Forschungsfreiheit:Klimawandel? Welcher Klimawandel?

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Die Wissenschaft hat viele Feinde. Einige geben sich großzügig wie Freunde.

Gastbeitrag von Alexander Reutlinger

Seit Längerem schon ist die Wissenschaft Angriffen und Einflüssen ausgesetzt, die durch politische und wirtschaftliche Interessen motiviert sind. Doch inzwischen hat dies ein alarmierendes Ausmaß erreicht - in Deutschland, Europa und weltweit. In der Philosophie ist dies kein neues Thema. Bereits in den Dreißigerjahren haben die Fachkollegen des Wiener Kreises (wie Karl Popper, Rudolf Carnap und Otto Neurath) ihre Stimmen für die Wissenschaft und gegen deren Feinde erhoben. Wodurch also zeichnen sich die gegenwärtigen Angriffe auf die Wissenschaft aus?

Zum einen gibt es politisch motivierte Angriffe auf wissenschaftliche Institutionen. Das derzeit tragischste Beispiel dafür ist der Angriff auf die amerikanisch-ungarische Central European University (CEU) in Budapest. Seit Mai 2017 steht die CEU unter hohem Druck, ja, letztlich droht ihre Schließung. Grund dafür ist ein 2017 von der ungarischen Regierung verabschiedetes Gesetz ("Lex CEU"), das die Bedingungen für ausländische Universitäten in Ungarn neu regelt. Es sieht unter anderem vor, dass die CEU einen Campus in den Vereinigten Staaten neu gründen müsste, weil, so wird im Gesetzestext argumentiert, es sich um eine amerikanisch-ungarische Institution handelt.

Auffällig dabei ist, dass die CEU als einzige Universität in Ungarn die Auflagen dieses neuen Gesetzes nicht erfüllt - als nicht staatliche, amerikanisch-ungarische Einrichtung und als vermeintliche "Brutstätte" einer liberalen Opposition. Bislang wurden alle Versuche der CEU, mit dem neuen Gesetz konform zu gehen und darüber einen Dialog anzustoßen, von der ungarischen Regierung blockiert oder ignoriert. So wird die CEU zu einem unter Umständen ruinösen Umzug ins Ausland, vermutlich nach Wien, gezwungen. Dieser Vorgang ist ein zumindest in der EU beispielloser Angriff auf die akademische Freiheit, der von einem jüngeren Vorgang ergänzt wird: die im Sommer 2018 bekannt gegebene, offen politisch begründete Abschaffung der Gender Studies an der staatlichen ungarischen Universität.

Kritik ist gut. Aber nicht immer ist sie konstruktiv, sondern dient Interessen

Eine zweite Art von Angriffen auf die Wissenschaft ließe sich als "strategischer Wissenschaftsskeptizismus" bezeichnen. Dieser lässt sich beobachten, wenn eine Gruppe wissenschaftlich etablierte Forschungsergebnisse öffentlich in Zweifel zieht oder einfach leugnet, weil diese Ergebnisse ihren politischen und wirtschaftlichen Interessen entgegenstehen. Eine skeptische oder kritische Haltung mag durchaus zu guter Wissenschaft dazu gehören, aber hier geht es weniger darum, durch kritisches Nachfragen einen fruchtbaren Beitrag zur Wissenschaft zu leisten als vielmehr um Public Relations, also die Verteidigung bestimmter wirtschaftlicher und politischer Interessen.

Das prominenteste und folgenreichste Beispiel: Rechtspopulisten in den USA und zunehmend auch in Europa, die zum Teil von der Erdöl- und Kohleindustrie finanziert werden, ziehen empirisch gut bestätigte Forschungsergebnisse der Klimawissenschaften öffentlich in Zweifel. So zweifeln sie etwa an der menschengemachten Klimaerwärmung. Diese "skeptischen" Strategien zielen darauf ab, Klimaschutzmaßnahmen zu verhindern, die den Interessen der Industrie und der Agenda von Rechtspopulisten zuwiderlaufen.

Schädliche Einflüsse auf die Wissenschaft können aber auch darin bestehen, dass Unternehmen Forschung bezahlen. Der Fachbegriff dafür lautet "Sponsorship Bias", dieser Fall liegt vor, wenn systematische Fehler in einem Forschungsprojekt auftreten, das von einem Unternehmen finanziert wird und dieses Unternehmen ein konkretes wirtschaftliches Interesse mit einem bestimmten Ergebnis des Forschungsprojekts verbindet. Ein Pharmaunternehmen finanziert beispielsweise eine wissenschaftliche Studie zu einem neuen Medikament, welches dasselbe Unternehmen auf den Markt bringen möchte.

Solche industriefinanzierten Studien sind anfällig für systematische Fehler. Versuchsaufbau, statistische Methoden oder auch erhobene Daten werden beispielsweise so ausgewählt, dass ein für den Auftraggeber wirtschaftlich erwünschtes Ergebnis der Studie wahrscheinlicher wird. Fehler dieser Art fallen in der Regel zugunsten der wirtschaftlichen Interessen des Auftraggebers und zuungunsten von Konsumenten aus. Letztere müssen etwa mit Nebenwirkungen und anderen gesundheitsgefährdenden Folgen der entwickelten Produkte leben, die im Rahmen der fehlerhaften Studien nicht entdeckt wurden. Derselbe Punkt lässt sich bei industriefinanzierter Forschung zu Glyphosat und Dieselmotoren anbringen. Und er ist auch ein Grund, eine kritische Diskussion zu einem verwandten Thema anzuregen: der industriefinanzierten Stiftungsprofessur, etwa wenn Facebook an der Technischen Universität München einen Lehrstuhl für die Ethik der künstlichen Intelligenz finanzieren will.

In Ungarn wird eine ganze Generation junger Wissenschaftler um ihre Chancen gebracht

In Deutschland und Europa gehört die Verteidigung der Wissenschaft gegen solche Angriffe und Einflüsse auf die Tagesordnung politischer Debatten. Der Grund ist einfach: Die Feinde der Wissenschaft richten erheblichen Schaden an.

Sie schaden der Wissenschaft, weil sie zu unzuverlässigen Forschungsergebnissen führen. Deutschland ist ein starker und angesehener Standort für exzellente Wissenschaft. Für exzellente Wissenschaft ist es jedoch notwendig, dass eine hinreichende Unabhängigkeit der Forschung von wirtschaftlichen und politischen Interessen garantiert wird, um die Richtigkeit und Zuverlässigkeit von Forschungsergebnissen zu sichern. Der Fortbestand des Wissenschaftsstandorts Deutschland hängt auch davon ab, ob wirksame Mittel gegen solche Angriffe und Einflüsse gefunden werden. Diese Frage betrifft die berufliche Zukunft von vielen Menschen, die in wissenschaftlichen Forschungs- und Lehreinrichtungen arbeiten. Die Feinde der Wissenschaft schaden aber auch ganzen Gesellschaften. In Ungarn wird eine junge Generation ihrer Ausbildungschancen und Forschungskarrieren im eigenen Land beraubt, dürrebedingte Versorgungsengpässe treten auf, weil Maßnahmen für Klimaschutz unterlassen wurden, Patienten leiden unter Nebenwirkungen fehlerhaft entwickelter Medikamente.

Diese schädlichen Folgen von wissenschaftsfeindlichen Tendenzen sind mit politischen Großthemen wie der Digitalisierung, dem Verbraucher-, Umwelt- und Klimaschutz verknüpft. Alle diese Themen haben eines gemeinsam, eine Herausforderung, die alle demokratischen Parteien etwas angeht: politisch darauf hinzuwirken, dass neue wissenschaftlich-technische Entwicklungen zu besseren Lebensbedingungen für alle führen und dass Kräfte, die dies verhindern wollen, politisch in ihre Schranken gewiesen werden.

Demokraten in Deutschland und Europa sollten eine politische Diskussion zu zwei Großfragen anstoßen: Anhand welcher Kriterien kann man Angriffe und schädliche Einflüsse auf Wissenschaft erkennen und kritisieren? Wie kann die Politik die Wissenschaft davor schützen? Die Beantwortung erfordert einen Austausch zwischen fortschrittlichen politischen Akteuren, Experten aus verschiedenen Wissenschaften und Wissenschaftsorganisationen. Die Diskussion steht erst am Anfang.

Der Autor arbeitet als Akademischer Rat an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er forscht und lehrt im Bereich Wissenschaftsphilosophie.

© SZ vom 22.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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