60. Filmfestspiele von Cannes:Jedem sein Kino!

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Am Mittwochabend eröffnet Wong Kar-Wai die Filmfestspiele von Cannes, Diane Kruger führt durch die Gala. Große Namen haben sich angekündigt: Scorsese, Tarantino, die Coen-Brüder oder Michael Moore.

Susan Vahabzadeh

Das Filmfestival von Cannes wird, seit jeher, mit einem gewissen Sinn für Romantik geführt. Manchmal ist für emotionale Bindungen vielleicht wenig Platz - auch Festivals haben mit Geld und wirtschaftlichen Interessen zu tun. Aber wenn Cannes liebt, dann bedingungslos. Wong Kar-Wai darf diesmal eröffnen, sozusagen zum Dank für die beiden Zitterpartien, die er dem Festival 2000 und 2004 beschert hat.

In beiden Fällen war er nicht rechtzeitig fertig, bei "In the Mood for Love" wurde er gar noch beim Nachdrehen erwischt, als das Festival schon lief. "My Blueberry Nights" ist sein erster englischsprachiger Film, ein Roadmovie. Das ist einerseits eine Auszeichnung, andererseits eine Bürde; er soll so viele Erwartungen und Sehnsüchte gleichzeitig erfüllen, der Kinoverrückten, die in eine andere Welt entführt werden wollen, der wartenden Menge draußen in der Blaubeernacht, die nach einem glamourösen Auftakt verlangt. Was den betrifft, ist Cannes der schlimmste Ort der Welt - mehr Kritiker, Branchenvertreter, Zaungäste gibt es nirgends.

Die Sängerin Norah Jones gibt in "My Blueberry Nights" ihr Debüt als Schauspielerin, als junge Frau auf einer sehnsüchtigen Reise durch die USA. Jude Law, David Strathairn, Tim Roth und Natalie Portman spielen mit. Wong Kar-Wai zur Eröffnung, das ist ein Friedensangebot an die Cineasten, die im vorigen Jahr mit dem "Da Vinci Code"-Spektakel überhaupt nichts anfangen konnten. Aus deutscher Sicht wird die sechzigste Ausgabe von Cannes sowieso ein gutes Jahr - es ist schon mal eines von den wenigen, in denen ein deutscher Film im Wettbewerb läuft. Fatih Akins "Auf der anderen Seite" hat es geschafft. Man kann daran vielleicht ablesen, dass der Leiter, Thierry Frémaux, eine bestimmte Erwartung ans deutsche Kino hat - sich mehr für das interessiert, was an den Rändern passiert als in festgefügten Gruppen oder im deutschen Kino-Establishment.

Jurypräsident ist Stephen Frears, der sich als Mitstreiter unter anderem Orhan Pamuk und Michel Piccoli ausgesucht hat. Insgesamt werden 22 Filme im Wettbewerb um die Goldene Palme gezeigt. Echte Neuzugänge im Festivalbetrieb sind der Ausnahmefall. So einer ist Christophe Honoré, in Frankreich durch seine Nouvelle-Vague-Hommage "Dans Paris" schon ziemlich bekannt, aber mit "Les chansons d'amour" ist er zum ersten Mal in einem großen Wettbewerb. Fatih Akin gilt in Cannes als Nachwuchs, aber immerhin hat er mit "Gegen die Wand" die Berlinale gewonnen. Der andere deutschsprachige Beitrag kommt vom Österreicher Ulrich Seidl, dessen "Import/Export" in der Konkurrenz läuft - sein "Hundstage" war wohl in Venedig, aber eigentlich gehört er nicht wirklich zur Klientel für Glamourveranstaltungen: Wenn "Import/Export" etwas von der erbarmungslosen Härte der Kleinstadtbeobachtungen von "Hundstage" hat, könnten den Cannes-Gästen die Häppchen im Hals stecken bleiben.

Demonstratives Staraufgebot

Für die amerikanischen Großereignisse sind alte Bekannte zuständig. Michael Moore ist zum dritten Mal dabei, erstmals außer Konkurrenz, mit "Sicko" - "Fahrenheit 9/11" war vor drei Jahren ein festivaltechnisches Medienereignis, nicht weil der Film gewann, sondern weil sich Moore den örtlichen Gewerkschaftsdemons anschloss. Martin Scorsese, der in Cannes quasi zum Inventar gehört, gibt in diesem Jahr die Leçon de cinéma, die jährliche Filmvorlesung. Quentin Tarantino, Palmengewinner mit "Pulp Fiction" und vor zwei Jahren Präsident der Jury, zeigt die Hälfte seines Gemeinschaftsprojekts mit Robert Rodriguez, "Grindhouse" - der als Double-Feature konzipierte Film wurde auseinandergeschnitten, Tarantinos Hälfte "Death Proof", ein grimmiger Thriller, nimmt am Wettbewerb teil. Die Coen-Brüder, auch bereits im Besitz einer Goldenen Palme, sind mit "No Country for Old Men" vertreten, Tommy Lee Jones und Javier Bardem spielen die Hauptrollen.

Außer Konkurrenz kommt Steven Soderberghs "Ocean's Thirteen" dazu, ein Hollywood-Superaufgebot, selbst wenn nur ein Bruchteil der Besetzung - George Clooney, Brad Pitt, Al Pacino, Andy Garcia, Matt Damon - zum Schaulaufen auf dem roten Teppich antreten. Das sieht nicht unbedingt nach viel Risikofreude aus - vielleicht aber hat Frémaux seinen Mut angemessen verteilt, will ihn da beweisen, wo es nicht um Glamour geht, und ansonsten seine Geldgeber bei Laune gehalten: Das Festival kostet zwanzig Millionen Euro, etwa soviel wie ein sehr großer europäischer Film - es braucht zuverlässiges Paparazzi-Futter, um als Wirtschaftsfaktor für die Region, als Touristenmagnet, bestehen zu können.

Für das Klub-Gefühl, die glamouröse Vereinsmeierei, gibt es diesmal sogar einen eigenen Film, mit dem sich Cannes zum sechzigsten Geburtstag selbst feiert. 35 Regisseure, von Bille August über Ken Loach und Roman Polanski bis Wim Wenders, haben mitgemacht, jeder durfte drei Minuten nach seinen Vorstellungen drehen, um das Kino, so Cannes-Präsident Gilles Jacob, zum "Tempel der Leidenschaften" zu machen. "Chacun son Cinéma", jedem sein Kino, versammelt so ziemlich alle denkbaren Stilrichtungen, die das Festival irgendwann mal für würdig befunden hat. Die Zutaten stimmen, aber was wurde daraus zusammengerührt?

© SZ v. 16./17.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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