Flaggen-Verhöhnung legal:Schwarz-Rot-Mostrich

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Die Senfentscheidung des Verfassungsgerichts zur Verunglimpfung der deutschen Farben: In dem dürftig argumentierenden Beschluss zollt Karlsruhe der Historie zu wenig Beachtung.

Heribert Prantl

Man muss es zur Ehre des Senfs sagen: Er kann nichts dafür, dass er von Rechtsextremisten seit fast einem Jahrhundert zur Verhöhnung der Demokratie missbraucht wird. Der Senf kann schon deshalb nichts dafür, weil die gelbe Farbe, die alten und neuen Nazis dazu dient, das Gold in den deutschen Farben verächtlich zu machen, dem Senf gar nicht eigen ist.

Schwarz-Rot-Gold: Das waren die Farben des Hambacher Festes von 1832 und die Farben der demokratischen Revolution von 1848. Es waren die Farben der Weimarer Republik und es sind die Farben der Bundesrepublik. (Foto: Foto: dpa)

Dessen gelbe Farbe kommt von einer Pflanze, die man Kurkuma oder gelber Ingwer nennt. Aus dem Wort "Schwarz-Rot-Kurkuma" wäre aber wohl nie ein Streit entstanden, der die Gerichte bis heute beschäftigt: Ist es eine strafbare Verunglimpfung, wenn ein Nazi höhnisch von "Schwarz-Rot-Senf" spricht, statt von "Schwarz-Rot-Gold"?

Das Bundesverfassungsgericht hat soeben in einer etwas dürftig argumentierenden Entscheidung (verfasst vom neuen Verfassungsrichter Johannes Masing) auf die ganze Geschichte nicht viel gegeben.

Griff in die braune Klamottenkiste

Das Gericht hob, aus Gründen der Meinungsfreiheit, die ohnehin niedrige Bestrafung für einen Mann auf, der öffentlich eine scharfe Neonazi-Rede gehalten und dabei gegen das "Schwarz-Rot-Senf"-System agitiert hatte.

Das war ein Griff des Neonazis in die braune Klamottenkiste: Die Beschimpfung der Fahne als "Mostrich-Fahne" war Kennzeichen der Rechtsextremisten in der Weimarer Republik. Die Gegner von Demokratie und Republik führten ihren Kampf gegen die ihnen verhasste neue Staatsform vordergründig als Kampf gegen die Fahne: Für sie waren die alten Farben Schwarz-Weiß-Rot die Farben, hinter denen die deutschen Truppen im ersten Weltkrieg siegreich ausgezogen, Schwarz-Rot-Gold aber die Farben, hinter denen sie verlustreich zurückgekehrt waren.

Das ist die "historische Verknüpfung", welche die Verfassungsrichter in ihrer Entscheidung zwar kurz ansprechen, ihr aber nicht weiter nachgehen.

Schwarz-Rot-Senf, -Mostrich oder -Scheiße: das waren die Injurien, mit der sich schon die Justiz der Weimarer Republik beschäftigten musste. Sie hielt solche Beschimpfung damals überwiegend für strafbar. Am Reichsgericht urteilten republikfreundliche Richter so: Das Wort Mostrich sei "ein Ausdruck zur Verächtlichmachung der neuen Reichsfarben" und "der beschimpfende Charakter" trete "gerade deshalb hervor, weil diese Farben großen Teilen des Volkes als etwas besonders Verehrungswürdiges, Heiliges gelten".

Unheilvolle Symbolik

Für heilig wird man sie heute nicht mehr halten. Aber sie symbolisieren die demokratische deutsche Geschichte und die Werte des Grundgesetzes: Schwarz-Rot-Gold waren die Farben des Hambacher Festes von 1832 und die Farben der demokratischen Revolution von 1848. Es waren die Farben der Weimarer Republik und es sind die Farben der Bundesrepublik, so steht es ohne Wenn und Aber im Grundgesetz.

1918 hatte es noch ein Aber gegeben: die Rechtsparteien hatten Schwarz-Rot-Gold so vehement abgelehnt, dass der Verfassungsausschuss um des lieben Friedens einen Zusatz aufnahm: Die Handelsflagge zeigte weiter die Kaiserfarben Schwarz-Weiß-Rot - mit einer schwarz-rot-goldenen Ecke.

Die Farben der Vergangenheit blieben also neben den neuen bestehen. Das schuf eine unheilvolle Symbolik. Die Gegner der Republik spuckten aufs Schwarz-Rot-Gold. Die Verteidiger der Republik aber gründeten das "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold". Dort sammelten sich Gewerkschafter, SPD und Zentrumspartei, um die Demokratie gegen den Umsturz zu verteidigen.

Karlsruhe hat sich mit all dem nicht beschäftigt. Zum einen sei diese Historie im Bewusstsein der Meisten ohnehin nicht präsent. Zum anderen müsse ein Gericht vor der Verurteilung erst recherchieren, ob die Beschreibung von Gold als Senf in der "konkreten Situation" wirklich eine "empfindliche Schmähung" darstelle. Dieser geschichtsvergessene Beschluss trägt das Aktenzeichen 1 BvR 1565/05 und die Unterschriften der Richter Papier, Eichberger und Masing.

© SZ vom 31.10.2008/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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