Essay:Zurschaustellung der Kampfbereitschaft

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Dient sie als Ausdrucksmittel einer neuen Freiheit - oder ist sie auch ein Racheinstrument, nicht zuletzt der Geheimdienste? Youssef Rakha über die Rolle der Pornografie im Arabischen Frühling.

Von Kersten Knipp

Warum sie das tut, ist nicht ganz klar. Wie sie daliegt, sich berührt, sich öffnet und sich zeigt - das sagt noch nichts über ihre Motive. Vielleicht gefällt sie sich so. Vielleicht wird sie aber auch genötigt, zumindest gedrängt, sich in ihren autostimulierenden Bewegungen vor der Kamera zu zeigen. Dass sie es tut, ist jedenfalls etwas Neues. Dergleichen kannte man in Ägypten, wie generell in der arabischen Welt, bislang eher wenig. Dass arabische Frauen sich in pornografischen Filmen zeigen, ist ein Phänomen, dessen Anfang in den Beginn des neuen Jahrtausends fällt.

Es ist die Zeit, in der sich in Ägypten die digitalen Medien verbreiten: zunächst das Internet, dann, mit einigen Jahren Abstand, die sozialen Medien. Es ist die Zeit, in der Schrift, Bild und Ton sich der Kontrolle des Regimes entziehen. Ideen und Empfindungen finden dank Youtube, Twitter und Facebook eine eigene, von den Diktaturen des arabischen Raums endlich unabhängige Bühne. Und es ist auch die Zeit der ersten im Netz zirkulierenden spezifisch arabischen pornografischen Videos. Spezifisch arabisch? Ja - zumindest insofern, als es sich sämtlich um nicht-professionelle Produktionen handelt (professionelle, etwa in den USA arbeitende arabische Darsteller nimmt Youssef Rakha nur ganz am Rande in den Blick). Es sind technisch alles andere als überzeugende Videos, mit zum jeweiligen Plot oftmals nicht passenden Stimmen im Hintergrund, mit oft grobkörnigen, verschwommenen Bildern. Der Journalist und Publizist Rakha, Jahrgang 1976, führt die technischen Makel auf die äußeren Umstände der Produktionen zurück: In Ägypten wohnen die meisten Menschen auf engstem Raum zusammen, Söhne und Töchter leben mangels finanzieller Möglichkeiten bis weit ins Erwachsenenalter im Haus der Eltern. In diesem Umfeld pornografische Filme zu drehen: kein leichtes Unterfangen.

Dass es trotzdem geschieht, deutet Rakha als Ausdruck jenes Wunsches nach Emanzipation, der seinen politischen Ausdruck in den Aufständen des Jahres 2011 fanden, die zum Sturz des damaligen Diktators Hosni Mubarak führten. Den Kundgebungen auf dem Tahrir, dem "Platz der Befreiung", entspricht die öffentliche Darstellung der eigenen Sexualität im Internet. Diese Zurschaustellung deutet Rakha als Kampfansage an jenen Repressionsapparat, zu dem sich politische und konfessionelle Hardliner seit Jahrzehnten zusammengefunden haben. So verstanden, fordern die Videos einen substanziellen Aspekt der Macht heraus: "die Unterdrückung des Begehrens, die als Grundsatz der herrschenden patriarchalischen Triade (God, Baba und ein militärischer oder religiöser Anführer) essenzieller Bestandteil jener Diskursform ist, die Korruption, Vetternwirtschaft und Gewalt aufrechterhält."

Es ist keineswegs klar, warum sich die Frauen vor der Kamera entblößen

Allerdings ist sich Rakha der Ambivalenz der entsprechenden Videos bewusst. Denn es ist keineswegs klar, warum sich die Frauen vor der Kamera entblößen. Dass zumindest einige dies nur auf äußeren Druck hin tun, schließt er nicht aus. Insofern ist seine These von der Emanzipation via Porno gewagt, zumal im Netz auch Videos kursieren, die einzig dazu dienten, Menschen zu erpressen. Täter und Opfer können durchaus der politischen und ökonomischen Elite angehören. Das zeigt Rakha am Beispiel einer heimlich aufgenommenen und dann im Netz veröffentlichten Liebesnacht eines bekannten ägyptischen Geschäftsmannes zu Beginn des Jahrtausends. Insofern demonstrieren die Videos nicht zuletzt die ethische Gewissenlosigkeit der Geheimdienste zumindest noch in der Ära Mubarak. Und doch, so Rakha: "Wie politischer Aktivismus sind auch Pornos an sich eine Form der Masturbation - eine Schattenwelt, die im Beharren auf sexuelle Selbstentfaltung Religion, Tradition und Ideologie Lügen straft -, obgleich dieses Insistieren bisher nur im Internet stattfinden kann."

Das Internet ist Bühne der Ersatzhandlungen, aber auch Zurschaustellung des Möglichen - und damit Instrument einer sexuellen Revolution, wie sie im Westen bereits vor fünfzig Jahren stattfand, alle Risiken, Ambivalenzen und Fragwürdigkeiten inklusive. Denn nicht alles, was als Bild ins Netz findet, ist geeignet, Normen auch in der Realität zu setzen.

Youssef Rakha : Arab Porn. Aus dem Englischen von Milena Adam. Matthes & Seitz, Berlin 2017. 76 Seiten , 12 Euro. E-Book 9,99 Euro.

© SZ vom 30.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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