Foto-Ausstellung "Haare":Ästhetik ohne Inhalt

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Schönheit und Strahlkraft der Haare fühlbar zu machen ist die Intention der Ausstellung von Herlinde Koelbl. Schade nur, dass die soziale Komponente des Körperbewuchses keine Beachtung fand.

Till Briegleb

Es reicht ein schwarzes Dreieck mit kleinem Quadrat darunter, und jeder weiß, was gemeint ist. Adolf Hitlers abstrahierte Haarmode erreicht als Symbol des Bösen unerreichte Eindrücklichkeit. Da können Lenins Ziegen-, Stalins Schnauz- und Marx' Rauschebart nicht mithalten, obwohl auch diese Frisuren als Codes der politischen Selbstdarstellung Markenqualität erreichten.

Andererseits ist das Abscheren des Haupthaars bis heute ein politisches Instrument der Entwürdigung, das von allen Institutionen, die den totalen Verlust von Persönlichkeit anstreben - vom KZ bis zur Armee -, eingesetzt wird. Das Scheren beziehungsweise Verbergen der Haare bei den Frauen zeugt im Judentum und im Islam aber auch von gottgefälliger Demut, sowie von der Unterwerfung unter den Rang des Mannes, der wiederum in allen Religionen mit auffälligen Haarzeichen den Grad seiner Gläubigkeit darstellen darf (Tonsur, Schläfenlocken, Vollbart, Dreadlocks).

Schließlich ist Haarmode in den vergangenen Jahren als Protestform gegen religiöse und bürgerliche Konventionen etabliert worden (Hippies, Punks, Skinheads), bis daraus selbst wieder eine Konvention wurde.

Die Gestaltung der langen Hornfäden, die dem Menschen aus der Haut sprießen, ist also eine extrem kontextbezogene und sozial bestimmte Angelegenheit. Herlinde Koelbl, die sich in ihrer neuesten Fotoarbeit mit dem menschlichen Pelz beschäftigt hat, sieht das allerdings anders.

Als die Fotografin, die durch ihre Langzeitprojekte zum deutschen Wohnzimmer, zu "Starken Frauen" und über die "Spuren der Macht" in den Gesichtern deutscher Politiker berühmt wurde, vor sechs Jahren mit dem Projekt begann, nahm sie den Menschen und sein Haar noch in einer natürlichen Umgebung auf.

Doch dann begann sie der Stoff an sich zu faszinieren, und so lud sie überall in der Welt Menschen ins Fotostudio, um "mit viel Licht die Schönheit und Strahlkraft der Haare fühlbar zu machen". Da fallen nun im überirdisch leuchtenden Hintergrundweiß rote Haarkaskaden vom Barhocker, kleine Nackedeis mit Engelsblond zeigen kindliche Unschuld, drei Generationen mit wallendem Haupthaar breiten dieses auf dem Boden aus, und grinsende Asiaten zeigen ihre Crazy-Colour-Disco-Frisuren.

Im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, wo Koelbl ihr Mammutprojekt nun erstmals ausstellt, entfalten diese großformatigen Porträts die ganze Naivität einer strikt individuellen Sichtweise. Haare werden hier als reiner Ausdruck von Persönlichkeit zelebriert, zu graphischen Elementen gekämmt, als skulpturale Objekte inszeniert.

Ob Koelbl das Profil eines orthodox-jüdischen Knaben mit langen blonden Schläfenlocken neben das Augenporträt eines vermutlich islamischen Mädchens hängt, das seine Haare mit Kopftuch verdeckt, oder ob sie sechs Fotografien von weiblicher Schamhaarmode zusammenstellt, ist in der großen ästhetischen Gleichmacherei von keiner inhaltlichen Bedeutung mehr.

Gefühlskunst ohne Anspruch

Die akkurat ausgeleuchtete Plastizität, die an vielen Stellen die Seelenlosigkeit steriler Magazinfotografie erreicht, feiert die große Lüge des Pluralismus, dass heute alles geht und nebeneinander gleichberechtigt existieren kann. Als wäre es kein großer Unterschied, ob eine Frau eine Glatze trägt, weil sie eine Chemotherapie macht, ob sie an Selbsthass leidet oder als "Soldatenliebchen" nach Kriegsende durch die Straßen getrieben wird.

Dass die soziale Komponente für eine kunstgewerbliche Faszination hier völlig in den Hintergrund gedrängt wird, zeigen vor allem die beiden Flügelräume der Ausstellung. In einem hängen 350 quadratische Aufnahmen von allen vorstellbaren Haarmoden als Wandfries um einen langen Tisch mit 24 Schalen, auf denen abgeschnittene Haare der unterschiedlichsten Beschaffenheit und Farbe lagern - ein Pflichtort für Mitglieder der Friseurinnung.

Am anderen Ende der Ausstellung ist eine Videoinstallation zu sehen, in der die Besucher zu schwulstigem Synthiekitsch einem Mann, dem seine sehr sehr langen Haare um die Hälfte gekürzt werden, beim Weinen zusehen sollen. Da wird das Projekt dann endgültig reine Gefühlskunst ohne intellektuellen Anspruch. Bei jedem Friseurbesuch erfährt man eindeutig mehr über das menschliche Leben.

"Haare - Fotografien von Herlinde Koelbl" im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, bis 18. November. Katalog (Verlag Hatje Cantz): 29 Euro

© SZ vom 5.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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