Festival:Irrwitzige Trompetenläufe

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Die Echinger "Brass Wiesn" verbindet Bayern mit dem Rest der Welt

Von Michael Zirnstein, Eching

Der musikalische Höhepunkt der "Brass Wiesn" erscheint wie ein Rückfall. Stefan Dettl, Treibauf der weltgewandten Chiemgauer Turbo-Bläser La Brass Banda, bittet Josef Menzl für eine gemeinsame Nummer auf die Bühne. So wie sich der Star der jungen Blasmusikszene vor drei Jahren einen Lebenstraum verwirklichte, als er hier in Eching seine Idole der amerikanischen Hip-Hop-Combo Youngblood Brass Band durch minutenlanges Rufen zu sich aufs Podium nötigte. Jetzt also Menzl, dessen Kapelle eben noch mit bajuwarischen Ballermann-Polkas à la "Sie schreit Sperma, Sperma, sperr ma doch es Haustürl auf" die berauschte Menge im Bierzelt auf die Bänke trieb. Dettl nennt ihn einen "bayerischen Superheld". Und so zieht um Mitternacht jene Truppe mit dem Defiliermarsch vor etlichen Tausend Zuhörern ein, die sich ihrer eigenen Legende nach bei einer Schlägerei gegründet hat und "beide Arten von Blasmusik" spielt: "bayerische und böhmische". Die zehn Pentlinger und ein auf den Schultern des Trommlers hockender Sesamstraßen-Erni wählen eine böhmische Polka aus. Ungeprobt setzen die sieben studierten Musiker von La Brass Banda ein. Und nie war der Publikumschor an dem Wochenende mächtiger als bei diesem Egerländer Ernst-Mosch-Klassiker: "Auf die Vogelwiese ging der Franz, weil er gern einen hebt, und bei Blasmusik und Tanz, hat er so viel erlebt ..."

Und was passte besser zu diesem Blasmusikfestival? Doch könnte so viel volkstümelnde Einmütigkeit einen nüchternen Geist auch bedenklich stimmen. Hier, wo sich 10 000 Gäste an den Buden nicht nur mit Trompeten und Flügelhörnern ("alles andere sind Begleitinstrumente") versorgen können, sondern sich auch einkleiden in einer ganzen Kollektion mit dem Spruch "Bayern is a Weltmacht". Das mag frech und einend gemeint sein, wirkt aber in seinem Aufmanndln putzig und ist schon deshalb ein Schmarrn, weil die Hemdchen mangels einheimischer Baumwollproduktion in Bangladesch hergestellt werden müssen. Jedenfalls hinterlässt derlei den Odelgeruch eines tumben Stammesstolzes. Darin liegt vielleicht eine Gefahr bei einem reinen Blasmusikfestival, das sich mit Oldtimer-Traktoren, Gaudihütten und Strohballen herausgeputzt hat wie ein "Unser Dorf soll schöner werden"-Kandidat.

Dieses immer etwas arrogante "Mia san Mia" spielt sich aber - den Veranstaltern sei Dank - meistens nicht auf den fünf Bühnen ab. Dort verbindet Blasmusik Bayern mit dem Rest der Welt. Da feiern die Besucher, von denen viele selbst in Kapellen spielen, die Roma-Helden Fanfare Ciocarlia aus dem Kaff Zece Prăjini für ihre irrwitzigen Trompetenläufe. Und die rumänischen Mannsbilder mit den dicken Backen und Bäuchen verkaufen ihren Balkan-Bombast als das einzig wahre Potenzmittel, wenn Trompeter-Boss Costica "Cimai" Trifan sein "Mister Lova Lova" in die Menge pumpt. Da können selbst die lässigen Chicagoer Boys des Hypnotic Brass Ensembles nicht mithalten, trotz nackter Oberkörper, lässig-synchronen Beckenschwungs und latin-geflavourtem Conga-Jazz-Rauschs in Hingabe an John Coltrane, Miles Davis, James Brown und Earth Wind and Fire.

Und dann die Show "Alpin Drums" des Garmischers Toni Bartl: Was zunächst auf Holzbankerln stelzend daherklappert wie jenen Touristenbelustigungen in den Dorfsälen der Nachkriegszeit, macht sich bald auf zur großen Reise: Auf Omas Bettpfannen spielt das Old-Boys-Quartett tibetische Gongmusik, auf Milchkannen dengelt es super Samba, und Wetzsteine auf Sensen - "A gmaade Wiesn" - lassen zu japanischen Kampfschreien "Oh When The Saints" und "Frere Jacques" erklingen, während der Jüngste mit benippeltem Kälbertränkeimer auf dem Kopf Berlin Techno-Jump-Style tanzt. Welch Clash of Cultures! Und witzig, auch wenn manch Gag grob klöppelt: Etwa wenn der alte Bartl als Girl from Ipanema im Bastrock tanzt.

Das "schönste Kleid des Festivals" indes trägt laut Monobo Son-Sänger und -Posaunist Manu Winbeck der Quertflötist Wolfi Schlick. So sehr Hippie-mäßig der in seinem Kaftan auch rüberkommt und so herrlich weltoffen dieser Münchner La-Brass-Banda-Ableger mit seinen gut gelaunten Offbeat-Mantras wie "Hey schöne Wienerin, du hast mir doch die Nummer geb'n" ist, so offenbart der Spruch doch einen Mangel: Es gibt kaum Frauen auf der Bühne der Brass Wiesn. Das wäre der einzige Vorwurf an La Brass Bandas Stefan Dettl. Der stellt beim Blick in die aufgeputschte Menge fest: "Vor 20 Jahren war Blasmusik eine verstaubtes Geschäft. Hey, jetzt sind laute heiße Mädels im Publikum." Ja, eben nur im Publikum, auch La Brass Banda ist eine Macho-Band. Aber Dettl ist ein Lieber. Wieder mal will er alle umarmen, tunkt sein Mikro am langen Ständer in die Menge. Niemand puscht die Fans wie er, auch weil er sie nicht mit Plattitüden anzukurbeln versucht, sondern sie ganz persönlich bei der Ehre packt: "Hey, ihr seid'd doch die besten Herndl- und Trompetenspieler da unten ... da muss mehr gehen." Dettl spürt, was los ist - auch in der Blasmusikzunft.

Er fleht fast: "Herz und Liebe muss in die ganze Welt! Es ist wurscht, woher man kommt." Aber er hat eben auch in Chiemgauer Kapellen gespielt und weiß, dass er nicht nur seine Helden aus Übersee ehren muss, sondern auch seine Wurzeln. So reiht er sich diesmal ein in Menzels Mannschaft. Ein schöner Zug, ein berührender Moment in Eching, der sagt: Hier san mir mia und mehr.

© SZ vom 06.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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