Favoriten der Woche:Sackgasse auf dem Holzweg

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Fünf Favoriten der SZ-Redaktion: Ein Buch über Mies van der Rohe, ein Kurzfilm von Gaspar Noé, ein Buch über Hummus, der Starnberger See im Mai und "Morgenstimmung" von den Flowerpornoes

Von SZ-Autoren

Mies' Bauhaus 1933

Die Neue Nationalgalerie, die gerade grundsaniert worden ist, gilt als Ludwig Mies van der Rohes triumphale Rückkehr nach Berlin. Aber was passierte vor seinem Weggang? Das Berliner Mies-van-der-Rohe-Haus hat aus Anlass des 135. Geburtstags des Architekten gleich ein Mies-Jahr ausgerufen, um Licht in Mies' vermutlich dunkelste Jahre zu bringen. Das Gebäude, in dem das kleine Museum heute sitzt, wurde damals gerade errichtet, als Low-Budget-Haus für ein kinderloses Paar in Hohenschönhausen. Abgesehen davon saß Mies offensichtlich zwischen allen Stühlen. Als letzter Bauhaus-Direktor hatte er es mit einer stramm kommunistischen Fraktion von Studenten zu tun, die ihm schon die Beschäftigung mit Einfamilienhäusern per se übelnahmen, von der anderen Seite her machten die Nazis Druck. Am 11. April 1933 ließen sie die Räume des ihnen aus verschiedenen Gründen verhassten Bauhauses versiegeln. Mitte Juli '33 wurde es endgültig geschlossen. In einer aufschlussreichen neuen Eigenpublikation des Museums ( "Ausgebootet: Mies van der Rohe und das Bauhaus 1933", deutsch und englisch, 20 Euro) rekonstruiert der Architekturhistoriker Fritz Neumeyer, was Mies in der Zwischenzeit eigentlich tat, als das weitere Schicksal für einen Frühling und Sommer noch in der Schwebe hing. Antwort, kurzgefasst: Er ging mit den verbliebenen Studenten erstaunlich oft auf Bootsausflüge ins Umland von Berlin, ließ dort klassizistische Baudenkmale von Schinkel und Gilly untersuchen und hinterher in Gartenlokalen bei Kaffee und Kuchen besprechen. Diese Freiluftseminare sind beklemmende, aus der Not geborene Idyllen, während sich die Schlingen enger ziehen: Mies unterzeichnet erste Ergebenheitsadressen, das Nazi-Regime schleift trotzdem sein Ehrenmal für die Revolutionäre Luxemburg und Liebknecht. 1938 siedelte er dann nach Amerika über.

Bei seiner Rückkehr mit der Neuen Nationalgalerie, wurde - es waren die späten Sechziger - zur Eröffnung auch für eine Wiedererrichtung seines Revolutionsdenkmals demonstriert. Zu den Höhepunkten dieses Mies-Jahres im Berliner Mies-Haus gehört, dass genau das nun endlich geschehen soll, und zwar noch diesen Herbst. Peter Richter

"Lux Æterna" von Gaspar Noé

Béatrice Dalle in "Lux Æterna". (Foto: Alamode Film)

Sind alle Menschen, die beim Film arbeiten, verrückt? Selbstverständlich, zeigt Gaspar Noé in seinem Kurzspielfilm "Lux Æterna". Das gut 50-minütige Werk feierte vor zwei Jahren Premiere in Cannes, wo Noé seit seinem Vergewaltigungsdrama "Irreversible" als sympathisch berechenbare Skandalnudel des Autorenfilms gilt: Aus seinen Filmen stürmen immer verlässlich empörte Zuschauer hinaus. Wer Noé mal getroffen hat, weiß, dass ihm das natürlich bestens gefällt und er systematisch an seinem Ruf arbeitet. Zum Beispiel beim Interviewtag zu seinem 3-D-Porno "Love" vor einiger Zeit in München. Da saß der Mann in einer Suite des Bayerischen Hofs und sah aus, als hätte er die ganze Nacht Wodka gesoffen und keine Minute geschlafen. Was, wie sich dann im Gespräch herausstellte, daran lag, dass er die ganze Nacht Wodka gesoffen und keine Minute geschlafen hatte. Das Gespräch ist bis heute das wirrste, was man als Filmjournalist je ins Diktiergerät gebrabbelt bekommen hat. Sein Kurzfilm "Lux Æterna" jedenfalls ist nun in Deutschland als DVD, Blu-Ray und Video on Demand erschienen. Es geht um zwei französische Schauspielerinnen, die sich mehr oder weniger selber spielen und im Film auch ihre echten Vornamen tragen: Charlotte Gainsbourg und Béatrice Dalle. Beide halten sich an einem Filmset auf, Charlotte spielt die Hauptrolle, Béatrice inszeniert - ihre erste Regiearbeit. Zunächst erzählen sich die beiden beim Wein absurde Geschichten aus ihren Karrieren, wie zum Beispiel ein Jungschauspieler aus Nervosität auf Charlottes Bein ejakulierte. Dann gehen die beiden ans Set. Die nervöse Gschaftlhuberei bei Dreharbeiten zeigt Noé in Splitscreens, sodass ständig alles gleichzeitig passiert und alle durcheinanderreden. Der Film, der im Film gedreht wird, ist eine Art Hommage an Carl Theodor Dreyers "Tag der Rache", zumindest ist ein Scheiterhaufen aufgebaut und es steht eine Hexenverbrennungsszene an. Zwischen dem ganzen Gewusel blendet Noé Schrifttafeln mit Zitaten von Jean-Luc Godard und Rainer Werner Fassbinder ein. Zum Schluss gibt es Probleme mit der Technik. Das ganze Set versinkt in Stroboskoplicht mit einem unerträglichen Piepsgeräusch, das sehr, sehr, sehr lange anhält. Ist das Kunst? Ist das Quatsch? Selbstverständlich lautet die Antwort auf beide Fragen: ja. David Steinitz

"On the Hummus Route"

Die Kichererbse verbindet die Menschen in Nahost - ihre Kulturgeschichte und Rezepte sammelt dieses Koch- und Lesebuch. (Foto: N/A)

"On the Hummus Route" ist zwar ein Kochbuch, verrät über den Nahen Osten aber mindestens so viel wie ein Sachbuch oder ein politischer Roman. Denn wie viel die Menschen dort trotz der wieder jüngsten kriegerischen Auseinandersetzungen gemeinsam haben, zeigt ein Blick auf die Teller. Auf der Fährte der Kichererbse reisten die Autoren nach Damaskus und Kairo, nach Beirut und Jerusalem, trugen Rezepte und die Kulturgeschichte dahinter zusammen. Das alles schmeckt gut und nährt den Rest an Hoffnung, dass auch Menschen aus Gaza und Tel Aviv irgendwann wieder an einem Tisch sitzen werden. Auf Deutsch wird das Buch erst im Herbst erscheinen, bereits jetzt kann man die englische Originalausgabe erwerben oder die sehr günstige digitale Version ( hummusroute.com). Ein E-Book ist zwar weniger sinnlich - aber, und das ist in einer Küche nicht das schlechteste, abwischbar. Moritz Baumstieger

Starnberger See

Sackgasse auf dem Holzweg (Foto: RJB)

"Summer surprised us," dichtete vor 100 Jahren T.S. Eliot, "coming over the Starnbergersee With a shower of rain". Eliot hat wohl das Jahr 2021 im Sinn gehabt, für die Kelten begann der Sommer mit dem Fest Beltane am 1. Mai. Wer seuchenbedingt derzeit um den See radelt, kommt von Schauern in die Tropensonne in den Herbststurm in einen Schauer. Das Alpenpanorama mit der abgeknickten Zugspitze wirkt angemessen kitschig wie die Filmkulisse für den fälligen CSU-Showdown, am Gedenkkreuz für den Kini sieht man manchmal Erzbayern betend knien und mit dem Doktor Gudden alle Saupreißn verfluchen. Und dann ist da plötzlich dieses in einen Baum eingewachsene Sackgassenschild, das aussieht, als hätte es Anselm Kiefer da hingestellt. Eliot hätte seine Freude gehabt. Reinhard J. Brembeck

"Morgenstimmung" von Flowerpornoes

In diesen aufregenden Jahren Mitte der Neunziger, als es plötzlich wieder ganz fantastische deutsche Rockmusik gab, die einen beim Kragen packte und dabei tolle Frisuren trug - da hörte man, wenn einem die gängigen Bands zu gefallsüchtig waren, die Flowerpornoes aus Duisburg. Tom Liwa, Sänger und Herzschläger, ein leicht unausgeschlafener und grantiger, dafür grenzenlos aufrichtiger und sturmfester Poet, begann bald, immer schrulligere Wege zu gehen. Für alle, die ihn dabei irgendwann verloren haben, dürfte "Morgenstimmung" eine grandiose Nachricht sein: Das neue Album der Flowerpornoes ist eine Offenbarung, ein großartig wummerndes Amalgam aus Gitarrenlärm, süß zerzausten Melodien und Singalong-Bewusstseinsströmen. Nur über tomliwa.bandcamp.com zu bekommen, umso dringender zu empfehlen. Joachim Hentschel

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