älter ist. Wir benutzen auch heilige Schriften. Hier in New York ist es die King-James-Bibel, denn der Kaiser sagte einst, dass die älteste Fassung der Bibel aus Äthiopien stammt. Aber ganz egal, wie alt die Bibel ist, die Worte bleiben ja die gleichen. Unsere wahre Leitlinie sind aber weniger heilige Texte als die Geschichte. Unser Glaube gebot uns ursprünglich, die Dynastie unseres Herrschers in Äthiopien wieder herzustellen, denn momentan gibt es keinen Thron in Äthiopien, keine konstitutionelle Monarchie. Das Land wird von Diktatoren beherrscht. Wir sagen aber auch, liebe die Gerechtigkeit, hasse die Aggression. So lehrte es unser Kaiser. Unser erstes Ziel ist es also, uns zu organisieren, um Einheit zu erreichen. Wir wollen auch politischer werden. Allerdings sagt unser Glaube, dass wir keine religiöse Diktatur errichten sollen und dass wir keine Extremisten werden dürfen, denn die Liebe ist das Allerheiligste. Das steht auch in der Bibel. Und streng genommen ist ja auch die Bibel nicht nur heilige Schrift, sondern Geschichte.

© SZ vom 16.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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