Film über Türsteher Sven Marquardt:Exzess und Kunst

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Gewächs und Chronist der Subkultur: Sven Marquardt. (Foto: Real Fiction)

Die Dokumentation "Schönheit und Vergänglichkeit" über den Berliner Türsteher und Fotografen Sven Marquardt und seine Künstlerfreunde aus Jugendtagen.

Von Sofia Glasl

Sven Marquardt ist der Höllenhund vom Berghain. Als Türsteher des Technoclubs wurde er zur Berliner Institution, die härteste Türe Deutschlands. International hat er sich vor allem als Fotograf einen Namen gemacht. In beiden Rollen hat er die Subkulturen geprägt, dokumentiert und miteinander verwoben. Exzess und Kunst verbinden sich in seinen Fotografien. In den Achtzigern vom ersten Chef wegen seines Punk-Aufzugs ins Fotolabor verbannt, porträtierte er seine Ostberliner Ersatzfamilie aus Künstlern und Bohemiens. Besonders das Model Dominique "Dome" Hollenstein und der Fotograf Robert Paris hatten es ihm angetan, die drei waren über mehrere Jahre hinweg ein Herz und eine Seele. Erste Fotoserien entstanden.

Die Filmemacherin Annekatrin Hendel flaniert gut 35 Jahre später mit dem Dreiergespann durch die Großstadt und die Erinnerungen an eine gemeinsame Jugend kurz vor dem Mauerfall. Anlass: Marquardt will Hollenstein noch mal fotografieren und damit die verstrichene Zeit zugleich dokumentieren und überbrücken. Der Film "Schönheit und Vergänglichkeit" ist ein elliptisches Porträt ohne Anspruch auf Vollständigkeit, verzichtet nahezu vollkommen auf zeitliche Einordnungen oder eingeblendete Hinweise über die Protagonisten. Viel wichtiger ist die kreative Energie, die sie heraufbeschwören. Von einer gemeinsamen Performance im Stadtbad Prenzlauer Berg existieren noch Videoaufnahmen, die Hendel als Zeitdokument verwendet. Marquardt ist darin als langhaariger Goth zu sehen, Hollenstein und Paris als freakiges Brautpaar. Nach und nach erschließen sich die Lebenswege der drei Protagonisten und ihre heutige Beziehung zueinander. Was ist von der einstigen Unangepasstheit geblieben?

Hollenstein verdingt sich als fahrende Händlerin für selbstgebastelten Schmuck. Paris ist nach Indien ausgewandert, hat dort eine Familie gegründet, und Marquardt jettet von Ausstellung zu Ausstellung. Alle drei haben sich an den klassischen Vorstellungen von einem bürgerlichen Leben vorbeilaviert. Man könne nicht ewig fliegen, hat eine Freundin mal zu Hollenstein gesagt. "Kann man doch" lacht sie, sichtlich zufrieden. Die Haltung ist geblieben, auch wenn sie jetzt mehr auf die Gesundheit achten müssen.

Hendel, selbst nur zwei Jahre jünger als ihre 1962 geborenen Protagonisten, macht keinen Hehl aus ihrer Bewunderung für diese Freigeister. Sie lässt die drei über Erinnerung und die eigene Interpretation von Freiheit sinnieren. In Ostberlin sei ihnen das Reisen nicht möglich gewesen, erklärt Marquardt, deshalb hätten sie sich auf eine Zeitreise begeben an Orte, die eine Geschichte haben. Zerfall, Vergänglichkeit und Morbidität wurden so für sie zur Quelle von Kreativität und zum barocken Lebensgefühl, das ihnen eine autarke Parallelwelt jenseits von gedanklichen oder realen Mauern eröffnete.

Schönheit und Vergänglichkeit , Deutschland 2019 - Regie: Annekatrin Hendel. Kamera: Johann Feindt, Martin Farkas, Thomas Plenert. Real Fiction, 80 Minuten.

© SZ vom 05.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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