Festival:Von Dragqueens und Reisbauern

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Der Südostasien-Schwerpunkt bei "Spielart" macht große ästhetische Versprechungen und zeigt viele geschichtskritische Ansätze

Von Sabine Leucht, München

Zum Festivalauftakt wird die Muffathalle gerockt. Jedenfalls kündigt die Spielart-Leitung das an, wenn Tianzhuo Chen aus Beijing mit seiner Pop-Oper München-Premiere hat. Moment mal: Peking und Oper? Die Assoziation führt in die Irre, denn mit der mehr als 200 Jahre alten Peking-Oper hat Chens "An Atypical Brain Damage" nur so viel zu tun, dass es offenbar farbenfroh zugeht und das ignorante, westlich geprägte Auge bewussten und traditionellen Kitsch oder Provokation, folkloristische und kritische performative Elemente oft nicht auf Anhieb unterscheiden kann. Zumal Chen laut Programmheft auch Klischees "des Asiatischen" und "des Europäischen" verhandelt. In seiner installativen Arbeit treffen moderne Kunst, Internet und Club-Culture, Drag-Queens, Reisbauern und Samuraischwerter aufeinander. Die Sinologin Petra Pölzl spricht gar von der "bewusstseinserweiternden" Wirkung des Abends, der "gleichermaßen an einen Drogenrausch im Underground-Club wie an einen Yoga-Retreat im indischen Varanasi" erinnere. Wow! Wenn das mal keine Erwartungen weckt!

Einzelne Künstlerpersönlichkeiten und ihre eigenen Blicke auf die Welt prägten das internationale Freie-Szene-Festival Spielart schon immer. Diesmal kennt man aber zugleich auch weniger Namen als je zuvor, weshalb der Festivalbesuch einen gewissen Expeditionscharakter hat. Das gilt auch für den Schwerpunkt Südostasien. Asiatische Produktionen waren bei den vergangenen Spielart-Ausgaben zwar alles andere als selten. Allerdings schauten die beiden Kuratoren Sophie Becker und Tilmann Broszat diesmal noch mehr als sonst auf die Ränder, wo sich abseits der Megastädte mit ihren großen, exportfähigen Showproduktionen einzelne Künstler auf ihre eigenen kulturellen Traditionen besinnen und in den Worten von Broszat "Gegengeschichten erzählen", die unter anderem von sich wandelnden Identitäten, trügerischen politischen Versprechen und body politics handeln. Die einstigen britischen Kolonien Hongkong und Indien fallen diesmal also weitgehend aus dem Raster. Arbeiten aus dem Hochtechnologieland Japan dagegen sind für Festivalzwecke oft zu aufwendig und teuer.

Und dennoch bleiben noch eine ganze Menge Länder übrig, über die wir hierzulande oft beschämend wenig wissen. Wie etwa das multiethnische, multikulturelle und mehrsprachige Malaysia, das Mark Teh in einer eigens für Spielart produzierten Arbeit auf seine Zukunftsperspektiven hin befragt. Teh ist 1982 geboren und damit ein Angehöriger der unter dem ehemaligen Premier Mahathir aufgewachsenen Generation der "Mahathir Babies", die ökonomisches Wachstum, Korruption und politische Repressionen kennengelernt und neben vielen angepassten auch einige überwiegend autodidaktische politische Künstler hervorgebracht hat. In seiner Performance mit dem sperrigen Titel "Version 2020 - The Complete Futures of Malaysia Chapter 3" setzt er sich mit den Versprechungen des 1991 unter Mahathir veröffentlichten Entwicklungsplans "Wawasan 2020" auseinander, der einst auch seine eigene kindliche Imaginationskraft beflügelt hat - und entwickelt mit einem Team aus politischen Aktivisten, Performern und Filmemachern Extremversionen zur industrialisierten Nationalstaatlichkeit.

Der fragende, zweifelnde, ja sezierende Blick auf die Konstruiertheit historischer Narrationen ist ein Merkmal vieler eingeladener Produktionen. So dröselt etwa Hansol Yoon aus Seoul in "Step Memories - The Return of the Oppressed" den Koreakrieg und seine Folgen einmal aus einer Perspektive auf, die nicht allein der Diktatur im Norden die Rolle des Schurkenstaates zuweist. Viele Künstler aus dem asiatischen Raum sind mit kleineren Beiträgen auch bei "Crossing Oceans" vertreten - dem "Diskurs- und Performance-Wochenende über "Postkolonialismus, Identitäten und Vielfalt", das am mittleren Festivalwochenende im Muffatwerk stattfindet. Ohnehin aber scheint der Schwerpunkt Süd- und Ostasien zweigeteilt: hier die Intellektuellen, dort die Originale.

Zur ersten Gattung scheint Hansol Yoon zu gehören, der von Haus aus Soziologe ist, zur zweiten Tianzhuo Chen oder Eisa Jocson von den Philippinen. Jocson, die man im vergangenen Jahr bei Philippe Quesnes Performance-Zirkus "The Greatest Show on Earth" in den Münchner Kammerspielen erleben konnte, geht der US-amerikanisch geprägten Ikonografie des aufreizend glücklichen Schneewittchens nach, dessen Rolle philippinische Tänzerinnen im Disneyland Hong Kong wegen ihrer Hautfarbe nie bekommen. Jocson aber hat sich stellvertretend für sie Schneewittchen-Codes und -Bewegungen angeeignet und wird sie in "Princess" bis ins Grotesk-Monströse überzeichnen. Ob sie dabei nicht nur schräg, sondern auch klug ist, und die eher analytischen Festivalbeiträge auch ästhetisch rocken, wird man wohl erst sicher wissen, wenn Spielart am 11. November zu Ende ist.

© SZ vom 27.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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