Fernsehen:Der Alleskönner

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"Ich fände es grauenhaft, wenn ich nur Hörspiele machen würde." Andreas Ammer auf der Bühne der Kammerspiele bei den Proben zu "The King Is Gone". Im Hintergrund die Musiker der "Hochzeitskapelle": Micha Acher, Mathias Götz, Evi Keglmaier und Alexander Haas. (Foto: Raymond Römke, SZ-Foto)

Andreas Ammer schreibt Hörspiele, dirigiert mit Blicken auf der Bühne, dreht TV-Beiträge und Dokumentarfilme. Sein jüngster, über Karl Valentin, ist an diesem Dienstag im BR zu sehen

Von Sabine Reithmaier

Eine peinliche Frage, sagt Andreas Ammer. Gerade hat er sich im Berger Oskar-Maria-Graf-Stüberl wieder auf die Bank gesetzt, nachdem er die Bedienung freundlich überredet hatte, die Berieselungsmusik abzustellen. Ob er zu viel könne? Er zögert. Die Frage ist ein Zitat aus seinem jüngsten Dokumentarfilm "Wrdlbrmpfd! Karl Valentin: Der Unverstandene". Christian Springer beschreibt mit diesem Satz den Münchner Komiker. Ihm käme es nicht so vor, sagt Ammer. Was ihm allerdings schon aufgefallen ist: Dass ihn Menschen manchmal fragen, ob er den anderen Andreas Ammer kennen würde, den Typen, der die komischen Sachen im Radio macht oder, alternativ, denjenigen, der fürs Fernsehen arbeitet.

Sein Name taucht eben oft auf. Vor zehn Tagen auf Arte, dort lief seine Dokumentation über Teodor Currentzis, den neuen Chefdirigenten des SWR Symphonieorchesters, den er acht Monate lang begleitet hatte. Live war Ammer gerade in den Kammerspielen zu erleben, dort brachte er sein preisgekröntes Hörspiel "The King Is Gone" auf die Bühne. Ein sehr lustiger Abend über die Flucht König Ludwig III., der München aus Frucht vor der Revolution verlässt. Und jetzt "Wrdlbrmpfd!". Na ja, sagt Ammer und zuckt mit den Schultern, das ändere sich auch wieder. "Dann kommt wieder ein paar Monate nichts."

35 Hörspiele hat der 58-Jährige inzwischen geschrieben, zweimal die wichtigste Auszeichnung der Sparte, den Hörspielpreis der Kriegsblinden, erhalten. Aber jetzt will er über seine Filme reden. "Ich mache einfach wahnsinnig gern Fernsehen." Er liebt es, in Schneideräumen zu sitzen und an den Aufnahmen solange rumzuschnippeln, bis die Bilder eine neue Geschichte ergeben. "Ich versuche etwas zu finden, was bisher noch nicht so erzählt wurde und Valentin in die Jetztzeit holt." Nicht einfach, schließlich gibt es schon eine Reihe von Filmen über den Komiker. Auch Ammer selbst hat sich 2004 intensiv mit ihm befasst, als er mit dem Cellist Sebastian Hess die "Heimspiel" betitelte Sprachoper für Valentin und ein Fußballstadion schuf. Die Premiere im Sechzgerstadion mit Sepp Bierbichler, produziert von den Münchner Opernfestspielen, war ein großer Erfolg. Zumindest gefühlt hat er damals alle seine Valentin-Ideen in diese Produktion gesteckt. "Von daher ist mir der Film erst nicht leicht gefallen."

Sebastian Hess ist nur einer der Musiker, mit denen Ammer zusammenarbeitet. Noch öfter ist er mit FM Einheit, Ulrike Haage ( Rainbirds) und Console (Martin Gretschmann) unterwegs. Oder mit Micha und Markus Acher ( The Notwist), die in den Kammerspielen den Kern der Hochzeitskapelle bildeten. Er selbst könne ja keinen Takt halten, sagt Ammer. Aber zum Einsatz geben reicht es, das konnte man während "The King Is Gone" erleben, wobei er meistens nur mit Blicken dirigiert. Vermutlich würden Schauspieler und Musiker auch ohne ihn zurecht kommen. "Aber lieber habe ich oben auf der Bühne nichts zu tun, als unten im Zuschauerraum vor Angst zu schwitzen."

Ammer hat Germanistik, Philosophie und Geschichte der Naturwissenschaften studiert, jobbte erst an der Uni. In einer Zwischenprüfungskommission saß der junge Dozent zufällig neben Meinhard Prill. Sie fühlten sich gemeinsam unwohl, und Prill erzählte Ammer von dem Angebot Alexander Kluges, Beiträge für seine Sendung "Stunde der Filmemacher" auf Sat 1 zu drehen. Alle zwei Wochen, 18 Minuten. Prill wollte das Wagnis nicht allein eingehen, und so kam Ammer ins Spiel, der über eine immense Fernseherfahrung verfügte - "als Kabelhilfe, Hilfsaufnahmeleiter, Regieassistent". 9000 Mark gab es für die fertige Sendung. "Wir fühlten uns reich, wir hatten ja keine Ahnung." Nach einem Jahr wussten sie besser, wie Fernsehen funktioniert und vor allem, wie teuer es ist. Danach landete Ammer im "Capriccio"-Team des BR, genoss die anarchistische Spielfreude, die dort herrschte - "gibt es aber nicht mehr" -, und wechselte dann für sieben Jahre zu Spiegel TV. Und: Kann er jetzt Fernsehen? "Die vom BR behaupten noch immer, ich könne es nicht."

Sieht aber so aus, als beherrsche er das Fach inzwischen ziemlich gut. Sonst würde er nicht seit 2003 gemeinsam mit Denis Scheck die Literatursendung "Druckfrisch" gestalten. Schon 2011 wurden die beiden für ihre innovative Art, Literatur zu inszenieren, mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Ammer entscheidet, wo ein Autor aufgenommen wird, wie das Ambiente auszusehen hat, wo die rot-weißen Flatterbänder den Set markieren. Nie lässt er einen Schriftsteller vor einem Bücherregal filmen, geschweige denn an einem Schreibtisch. "Der Literat muss sich in der Welt bewähren", wenn es sein muss mitten auf der Straße, umtost von Autos. Das Format muss zum jeweiligen Medium passen, so lautet ein Grundsatz Ammers. Literatur darf auch im Fernsehen nicht langweilen. Und nein, sie fliegen nicht wegen einer Literaturempfehlung rund um die Welt. "Aber ich habe es gern, wenn es so aussieht." Fernsehen sei eine Illusionsmaschine, weshalb eine Wüste in Kalifornien auch mal als Wüste in Afrika gelten darf. Er verabscheut die "Vershowisierung" des Fernsehens, "die arbeiten doch an ihrer eigenen Abschaffung".

Während er für seine Filme eher Aufträge abwartet - "Da bin ich kein so guter Themengenerator" - denkt er bei den Hörspielen ständig darüber nach, worüber er sein nächstes machen könnte. Der Erstling "Orbis auditus" (1990) entstand als "Abfallprodukt" noch an der Uni, als er ein Seminar über Kurt Schwitters leitete und ein Student die "Ursonate" aufführen wollte. Das brachte Ammer auf die Idee, ein Hörspiel aus Klang-Gedichten zu entwickeln. "Ein Lautgedicht im Buch ist Quatsch, das gehört ins Radio."

"Orbis auditus" wurde Hörspiel des Jahres, was die Produktion der nächsten Werke erleichterte. Seither sucht er nach Themen, die akustisch existieren. In "Sie sprechen mit der Stasi" (2016) verwendete er Originalaufnahmen des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit. "Crashing Aeroplanes" (2001) basiert auf Originalaufnahmen der Black Boxes abstürzender Flugzeuge. Auch Dantes Hölle ( "Radio Inferno") oder der Weltuntergang ("Apocalypse Live") funktionieren im Radio besser als im Film, weil Geräusche und Musik die Vorstellungskraft stärker anregen als Bilder.

Inzwischen ist es Normalität geworden, in Hörspielen mit Musik zu experimentieren. Aber in den Neunzigerjahren wurde Ammer noch als Totengräber des Hörspiels beschimpft. Widerspruch ist er gewohnt, auch als Gemeinderat. In Berg, wo er seit Jahren lebt, sitzt er für QUH im Gremium, eine Wählergemeinschaft, die er vor fast 15 Jahren mitgegründete. QUH steht für quer, unabhängig, heimatverbunden - "das ist meine soziale Aufgabe". Ehefrau Elke Link ist dritte Bürgermeisterin.

Was ihn mit Karl Valentin verbindet: Er mag es nicht, auf eine Rolle festgelegt zu werden. Valentin reichte es nicht, Kabarettist und Volkssänger zu sein, er machte auch noch Filme, baute sein Panoptikum, schuf seine Kunstwerke. "Ich fände es grauenhaft, wenn ich nur Hörspiele machen würde." Oder nur Fernsehen. Dass sich freilich Valentin seines eigenen Wertes nicht bewusst war und nicht merkte, was er der Welt schenkte, das könnte genuin bairisch sein, überlegt Ammer. Sein Blick schweift zu den Fotos von Oskar Maria Graf. "Exilant und links gewesen zu sein, ist bis heute nicht toll", sagt er dann. Und rätselt während des Aufstehens, warum es kein "gscheites" Kurt-Eisner-Denkmal gibt. Der Erfinder des Freistaats - "in jedem anderen Land wäre er Nationalheiliger, bei uns ist das eher Franz Josef Strauß."

Wrdlbrmpfd! Karl Valentin: Der Unverstandene , Di., 29. Jan., 22.30 Uhr, Bayerisches Fernsehen

© SZ vom 29.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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