Festival:Starke Stimmen

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Eine Entdeckung: die wunderbare Sängerin Anna Depenbusch. (Foto: Uwe Niklas)

Das Nürnberger Bardentreffen lockt 200 000 Besucher

Von Oliver Hochkeppel, Nürnberg

Es gab Zeiten, da war Hip-Hop beim Nürnberger Bardentreffen noch verpönt. Damals freilich hieß Hip-Hop noch Rap, war fast ausschließlich englischsprachiger Provenienz und hatte speziell in seiner Gangster-Rap-Variante herzlich wenig gemein mit der handgeklöppelten Musik der Liedermacher, die - wie man es dem Namen noch entnehmen kann - die Frühzeit des Festivals prägten. Seither ist viel Wasser die Pegnitz hinabgeflossen, und parallel zu den Umwälzungen der Musiklandschaft hat sich auch das Bardentreffen mehrfach gehäutet. Im Kern ist es zu einem Weltmusikfestival geworden, und in diesem Segment zum größten Deutschlands, wahrscheinlich sogar Europas.

Früher als die meisten anderen Festivals hat man hier das immer unübersichtlichere, globalisierte Musikangebot mit einem jährlich wechselnden Motto strukturiert. In diesem lautete dies - womit wir wieder beim Ausgangspunkt wären - "Rhythmandpoetry", also Rap. 19 der 76 Konzerte waren im Programm explizit mit dem entsprechenden Logo und eigenem Farbcode markiert und mit den "Barden des 21. Jahrhunderts" bestückt, wie der künstlerische Leiter Rainer Pirzkall die Hip-Hopper zu diesem Anlass nannte - von Fiva mit der Jazzrausch Bigband, die nach einem Kurzauftritt wegen Technikproblemen im vergangenen Jahr heuer das Abend-Auftaktkonzert auf dem Hauptmarkt spielen durften, oder den Lokalmatadoren vom Kellerkommando über die Schweizer Lo & Leduc, dem aus dem Kongo stammenden Belgier Balojii oder die skurrilen finnischen "Folktronica"-Rapper Suistamon Sähkö bis zum Spaßprojekt des Schauspielers Robert Gwisdek Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi als Schlussakt.

Wie unter dem Brennglas wurden für alle die Stärken und Schwächen des Genres deutlich: Dass Hip-Hop oft musikalisch nicht viel zu bieten hat, sondern von Texten lebt, die mitunter für eine wie in einem Kult abgeschlossene Fanszene gemacht und gedacht sind; dass er aber andererseits politisch-gesellschaftliche Botschaften transportieren kann wie kaum mehr ein anderes Genre; dass er über den Freestyle einen frischen Improvisationsansatz mitbringt, der auch witzig sein kann - wie etwa Scheibsta & die Buben bewiesen, die aus dem zugeworfenen Satz "Meine Turnschuhe stinken" einen perfekten Song mit Geschichte bastelten.

Freilich haben Pirzkall und das Programmteam das Motto so offen wie möglich gehalten und durch Gesang aller Art begleiten lassen. Die Tradition hat man hier ohnehin noch nie verleugnet und stets auch die alten "Barden" präsentiert (diesmal zum Bespiel Hans Well oder auch, ganz andere Ecke, Peter Fessler). Zum unantastbar Bewährten gehört auch, dass die Stadt an diesen drei Tagen für Straßenmusiker aller Art und jeden Niveaus offen ist, was sozusagen ein Festival im Festival ergibt. Zur Belebung der in den Siebzigerjahren abends verödenden Innenstadt war das Bardentreffen ja einst ins Leben gerufen worden. Ebenso hat man der Versuchung widerstanden, das Festival zu einem Stadtmarketing-Event oder gar einem zweiten Christkindlesmarkt zu machen. Was schon deshalb problematisch wäre, weil in die engen Altstadtgassen kaum mehr als die gut 200 000 Menschen passen, die sich auch heuer bei perfektem Wetter an den drei Tagen hindurchwühlten. Kleinere Bühnen wie Sankt Katharina oder der Kreuzigungshof waren meist schon am Nachmittag wegen Überfüllung geschlossen, auf dem riesigen Hauptmarkt, wo sich die Hauptbühne befindet, gab es oft kein Durchkommen mehr, und selbst die geräumige Insel Schütt wurde das eine oder andere Mal dicht gemacht.

Festival-Leiter Rainer Pirzkall hat heuer nicht mit den ganz großen Namen gearbeitet - die sieht man ohnehin reihum auf den anderen Festivals. Aber auf seine Auswahl war in mehrfacher Hinsicht Verlass: Auf den verschiedenen Bühnen fanden sich fast immer die genau darauf passenden Künstler. Und die jeweilige Reihenfolge ergab fast immer einen perfekten Bogen. Vor allem aber konnte jeder wieder Entdeckungen machen wie etwa die wunderbare Anna Depenbusch, die im portugiesischen Fado verwurzelten Cristina Branco und Antonio Zambujo, oder den malischen Lauten-spieler Bassekou Kouyaté und seine stimmgewaltige Frau Ngoni Ba, bei denen man die Magie der Wiederholung mit leichten Variationen verstehen lernt.

Aber auch für die meisten Kenner der Szene war die niederländisch-ungarische Kooperation der Amsterdam Klezmer Band & Söndörgö unbekannt, die den Hauptmarkt mit unerhörter Wucht, instrumentaler Extraklasse und einem um fast jeden denkbaren Stil bereicherten Klezmer-Donnerwetter rockten. Drei Tage lebt man hier in einer Klangwolke und kaum wird abgebaut, freut man sich schon wieder auf das nächste Mal.

© SZ vom 31.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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