Filmfestival Berlinale:Schnauzenfieber

Lesezeit: 4 min

Wes Andersons Berlinale-Eröffnungsfilm "Isle of Dogs" ist ein zotteliges Animationsabenteuer, an dem man sich nicht sattsehen kann. Hergestellt im Stop-Motion-Verfahren, der aufwändigsten Kinotechnik überhaupt.

Von David Steinitz

Hund Chief – sieht es nicht so aus, als müsse Bryan Cranston ihm seine Stimme leihen? – mit dem jungen Atari. (Foto: Fox)

Ein bisschen schade ist es natürlich schon, dass gestern Abend keine Hunde über den roten Teppich gelaufen sind, sondern nur ganz gewöhnliche Hollywoodstars.

Dabei habe er durchaus kurz darüber nachgedacht, seinen Film "Isle of Dogs", der die 68. Berlinale eröffnete und am Wettbewerb um den Goldenen Bären teilnimmt, mit echten Tieren zu drehen, sagt der Regisseur Wes Anderson. "Aber ein reiner Hundedreh war mir in logistischer Hinsicht dann doch zu heikel."

Nun ist ein Animationsfilm daraus geworden, der im Stop-Motion-Stil von Trick-Klassikern wie "Wallace und Gromit" produziert wurde, also fast ausschließlich von Hand. Ein absolutes Anti-Pixar-Projekt gegen die Perfektion der Pixel.

Wes Anderson ist ein Berlinale-Dauergast, zuletzt eröffnete er das Festival 2014 mit seiner Komödie "The Grand Budapest Hotel". Dabei kommt es der Berlinale vermutlich gelegen, dass sowohl im "Budapest Hotel" als auch in "Isle of Dogs" deutsche Filmfördergelder stecken, was es immer etwas leichter macht, der Festival-Konkurrenz in Cannes oder Venedig einen Film wegzuschnappen. Denn Anderson und seine melancholischen Tragikomödien wollen alle immer gerne zeigen.

Ein Virus lässt die Felle der Hunde verzotteln und ihre Pfoten ganz lahm werden

Vor der Premiere absolvierte der Regisseur die üblichen PR-Termine, wie immer in seiner Schrulliger-Künstler-Uniform aus kariertem Cord-Sakko und beiger Ostblock-Gedächtniskrawatte. Erst saß er mit seinen Schauspielern, die den Figuren im Film ihre Stimmen leihen, auf der überfüllten Pressekonferenz in einem Hotel am Potsdamer Platz. Mitgebracht hatte er unter anderem Bill Murray, Tilda Swinton, Greta Gerwig, Bryan Cranston und Jeff Goldblum. "Isle of Dogs" ist der Film, der den größten Star-Auflauf des diesjährigen Festivals zusammenbringt, kein Wunder, dass er für die Eröffnung gewählt wurde.

Hunde liefen zur Eröffnung der Berlinale nicht über den roten Teppich, nur Hollywoodstars wie Tilda Swinton. (Foto: Markus Schreiber/AP)

Am Nachmittag stellte Anderson sich gemeinsam mit seinen Co-Autoren ein paar Hundert Meter weiter einer kurzen Podiumsdiskussion in der Akademie der Künste, die natürlich ebenfalls überfüllt war. Er hat den Film, wie schon einige zuvor, gemeinsam mit Roman Coppola, dem Sohn von Francis Ford und Bruder von Sofia, sowie mit dem Schauspieler Jason Schwartzman geschrieben.

Anderson ist ein großer Bewunderer des japanischen Regisseurs Akira Kurosawa, der seine Filme gerne in kleiner Runde nach dem Pingpong-Prinzip entwarf - jeder seiner Autoren steuerte ein paar Ideen bei. Quasi ein früher Vorläufer der "Writing Rooms", in denen heute ganze Heerscharen von hochbezahlten Autorensöldnern die Nachfrage nach immer mehr Serienfolgen für Netflix und Co. bedienen. Auf der Ideenliste des Anderson-Jungsklubs standen ihre gesammelten, sagen wir mal recht bunten Interessen: Hunde, Müllhalden, Kinderabenteuer, die Zukunft und japanische Filme. Und ja, das haben sie tatsächlich alles in diesen Film gepackt.

(Foto: N/A)

"Isle of Dogs" spielt im Japan der nahen Zukunft, wo unter den Hunden das schreckliche Schnauzenfieber ausgebrochen ist. Die Felle verzotteln, der Blick wird getrübt, die Pfoten ganz lahm, und alle müssen ständig niesen. Deshalb wittert der böse und hundehassende Bürgermeister der Stadt Megasaki seine Chance, endlich alle Köter loszuwerden. Er lässt sie mittels einer langen Seilbahn auf eine gigantische Mülldeponie namens Trash Island mitten im Meer deportieren. Dort ist das Leben gar grausig, keine Näpfchen werden mehr mit edlem Futter gefüllt und keine Bäuche mehr gekrault. Mit Glück findet man mal einen abgenagten Fischkopf zum Abendbrot.

Diesen katastrophalen Zustand will die Hauptfigur, der 12-jährige Junge Atari Kobayashi, keinesfalls akzeptieren. Sein Hund Spot wurde ebenfalls weggeschafft, aber er will ihn unter allen Umständen zurück. Er reist zu der Deponie, um seinen Liebling zu finden, und bekommt dabei Hilfe von einem Rudel sympathisch zerrupfter Köter, die wir getrost als Underdogs bezeichnen dürfen.

Das ganze Projekt war, wie Anderson und seine Mitstreiter berichten, trotz des Verzichts auf echte Hunde keine leichte Sache. Denn obwohl die digitale Tricktechnik von heute nichts mehr mit dem aufwendigen analogen Apparat von früher zu tun hat, gibt es da eine Ausnahme: das Stop-Motion-Verfahren. Es ist vermutlich heute die aufwendigste Form, Kino zu machen. Jedes einzelne Objekt muss für jedes Bild minimal neu modelliert werden, um nach und nach beim Abfilmen die Illusion von Bewegung zu kreieren. Und diese Technik hat sich eigentlich seit "King Kong" von 1932 kaum verändert.

Anderson hat mit der Roald-Dahl-Verfilmung "Der fantastische Mr. Fox" (2009), seinem ersten Animationsfilm, schon Erfahrung mit dem Genre und der Technik gesammelt. Trotzdem waren siebzig Puppenspieler und 38 Animatoren für die Hintergrundbilder rund zwei Jahre beschäftigt, um die gut 130 000 Einzelbilder zu schaffen, aus denen "Isle of Dogs" besteht.

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Was die Sache geringfügig beschleunigt hat, war Andersons Wunsch, dass der Film, wie schon "Mr. Fox", ein bisschen ruckelig aussehen sollte, mit kleinen, intendierten Wacklern. Deshalb mussten insgesamt weniger Einzelbilder hergestellt werden als für ein Projekt, wo die Bewegungen der Charaktere vollkommen flüssig erscheinen sollen. "Aber mehr als ein paar Sekunden Film pro Tag zu schaffen war trotzdem nicht drin", sagt er.

Die mühselige Arbeit hat sich aber gelohnt. "Isle of Dogs", der am 10. Mai auch regulär in die deutschen Kinos kommt, ist ein tragikomischer Abenteuerfilm geworden, an dem man sich nicht sattsehen kann.

Die Hundeschar aus Chief (gesprochen von Bryan Cranston), Rex (Edward Norton), Boss (Bill Murray) und Duke (Jeff Goldblum) ist vermutlich der neurotischste Haufen, den man dieses Jahr im Kino zu sehen bekommen wird. Wie aus ehemals verkuschelten und verwöhnten Wohnungshunden, die zum Geburtstag ein Rib-Eye-Steak serviert bekamen, verlauste Streuner werden, die riesige Müllberge nach Futter durchwühlen, ist schon eine große Schau. Der Film verneigt sich aber auch mit großer Freude vor der japanischen Kultur, Teile der Handlung spielen in der hundefreien Stadt, in der sich eine subversive Untergrundpartei namens Pro Dog zusammenfindet.

Es wird die Kunst der Sushi-Herstellung im Stop-Motion-Verfahren zelebriert und auch die Liebe der Japaner zu Katzen parodiert. Hunde sind schließlich nicht die einzige Spezies, die um die Liebe der Menschen buhlt - diese Erkenntnis weist dann auch schon in Richtung der fiesen Verschwörung, die am Ende aufgedeckt werden muss.

© SZ vom 16.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: