Evelyn Schlag ,,Architektur einer Liebe'':Sowieso

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Mit 50 Jahren kann man die Liebe souverän leben - der Mann hat mit der Emanzipation der Frau gleichgezogen und beide leben im Respekt zueinander. Doch wie lange?

Eva-Elisabeth Fischer

Toria Monti ist mit 50 Jahren da angekommen, wo sich etliche Geschlechtsgenossinnen ihres Alters in jungen Jahren und zur Blüte der Frauenbewegung hingewünscht hatten: ganz oben auf der Karriereleiter. Monti, oder besser gesagt die Monti, Protagonistin in Evelyn Schlags Roman ,,Architektur einer Liebe'', ist wohl gedacht als literarische Nachfahrin von Gae Aulenti und Pendant zu Zaha Hadid, den beiden prominentesten zeitgenössischen Architektinnen, die mit Bravour und höchst elegant etliche ihrer männlichen Kollegen weit hinter sich lassen.

Evelyn Schlag (Foto: Foto: Alfred Lichtenschopf/ Zsolnay Verlag)

Ein Kuckucksei im ägyptischen Exil

Evelyn Schlag beschreibt Toria darüber hinaus so, dass sie, was das Aussehen anlangt, leicht ihre Zwillingsschwester sein könnte: dunkles festes Haar, schwarze Kirschaugen, sinnlicher und dabei trauriger Mund, eine Frau mit einer 38er-Figur, die, obgleich schlank, doch immer ein wenig rundlich wirkt.

Bereits in ihrem letzten Roman ,,Das L in Laura'' hatte die niederösterreichische Schriftstellerin Evelyn Schlag in das Leben ihrer Hauptfigur viel Autobiographisches einfließen lassen. Bei Toria hat sie offenbar in den Spiegel geblickt und nach den erotischen Reizen eines reifen Gesichts und eines reifen Körpers gesucht. Dabei verschweigt sie nicht die Symptome des Älterwerdens.

Aber anders als Evelyn Schlag hat Toria eine ausgefallene Biographie, mit einem finalen, reichlich überflüssigen Schlenker. Die Tochter eines großen italienischen Architekten ist ein Kuckucksei. Das ägyptische Exil in Alexandria, wo sie aufgewachsen ist, musste sie wiederum zugunsten Alessandrias in Italien mit Eltern und Bruder verlassen. Zum Zeitpunkt, da der Roman spielt, ist der Vater tot, aber mit der kapriziösen und anspruchsvollen Mutter in Mailand unterhält Toria nahezu ebenso enge Bande wie mit ihrem Arzt-Bruder, einem väterlich-beschützenden Kümmerer.

Denn Toria hat Ängste und Marotten, die Evelyn Schlag derart überzeugend zu schildern vermag, dass man jeden Augenblick versucht ist auszurufen: Kenn' ich! Hab' ich auch! Genauso ist es! Toria Monti leidet an Panikattacken, weshalb sie steile Rolltreppen in St.Petersburg und zu schnelle Autofahrten in katatone Zustände versetzen. In solchen Augenblicken ist sie hilflos, darf aber Hilflosigkeit nicht zulassen.

Mit 50 darf Toria eine Liebe erleben, frei und selbstbestimmt

Denn der Preis, den die in Paris lebende und arbeitende Monti für Ruhm und Unabhängigkeit zahlt, ist hoch und sattsam bekannt: Die Luft in den Höhen des Erfolgs ist dünn. Toria atmet Verzicht, hat keine Kinder, keinen Mann, keine Liebe. Doch anders als jüngst eine Fernsehmoderatorin proklamiert Evelyn Schlag nicht die Rückbesinnung auf überkommene Pseudo-Werte. Sie lenkt den Leser zu den Ursachen hin, ohne sie direkt und schon gar nicht ideologisch untermauert zu benennen.

Mit 50 darf man souverän sein. Da muss man sich und anderen nichts mehr vormachen. Toria darf eine Liebe erleben, frei und selbstbestimmt. Wolf Lewinter, ebenfalls Architekt, aber im Vergleich zu Toria eine kleine Nummer, lebt allein in Wien, bekennt sich spät zu seinem inzwischen elfjährigen Sohn und lebt diese Vaterrolle mit dem Furor des schlechten Gewissens.

Das Innerste seines sozialen Netzes besetzen die Kindsmutter und notgedrungen deren Mutter. Er ist ein Mann mit Bindungsängsten, der sich leicht aus einer Beziehung herausschmuggeln kann, weil die Frauen ja emanzipiert sind - und folglich jegliche männliche Schwäche und Feigheit wegstecken können sollten. Wolf Lewinter erscheint in Evelyn Schlags schemenhafter Beschreibung als Prototyp des älter gewordenen 68ers, der spät und nicht wirklich bürgerlich geworden ist. Er trägt eine grauen Bart und sagt anstatt ,,ja'' stets ,,jpp''.

Toria begegnet ihm erstmals in einer Galerie in St.Petersburg, wo sie sich wegen eines Architekturwettbewerbs aufhält. Sie hat dann erst einmal einen veritablen Schmetterling im Mund, was sie in Panik versetzt. Aber diese flüchtige Begegnung reicht aus, auch die Schmetterlinge im Bauch flattern zu lassen. Liebe und Begehren brechen dann aus bei einem Architektenkongress in Philadelphia.

Ob diese Liebe dauern wir, wird der Leser nicht erfahren. Aber es könnte durchaus sein. Denn dieser Wolf macht einen wichtigen Schritt. Er zieht mit der emanzipierten Frau gleich, indem er ihr zugestehen und es ertragen kann, dass sie gesellschaftlich anerkannter, also ,,mehr'' ist als er selbst. Deshalb kann er Verantwortung übernehmen, deshalb kann er sie beschützen wollen, ohne dass sie sich klein machen muss. Evelyn Schlag gönnt Toria und Wolf eine reife Liebe. Es ist das erste Mal, dass sie ihren literarischen Figuren das gönnt. Man liest es gern und mit Genugtuung.

© SZ-Beilage vom 04.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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