Film "Four Brothers":Der Western spielt jetzt in Detroit

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Keine Frage, der Western ist zurück. Eine Geschichte von Rache und Selbstjustiz aus den Zeiten der Goldgräber, deren Idee schon 1965 in "Die vier Söhne der Katie Elder" mit John Wayne und Dean Martin verfilmt worden war. Lange galt das Genre als ausgestorben und nicht mehr leinwandtauglich. John Singleton transportiert es in eine urbane Gegenwart - und verstößt mit seinem Film "Vier Brüder" gegen einen Grundsatz des amerikanischen Kinos.

JÜRGEN SCHMIEDER

Wer heutzutage in Detroit lebt, der muss sich auskennen im "Hood", in der Umgebung. Er ist umgeben von Schießereien, Raubmord, Gewaltverbrechen. Nicht umsonst gilt die einstige Industriemetropole als gefährlichste Stadt der Vereinigten Staaten - selbst das Basketballteam trägt seit Jahren den Beinamen "Bad Boys". John Singleton hat die Kulisse mit Bedacht gewählt. Um mit cineastischen Tabus zu brechen, musste er in eine Stadt ziehen, in der ein Menschleben nicht viel Wert ist, wo Gewalt zu Alltag gehört wie Essen und Schlafen. Wo die Helden nicht strahlend auf einem Pferd sitzen und mit glänzenden Colts die Bösewichter erledigen, sondern mit Wollmütze und Lederjacke durch die Straßen ziehen und Tag für Tag moralische Grenzen überschreiten müssen, um überhaupt überleben zu können.

Die Brüder auf Rachfeldzug (Foto: Foto: Paramount)

Vier Halbbrüder treffen sich nach Jahren auf der Beerdigung ihrer Ziehmutter wieder. Sie wurde in einem Supermarkt brutal erschossen, als sie einem jugendlichen Dieb die Leviten lesen wollte. Scheinbar ein Fall von "Zur falschen Zeit am falschen Ort", doch die Brüder ahnen, dass hinter dem Mord eine Verschwörung stecken könnte. "Die Leute, die das verbrochen haben, kommen von den gleichen Straßen wie wir auch. Mom wäre die erste, die ihnen vergeben würde", sagt Jeremiah (Andre Bejamin), der einzige aus dem Quartett, der es zu etwas gebracht hat. Die anderen, vor allem der aggressive Bobby (Mark Wahlberg), denken anders darüber. In Detroit hilft keine Polizei, man muss sich selbst helfen oder untergehen. Also begeben sich die vier Brüder zurück auf die dunkeln Straßen der Stadt, um den Schuldigen zu finden und den Tod der Mutter zu rächen.

Auf den Straßen beginnt der Unterschied zu dem, was in klassischen Western gezeigt wird. Dort sollen Protagonisten rein sein, schon in den ersten Minuten die Sympathie der Zuschauer für sich gewinnen. Vor allem aber töten sie keine Unschuldigen, ihre moralischen Werte genügen Kantschen Ansprüchen. Eine Szene im Film verdeutlicht den Bruch Singletons mit den alten Regeln. Nach einer Jagd durch die Straßen von Detroit stehen die Vier vor ihren Verfolgern. Doch anstatt die Besiegten in Ruhe zu lassen, richten die Brüder sie hin. Ohne Reue, ohne Scham. Das Gut-Böse-System der Traumfabrik wird aus den Angeln gehoben, die Helden bekommen einen dunklen Fleck auf der Seele, eine moralische Reflexion der Tat findet nicht statt. Die Helden sind brutale Killer ohne Gewissen.

Vielleicht war das Genre des Western deshalb so lange von der Leinwand verschwunden. Die narrative Struktur des Genres war wohl zu simpel, nicht mehr zeitgemäß. Die heutige Gesellschaft verlangt nach mehr als einer eindimensionalen Darstellung, sie braucht komplexe Figuren mit streitbaren Eigenschaften. In Amerika argumentierten die Kritiker wie schon 1999 bei "Fight Club": Die Darstellung der Gewalt diene nicht der Handlung, es sei pure Effekthascherei und eine Orgie an Blut und Action. Tatsächlich legt auch "Vier Brüder" sein Augenmerk weniger auf die Handlung, sondern - wie David Finchers Meisterwerk auch - auf die Studie von Charakteren. Dabei hilft vor allem Mark Wahlberg als Bobby. Er kann sich verabschieden von seinem Image als Rapper und Model, sich endgültig als Schauspieler etablieren. Den zwiespältigen Bobby glaubhaft zu verkörpern, hebt Wahlberg auf eine Stufe mit Hollywoods angesehenen Charaktermimen.

Wer in Detroit einmal die Cass Street entlang gefahren ist oder in einer amerikanischen Großstadt im falschen Viertel übernachten musste, wird die Motivation der Figuren verstehen. Für die anderen ist "Vier Brüder" eine gut getimte und spannende Milieustudie, die man schneller vergessen wird als die meisten Western.

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