Favoriten der Woche:Mach dich bekannt

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(Foto: N/A)

Vertonte Gedichte von Norbert Scheuer, Queere Fotos aus Südafrika, "Can" in Soest, der kubanische Protest-Hit "Patria y Vida" und die Frage: Kann man mit virtuosem Scheitern das Netz austricksen?

"Brot und Seele"

Ob man aus Bescheidenheit Musik machen kann, muss eine Frage sein bei der Vertonung von Norbert Scheuers Gedichten. Der Schriftsteller ist für seine Liebe zur Nahwelt bekannt, zur Eifel und ihren Menschen. Keine viel besungene Region, aber zuletzt durch die Hochwasser dramatisch in den Blick gerückt. "war immer zufrieden / mit meiner Bedeutungslosigkeit", heißt es im Gedicht "Brot und Seele", das die Jazz-Trompeterin und Sängerin Susanne Riemer mit dem Gitarristen Wilhelm Geschwind für ein gleichnamiges Album (Sulaja Records) vertont hat. Riemer singt wie mit der Stimme des Windes, der Rhythmus der Bassgitarre lässt einen über den Verwandtschaftsgrad des schönen Eifeldialekts mit dem Bossa Nova nachdenken. Einige Texte hat Scheuer extra für dieses Album geschrieben und verwandelt sich wieder zauberhaft bescheiden der Musik an. Marie Schmidt

Sarah Brand in "Red Dress". (Foto: Sarah BrandScreenshot Youtube)

Red Dress

Schon wenn am Anfang die Buchstaben erst ins Bild fliegen und dann wieder raus, im Stil von Heimvideotricks der Neunziger, schöpft man Verdacht: Irgendwas stimmt hier nicht ganz. "Red Dress" heißt der Musikclip, der seit Wochen die sozialen Medien beschäftigt. Und der einen in ein Wahrnehmungsdilemma stürzt, in dem man sich weiter verklebt, je fleißiger man es zu lösen versucht. Die Sängerin, Hauptdarstellerin und Regisseurin heißt Sarah Brand, eine bislang Unbekannte. Im Video spielt sie die zaudernde Braut, die sich bei der Hochzeit von allen angestarrt und abgekanzelt fühlt. Bis ihr Alter Ego auftaucht, sie selbst im knappen roten Kleid, mit plötzlich immensem Selbstbewusstsein.

Was schon ungelenk genug wäre, wenn sie den zugehörigen Song nicht auch noch ohrenzerfressend falsch singen würde. "Sie trifft alle Töne, aber immer zur falschen Zeit", schreibt ein Kommentator auf Youtube, wo "Red Dress" über eine Million Aufrufe hat. Ein anderer: "Das ist so, als würde man alle Klaviertasten gleichzeitig drücken und daraus einen Menschen machen." Videos, die das Scheitern ihrer Protagonisten dokumentieren und so zu hämischen Viralerfolgen werden, gibt es seit Erfindung des User Generated Content. "Red Dress" steht in diesem Kosmos nun für die totale Zeichenverwirrung. Der Clip hat eine so professionelle Aura, ist aber in anderer Hinsicht derart spektakulär misslungen, dass fast nur ein Schluss möglich ist: Es muss Absicht sein, eine gezielt gestellte Falle. Aber zu welchem Zweck? Die begleitende Reddit-Diskussion hat längst luftige Metaebenen erreicht.

Die Nachricht, dass die Urheberin in Oxford Soziologie studiert, hat die Verstörung komplett gemacht. Eventuell ist das grottige Video also Teil eines Experiments, einer wissenschaftlichen Recherche. Sarah Brand selbst ist in den Interviews, die sie gegeben hat, der Frage ausgewichen. Es gehe in "Red Dress" um Außenseitertum, sagt sie vage, und seinen Zweck habe das Werk erfüllt. Welcher das war, lesen wir dann vielleicht bald in ihrer Masterarbeit. Aber vorher wird sicher irgendwer eine Parodie anfertigen. In diesem Fall wäre das: eine korrekt gesungene Version. Die Geschichte der viralen Memes muss neu geschrieben werden. Joachim Hentschel

Can live in Soest

Im November 1970 erlebte Deutschland die Invasion von fünf Rock-Aliens. Sie landeten auf der Soester Kirmes und paralysierten die Dorfjugend mit stahlhartem Bass- und Gitarrenspiel. Wer die fünf waren? Die größten ihres Faches, Genies, Titanen - Can. Gerade war Damo Suzuki dazugestoßen, ein 20-jähriger Japaner mit dem Aussehen eines Samurais. Band-Gründer Holger Czukay hatte ihn in München auf der Straße während einer Sonnenbeschwörung angesprochen, und jetzt schrie er ins Mikro, johlte und ließ halb nackt sein schwarzes Haar auf- und niederhüpfen. Wer in Deutschland hatte je so was gesehen, hatte je gehört, dass eine Orgel kreischen und dass ein Rhythmus wie Peitschenhiebe wehtun kann? Die Urgewalt dieser Musik erreichte ein Maß, auf das die meisten nicht vorbereitet waren: Und zum Schluss des Konzerts "Paperhouse" von ihrer größten LP "Tago Mago", die kurz darauf erschien. Eine schmerzvolle Klage zu Beginn, doch plötzlich das Crescendo, bei dem selbst der so ruhige Czukay fast außer sich gerät. Ein rockhistorisches Ereignis - festgehalten in Schwarz-Weiß und abrufbar auf Youtube. Marc Hoch

Aktivismus in schlichtem Schwarz-Weiß

Weltbekannt ist die Fotografin spätestens seit der Documenta 13, da widmeten die Kuratoren Zanele Muholis schlichten schwarz-weißen Porträts von queeren, in ihrem Heimatland diskriminierten Südafrikanerinnen einen ganzen Saal. Konsequent richtet die 1972 in Umlazi geborene Künstlerin ihre Kamera auf Lesben, Sexarbeiterinnen oder die Überlebenden homophober Gewaltverbrechen in den Townships. Ihr außergewöhnliches Werk ist in diesem Jahr so etwas wie die Kunst der Stunde: Im Frühjahr richtete ihr die Tate Modern in London eine gewaltige Retrospektive mit Hunderten Fotografien aus. Im Herbst wird Zanele Muholi dann im Berliner Gropius-Bau in einer großen Überblicksausstellung gewürdigt.

Doch ist es das Sprengel-Museum in Hannover, dem die "visuelle*r Aktivist*in", als die sich Zanele Muholi selbst apostrophiert, eine Sensation geschenkt hat: Denn dort sind jetzt, neben Fotografien und zwei großen Videoarbeiten, erstmals auch Gemälde zu sehen, ausgerechnet in einer Ausstellung anlässlich der Verleihung des Spectrum-Preises für Fotografie. Auf den Leinwänden setzt sich in fast monochromer Palette der ruhige, persönliche Stil der fotografischen Porträts fort. Die mit weichem Pinsel in Braun, Grau und Schwarz gezeichneten Protagonisten wirken aber fast wie überzeitliche Charaktere, allen zeitgenössischen Zusammenhängen entrückt. Der Titel der Schau "Zazise" (sie ist noch bis zum 10. Oktober zu sehen) ist ein Begriff aus Muholis Muttersprache isiZulu und bedeutet so viel wie "mach dich bekannt". Es ist das Credo einer Fotografie, die mit Bildern und visuellen Archiven an der Auflösung von Repressionen und Terror arbeitet. Catrin Lorch

Yotuel Romero bei einer Demonstration gegen die kubanische Regierung in Miami. (Foto: Eva Marie Uzcategui/AFP)

"Patria y Vida" aus Kuba

Da wir hier grad alle von Musik reden: Hat noch jemand den Buena Vista Social Club im Ohr, diese rührenden älteren Herren aus Kuba, über die Wim Wenders vor rund 20 Jahren diesen Film ... , ja? Und auch die Hip-Hop-Version von deren Hit "Chan chan"? Die war nämlich von der Gruppe Orishas, die auch dauernd lief, als dann überall Kuba-Bars aufmachten, in denen meist Exil-Chilenen bedienten. Jedenfalls: Die Rapper von Orishas sind längst selber im Exil, und einer von ihnen, Yotuel Romero, steckt nun gemeinsam mit Gente de Zona, Descemer Bueno und ein paar anderen hinter dem Song "Patria y Vida", der bei den jüngsten Protesten auf Kuba zum Schlachtruf geworden ist, so als Alternative zum grimmigen "Patria o Muerte" der ewigen Altrevolutionäre dort. Hört man jetzt auch hier dauernd bei Exil-Kubanern, die in den neuen Ceviche-Restaurants so tun müssen, als seien sie Chilenen oder Peruaner. Wer selbst in ähnlichem Zusammenhang "Wind of Change" von den Scorpions in die Welt gesetzt hat, ist da lieber still und hört sich das in Demut an. Peter Richter

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