Filmemacher Ingmar Bergman:In mir sind viele Frauen

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(Foto: N/A)

Vom Jungen, der am liebsten mit seinem alten Projektionsapparat spielte, und zum besten Regisseur der Welt wurde. Ein Nachruf.

Fritz Göttler

Den ganzen nordischen Winter über, in seiner elendigen Länge, so hat mal einer der Freunde von Ingmar Bergman gesagt, macht er Theater, in Stockholm oder Göteborg, und die zwei Monate Sommer zieht er dann los, um ein paar Filme zu drehen. Ein Arbeits-, ein Lebensrhythmus, der wirklich Sinn macht - und der die Vitalität erklärt, die Lebensfreude, die Anarchie, die in den meisten Bergmanfilmen zu spüren sind. Ein halbes Jahrhundert schönstes Natur- und Sommerkino, damit wird man dem Mann, der seit vielen Jahren als der beste Regisseur der Welt firmiert, sehr viel besser gerecht als mit allen philosophischen und religiösen Diskursen zu seinem Werk.

Auf Fårö hat er viele seiner aufregendsten Filme gemacht, er hat die Insel entdeckt, als er locations suchte für "Wie in einem Spiegel", 1961. Und die Insel erfüllte seine Sehnsucht nach Abgelegenheit, nach einem Ort, der die Wunder und die Schrecken des Alleinseins erfüllte. "Persona" hat er dort gedreht und "Schande" und "Szenen einer Ehe", mit Liv Ullmann und Erland Josephson. Er hat sich ein Haus dort gebaut, mit komfortablem Projektionsraum, und dann eins für seine Geliebte Liv Ullmann; und er beschloss die Insel nicht mehr zu verlassen nach seinem letzten Film, "Saraband", 2002, einem Epilog zu "Szenen einer Ehe", dreißig Jahre später, mit den Akteuren von damals.

Vor einigen Tagen ist die vierte Bergman-Woche auf Fårö zu Ende gegangen, zu der Freunde und Kollegen sich versammelten, diesmal auch Kenneth Branagh. Im vorigen Jahr ist Bergman selber - überraschend und wider seine Gewohnheit - bei diversen Veranstaltungen aufgetaucht, dieses Jahr war er gesundheitlich zu schwach.

Der Skandalregisseur

Von den 16mm-Aufnahmen, die er bei seinen Dreharbeiten machte, weiß man inzwischen, wie fröhlich es auf einem Bergman-Set zugehen konnte - was angenehm kontraproduktiv ist zu dem Grübler-Image, das ihm seit Jahrzehnten angepappt ist. Wenn all jene Exegeten und Interpreten das damals gewusst hätten, als sie in den Sechzigern den nordischen Pastorensohn zum großen Gott- und Sinnsucher des modernen Kinos machten - zu einem, der an Gott verzweifelte und das am Kino ausließ. Mit dem "Schweigen" erreichte 1963 diese Bewegung ihren Höhepunkt, dabei hat, beim Wiedersehen heute, auch dieser Film herrlich groteske Momente.

Ingrid Thulin, die leidende Frau dieses Films, sterbenskrank im fremden, feindseligen Land, zeigt eine wilde Energie, wenn sie ihre Zigarette nicht nur zwischen die Lippen, sondern gleich zwischen die Zähne nimmt - eine wilde Energie. Der Film erzählt von Frauen im Exil, mit markanten Echos von Kafka - des komischen Kafka. Am Ende gibt es eine Truppe Liliputaner, die durch die Hotelgänge paradieren.

Bergman liebte die Arbeit im Team, mit denselben Schauspielern und Technikern, an der Spitze sein Kameramann Sven Nykvist. Was für eine Freude, hat Bergman mal gesagt, wenn man anonym arbeiten könnte . . . Schwer zu sagen, wie viel Koketterie in solchen Bekenntnissen steckt - es ist eine Haltung, die man sicher nicht lernt in einem nordischen Pastorenheim, wo Bergman aufwuchs, geboren am 14. Juli 1918 in Uppsala.

Die Jugend war streng, nur die Laterna magica des Bruders warf ein wenig Licht hinein, fremdartige Bilder, frühe Illusionen. "Laterna Magica" hat er später seine Lebenserinnerungen genannt. Mit einer Rückkehr in die Kindheit endet "Saraband". Die letzte Szene, die Bergman auf die Leinwand brachte, zeigt einen alten Mann in seiner Nacktheit, körperlich und emotional - er gleicht einem Kind, das sich in seinem Alleinsein fürchtet.

Schachmatt am Meeresrand

Die seelische Entblößung, das ist das Strindberg-Erbe, das Bergman sein Leben lang mit sich herumschleppte. Strindberg hat er immer wieder inszeniert, seine introvertierten Dramen, und zur Erholung dann große Oper, am liebsten Mozart, dessen "Zauberflöte" er in seinem Film "Stunde des Wolfs" als Marionettenszene beschwor und später in voller Länge verfilmte. Die frühen Filme der Vierziger zeigten Bilder der Nachkriegszeit, junge Paare bei ihren Überlebensversuchen, Mitte der Fünfziger kamen die ersten Komödien, "Das Lächeln einer Sommernacht" und "Wilde Erdbeeren", in den Sechzigern gehörte er dann dem Existentialismus.

Seit 1963 war er sowieso der Skandalregisseur, gegen den von der Kanzel gewettert wurde - das vögelnde Paar in "Das Schweigen", die ganze vermeintliche Trostlosigkeit dieses und der folgenden Filme. Die Ordnung, die man eben mühsam wieder etabliert hatte, wurde erneut in Frage gestellt, das neue Über-Ich und das Ich gleich dazu, vor allem bei den Frauen. Was auch nicht unbedingt neu war - im amerikanischen Kino, auf das Bergman sich berief, war das im Film noir vorexerziert worden.

Schwarz sind die Filme dieser Zeit, voll mit Teufelsspuk, das heißt auch sehr ironisch. In seinem Divertimento "Das Teufelsauge" ist der Satan ein Bürokrat, er schickt Don Juan auf die Erde, damit der einer Jungfrau, der hinreißenden Bibi Andersson, am Tag vor der Hochzeit die Unschuld raubt. "Das siebente Siegel" wiederum schlägt unseren Jedermann um Längen, wenn es um die Wiederbelebung mittelalterlicher Mysterienspiele geht: mit dem Schachspiel des einsamen Kreuzritters am Rande des Meeres, mit dem der Film eröffnet.

Wenn's nach Bergman gegangen wäre, wäre die Filmgeschichte ganz kurz ausgefallen. Er ist immer nah an den Anfängen geblieben mit seinem Kino, dem simplen Schmalfilmapparat, den er als Kind betätigte, für den er beim Krämer um die Ecke Schnipsel kaufte und sie mit Essigäther zusammenklebte. In einem Dokumentarfilm sieht man den alten Ingmar mit diesem Apparat hantieren - ein berührender Moment, einer der schönsten dieses großen Werks, das an die Freude gerichtet ist, das die Fülle des Augenblicks feiert. Am liebsten mit den Frauen: "Ich glaube, in mir ist viel Frau, sind viele Frauen. Meine Mutter zum Beispiel war eine sehr starke Frau. Ich war in meine Mutter sehr verliebt. Schon als ganz kleines Kind habe ich um sie gebuhlt. Ich glaube, damit hängt das zusammen. Für mich war es sehr einfach, mich in ein Frauendenken hineinzustellen. Das ist überhaupt nicht schwierig."

Persona non grata

Frieda Grafe war ein wenig entsetzt, 1977, als sie für diese Zeitung Bergman in Geiselgasteig interviewte, wo er das "Schlangenei" drehte, im Münchner Exil. Man hatte ihn, seiner Steuerschulden wegen, auf offener Bühne verhaftet, er sah sich als persona non grata in Schweden. Versöhnlich war dann aber, als er die Freiheit der skandinavischen Frau beschwor, ihre Verantwortung - die Männer waren beim Jagen, zum Krieg, beim Fischen.

Lieber als die Jäger und Fischer waren Bergman allemal die Clowns und Gaukler. Sein "Abend der Gaukler" ist, bei aller existentieller Misere, erst mal ein Zirkusfilm. Um die Jahrhundertwende zogen 55 Zirkusse in Schweden herum, erzählte Bergman, als wir diesen Film drehten, waren es nur noch drei. "Wir lebten vier Wochen zusammen mit dieser Gesellschaft unten in Arild in einer Pension, und dann fuhren wir nach Stockholm und machten die Innenaufnahmen. Da waren wir total miteinander verschmolzen. Wir hatten zusammen gegessen und zusammen gelebt und zusammen geweint und zusammen herumgetobt und in gewissem Maß zusammen gesoffen, und wer Zirkusartist war und wer Schauspieler war und wer Regisseur war oder Affe, diese Grenzen waren vollkommen aufgehoben." Am Montag ist Ingmar Bergman, kurz nach seinem 89. Geburtstag, in seinem Haus auf der Insel Fårö gestorben.

© SZ vom 31.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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