"Finsternis":Ermittler auf der Couch

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Steven Uhly: Finsternis. Roman. Secession, Zürich 2020. 208 Seiten, 20 Euro. (Foto: N/A)

Mit einigen Konventionen des Krimis haben wir uns gemütlich eingerichtet. Steven Uhly spielt mit dem Genre.

Von Burkhard Müller

Es ist ein gewagtes Projekt: einen ganzen Krimi als eine Reihe von Gesprächen zwischen einer Therapeutin und einem Polizisten zu erzählen. Der Leser muss sich dazu von seinen Genre-Gewohnheiten freimachen. Statt Action erwartet ihn viel indirekte Rede, statt raschem Schauplatzwechsel die schwankungsarme Atmosphäre einer psychologischen Praxis. Die typische Vielzahl der Figuren ist auf zwei reduziert, während der umfangreiche Rest nur im mündlichen Bericht erscheint. Das Ganze umfasst nur schlanke 200 Seiten statt des Zwei- und Dreifachen, die man von dieser Art Bücher kennt, sodass man erheblich konzentrierter als sonst bei der Stange bleiben muss. Und verlassen kann man sich auf die Ausführungen dieses therapierten Polizisten womöglich auch nicht: Ist er doch nicht ganz freiwillig hier, sondern auf dringenden Rat seines Vorgesetzten, der guten Grund hat, ihm zu misstrauen?

Abid Malik ist ein ungewöhnlicher Ermittler. Seine Eltern stammen aus dem pakistanischen Teil von Kaschmir und sind geflohen, um ihren arrangierten Ehen zu entgehen. Der Sohn hat sich die vollständige Integration im Zielland zur Lebensaufgabe gemacht - und welchen überzeugenderen Weg kann es da geben, als ihm als Polizist zu dienen? Dazu passt, dass er eine blonde deutsche Juristin geheiratet und mit ihr zwei Kinder in die Welt gesetzt hat.

Der Fall, der hier besprochen wird, gerät zu seiner persönlichen Krise, die alles infrage stellt. Und so operiert dieses Buch auf zwei Handlungsfeldern. Im einen geht es um die ermordete Frau, etwa sechzig, die nackt auf einer Bahre in der Berliner Innenstadt gefunden wird. Obwohl es zunächst nicht gelingt, sie zu identifizieren, lassen doch die Spuren keinen Zweifel daran, dass sie zur BDSM-Szene gehört hat.

Und dann gibt es noch eine private Geschichte: Maliks enges Verhältnis zu seinem Partner Jan wird schwer belastet, als sich herausstellt, dass Jan selbst in den Fall verwickelt ist. Ein Video taucht auf, in dem das Opfer, noch am Leben, erklärt, sie sei in Wahrheit Jans Mutter. Von nun an operiert Jan auf eigene Faust, an der Behörde vorbei, und setzt Malik unter Druck, ihn auf diesem Weg zu begleiten. Malik tut es, trotz wachsender Bedenken. Immer fragwürdiger werden die Methoden der zwei bei ihrem Quest, immer mehr leidet Maliks Ehe darunter. Wem schuldet Malik letztlich seine Loyalität, dem Freund, der Familie oder dem Rechtsstaat?

Dieser Roman wagt ein Formexperiment. Gelingt es?

Man kennt es schon lange, dass Buch- und Fernsehkrimis mit doppeltem Boden arbeiten. Außer dem Mordfall selbst kriegt der Leser oder Zuschauer das problematische Eigenleben des Kommissar-Helden geliefert, der gern geschieden ist, aber von seiner Ex nicht loskommt, mehr trinkt als ihm guttut, mit seinem Einzelgängertum bei Chef und Kollegen aneckt, glasklare Dienstvorschriften als Verhandlungssache ansieht, doch am Schluss natürlich derjenige ist, der den Karren aus dem Dreck zieht. Das ist gemütliche Konvention geworden, aber in seiner Voraussagbarkeit nicht recht befriedigend. Steven Uhly will dieses altgediente Zweierlei zum unbehaglichen Einen machen, indem er allein dem Polizisten in seinem Therapiegespräch beides in den Mund legt, den Fall und das Persönliche. Genau deshalb erschafft er diese Situation, in der die Vermischung als das Adäquate erscheint, daher die therapeutische Sitzung als Bühne beider Handlungen, die hier verschmelzen.

Das Besondere dieses Romans besteht also in einem Experiment der Form. Ist es gelungen? Man zögert, die Frage zu bejahen. Das liegt zum einen am Kriminalplot im engeren Sinn, der, so sehr er auch zwischendurch die Spannung anheizt, am Ende auf eine ziemlich hanebüchene Kolportage hinausläuft.

Zum anderen lässt sich der gleichmäßige Dialog dann doch nicht ganz durchhalten. Malik wird für seine Therapeutin zu dem einen ihr in der Ausbildung vorausgesagten Klienten, der sie an ihre Grenzen bringt. Das Duett wechselt in eine andere, dringlichere Tonart, der Fall holt die beiden ein und steht dann auch physisch in der Tür. Ganz zum Schluss geschieht noch ein Twist, der nicht mehr voll ausgeschöpft werden kann.

Die gewählte Form ist interessant; man kann, ja man sollte sie mal ausprobieren. Aber nicht öfter als dieses eine Mal.

© SZ vom 05.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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