Essay:Wo die Kunst versagt, versagt der Mensch

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A. L. Kennedy arbeitet nicht nur mit dem geschriebenen Wort. Die schottische Autorin tritt auch als Stand-Up-Comedian auf. (Foto: Roberto Ricciuti/Getty Images)

Angesichts des Umgangs mit Flüchtlingen müssen wir Künstler als sozusagen freiwillige Migranten Wächter der Menschlichkeit sein.

Von A. L. Kennedy

Als ich die erste Fassung dieses Vortrags schrieb, hätte man meine Argumentation so zusammenfassen können: Wo die Kunst versagt, gibt es Unmenschlichkeit, denn menschliche Grausamkeit erwächst aus Mangel an Vorstellungskraft. Es gibt nicht genug derart kranke Menschen, dass sie als Einzelne Grausamkeit in epidemischem Ausmaß verbreiten könnten. Sie können Schaden anrichten, natürlich. Aber um großen Schaden anzurichten, müssen grausame Gesellschaften, Kulturen der Unmenschlichkeit geschaffen werden - entweder zufällig oder vorsätzlich, meist beides - die dann eigentlich ganz normale Menschen dazu bringen können, grausam zu sein, obwohl sie das unter anderen Umständen nicht wären. Kurz gesagt: Wenn die Kunst versagt, folgt das Versagen der Vorstellungskraft, worauf Unmenschlichkeit gedeihen kann.

Mein heutiger Vortrag wird sich immer noch mit diesem Thema beschäftigen. Doch zwischen meinem ersten Entwurf und dem letzten hat es ein toter kleiner Junge in die Schlagzeilen vieler Zeitungen geschafft, die noch wenige Stunden zuvor alle Flüchtlinge hasserfüllt als moralische, kulturelle, biologische und spirituelle Bedrohung dargestellt hatten. Oder, wie David Cameron es ausdrückte: "Ein Menschenschwarm." Wenn Menschen im Schwarm auftreten, sind sie keine Menschen mehr. Sie sind zugleich fremdartig und gefährlich. Werden sie mit Wörtern zu einem Schwarm gemacht, wird ihnen real nicht geholfen.

Nicht gelungen ist es, die selbst mit verursachte humanitäre Katastrophe wegzuwünschen

Hier war nun das Bild eines Jungen, der wie viele andere europäische Jungen aussah. Jungen mögen Strände und Sand und Meer - nur lag dieser westlich gekleidete kleine Junge tot auf dem Gesicht. Er wirkte zugleich vertraut - ein ruhender Jungenkörper - und furchtbar verändert: ein lebloser Körper mit dem Gesicht nach unten, aufgenommen zu einem Zeitpunkt, da er hilflos wieder zu reiner Materie geworden war. Wir konnten ihn uns leicht als menschlich und lebendig vorstellen, nicht als Schwarmtier. Er bekam einen Namen - Aylan Kurdi - und hörte auf, Teil eines Schwarms zu sein. Die anderen von seinem Boot, die ebenfalls ertranken - darunter auch sein Bruder - wurden etwas weniger als Schwarm betrachtet. Auch seine Eltern bekamen Namen und gehörten nicht mehr zum Schwarm. Sie wurden als Menschen gesehen.

Die Öffentlichkeit kann sich kleine Kinder und Strände vorstellen, kleine Körper im Arm, die Glieder schwer von Müdigkeit, nicht vom Tod. Diese Vorstellungskraft tendierte nun dazu, die Leute in den elenden Lagern bei Calais, die gelegentlich beim Versuch der Einreise nach Großbritannien zerquetscht wurden oder ertranken oder erstickten, als Menschen zu sehen, die vielleicht auch einmal spielende Kinder waren und nicht unbedingt von Geburt an eine existenzielle Bedrohung.

Vielleicht haben unsere Medien diesen veränderten Tonfall zugelassen, weil die Öffentlichkeit angewidert war von der zunehmend abstoßenden Berichterstattung, den Online-Petitionen und dergleichen. Vielleicht auch nicht. Vielleicht haben die britische und andere westeuropäische Regierungen - nachdem es ihnen nicht gelungen war, die selbst mit verursachte humanitäre Katastrophe wegzuwünschen und ihre Opfer hinter einer Nebelwand mehr oder weniger rassistischer Beleidigungen zu verbergen - einfach beschlossen, den Kurs zu ändern. Wenn so viele Länder so viele Waffen zu verkaufen haben, könnte uns das doch vielleicht überzeugen, dass es klug ist, noch mehr Krieg nach Syrien zu tragen, damit die Leute in Syrien nicht mehr vor dem Krieg fliehen müssen und ganz nebenbei einige Waffenfabrikanten viel Geld verdienen können.

In Großbritannien ruft man gern Bilder des Zweiten Weltkriegs wach. Auch wenn unsere Beteiligung an zeitgenössischen Konflikten weniger erfolgreich verlief und auch nicht vom unbedingten Wunsch getragen wurde, Grausamkeiten mit minimalem Einsatz eigener Grausamkeit zu beenden. Im Zweiten Weltkrieg rang man immerhin noch mit der Frage, wie man gegen undemokratische Gegner und den totalen Krieg kämpfen könne, ohne selbst undemokratisch zu werden und totalen Krieg zu führen. Es wurde sogar Blut vergossen, um künstlerisches und kulturelles Erbe zu bewahren, wo es möglich war. Und die Führung konnte sich vorstellen, dass ein Krieg in erster Linie militärisch erfolgreich und nicht profitabel sein soll. Diese Aspekte sind uns heute verloren gegangen, doch wir glauben, wir könnten sie mithilfe von Flaggen und Paraden und dem ständig wiederholten Begriff HELDEN erneut beschwören.

Während ich dies also schreibe, ist der Schwarm nicht mehr ganz so schwarmartig wie zuvor. Die Öffentlichkeit darf ihn als ein notwendiges Übel imaginieren, das uns zwingen könnte, ein anderes notwendiges Übel zu entfesseln, oder das - im Idealfall - Russland dazu bringen könnte, sich in das Übel hineinziehen zu lassen, so dass wir mit möglichst sauberen Händen am Rand stehen bleiben dürfen. Der in der Luft liegende Hass auf das Andere hat den Fokus gewechselt. Die Medien um uns herum (die mit immer mehr Misstrauen und Nichtbeachtung leben müssen und daher immer schriller und giftiger klingen) sorgen sich ein bisschen um die Abgaswerte bei VW, ein bisschen mehr um David Beckhams Ehe und sehr viel mehr um diese eigenartig beigefarbene und sanfte Bedrohung namens Jeremy Corbyn - ein Kandidat für den Vorsitz der Labour-Party, den die Medien nicht unterstützt haben und dessen Existenz sie daher verblüfft.

Offenbar versagt auf allen Seiten die Vorstellungskraft. Und wenn sie versagt, lässt sie uns alle im Stich. Was sollen wir Künstler jetzt tun? Denn natürlich müssen wir irgendwie reagieren - wir müssen die Wächter der Fantasie, des Denkens und Nachdenkens, der Kultur sein. Was haben wir falsch gemacht? Was haben wir vergessen? Was können wir besser machen?

Wahre Kunst ist kein Luxus, sondern fundamentale Verteidigung der Menschheit. Wir sind anscheinend dazu verdammt, diese Wahrheit zu vergessen, neu zu lernen und wieder zu vergessen. Und jedes Mal, wenn wir sie vergessen, sterben einige von uns. Zuerst diejenigen, die wir als die Anderen definieren. Die Fremden, die Migranten, die vom Strudel der Grausamkeiten in Bewegung Gesetzten: Wir ignorieren sie zu Tode, wir quälen sie, damit sie unsere Vorurteile bestätigen. Herrschende Regime überall auf der Welt können ganze Familien per Fernbedienung auslöschen. Doch all diese Menschen - die Versehrten, die Fliehenden und die Toten - sind wir. Andere zu verletzen fällt auf uns selbst zurück. Moralisch, künstlerisch, umweltpolitisch, buchstäblich - wenn wir diese Tatsache ignorieren, schließen wir einen Mord-Selbstmord-Pakt mit uns selbst.

Echte Migranten gehören zu einer wachsenden Zahl von schrill definierten "Anderen"

Betrachten wir den kreativen Menschen als eine Art ewigen freiwilligen Migranten aus den fernen Gegenden des engagierten Geistes, der größeren Vorstellungskraft. Was nützt das in diesen finsteren Zeiten? Wie retten wir Leben? Wie sichern wir Leben? Wollen das Künstler überhaupt? Ich würde behaupten, jeder Mensch, der auf hohem technischem und schöpferischem Niveau künstlerisch tätig ist, verteidigt Menschenleben. Kunst bewirkt von Natur aus Gutes, es sei denn, sie folgt einer bösartigen Absicht - und dann wird diese Absicht meist auch die Kunst kompromittieren. Weil "funktionierende" Kunst sich um die Unersetzlichkeit menschlicher Erfahrung dreht, trägt sie zu unser aller Rettung bei. Aber wahrscheinlich reicht es in diesen Zeiten nicht mehr, nur unsere Kunst auszuüben.

Als Schriftstellerin habe ich mich - vielleicht zu sehr - an die Rolle der moralischen Instanz gewöhnt, die angeblich klarsichtig weise Worte zum Wohl unserer Gesellschaften und unserer Art findet. Kraftvolles und kluges Schreiben kann natürlich sehr viel Gutes bewirken. Es kann neue Vorstellungen, bessere Zukunftsaussichten, sogar rechtliche Veränderungen anregen. Und neue Technologien verbinden die Wohlgesonnenen der ganzen Welt wie nie zuvor. Wir sehen die Mühen und Schmerzen des anderen schneller als je zuvor. Wir können alte und fehlerhafte Modelle des Journalismus überwinden. Wir können bis an die Grenzen unserer Fähigkeiten schreiben, um uns gegenseitig die Tiefe unserer Schönheit, das unersetzliche Geschenk unseres Lebens zu zeigen. Aber vielleicht ist das nicht genug. Vielleicht müssen wir noch mehr tun.

Ich glaube, wir müssen unser ganzes Potenzial als Künstler wiederentdecken oder neu bestimmen, unsere Rolle beim Schaffen und Formen von Kultur, unsere Schuld gegenüber den Gesellschaften und Kulturen, die uns immer noch Obdach geben, die uns eine überdurchschnittlich laute Stimme gestatten. Die Massenkultur in Europa und dem Rest der Welt wird immer abhängiger von Wohlstand und Verachtung und deren ständiger Priorisierung und Propagierung. Schäbige, würdelose und entwürdigende Propaganda überwältigt uns durch ihre schiere, zermürbende globale Allgegenwart und unablässige Wiederholung. Die Unterdrückung und Einschränkung des künstlerischen Ausdrucks von Individuen und Gruppen, die als "Andere" klassifiziert werden, ergänzt die Angriffe der Massenmedien auf diese Gruppen. Wirkliche Migranten - nicht wir freiwilligen Außenseiter - sind leichte Opfer.

In Großbritannien wirft man denjenigen, die infolge unserer Wirtschafts- und Kriegspolitik ihre Heimat verloren haben, nun ihre Heimatlosigkeit vor. Um einen Satz von Colin Powell abzuwandeln: Wir haben es kaputt gemacht, aber wir wollen es nicht wieder heil machen. In vielen Gesellschaften ist die einzige Reaktion auf Schmerz und Trauer die Verurteilung der Opfer. Die sommerlichen Schlagzeilen in Großbritannien beschrieben die Ereignisse, bei denen vollkommen verzweifelte Menschen den Ärmelkanal zu durchschwimmen versuchten, vor allem als Qual für die aufgehaltenen britischen Urlauber.

Theresa May, Großbritanniens umstrittene Innenministerin, alarmierte den Unternehmerverband und verblüffte die Regierungskommission zur Migration, als sie bei ihrer Rede vor dem Parteitag der Konservativen im Oktober die positive Wirkungen der Zuwanderung leugnete und zahlreiche schlicht unwahre Behauptungen über Einwanderer wiederholte, die angeblich Arbeitsplätze wegnehmen und das Gesundheitssystem verstopfen. Damit hofft sie, unsere Fantasie in einen Angstzustand zu treiben, aus dem sie uns dann erretten kann. In einer hasserfüllten Gesellschaft basiert das Selbstbewusstsein einer Nation irgendwann darauf, wen sie verachtet. Aufenthaltsrecht und tatsächliche Staatsbürgerschaft werden immer enger gefasst und schärfer begrenzt - außerhalb dieser Sicherheitszone pirscht sich der Tod immer näher heran.

Wir "Anderen ehrenhalber", wir selbst gewählten Außenseiter, müssen nun reagieren wie noch nie zuvor - nicht zuletzt, weil die Bedrohung einer Gruppe eine Bedrohung für uns alle ist. Echte Migranten gehören zu einer wachsenden Zahl von schrill definierten "Anderen". Weltweit erleben wir die Verschlechterung oder den Entzug der Rechte von Frauen, Arbeitern, Behinderten, psychisch Kranken, Armen und Inhaftierten. Immer schärfere neue Grenzziehungen auf den Feldern Loyalität und Identität führen zu Konflikten zwischen staatlichen und unternehmerischen Einheiten. Medienkonzerne verdammen die Nationalismen alter Schule, die Verachtung und Ausschluss zum Ziel haben, doch sie borgen sich dabei deren Argumente und Agenden aus. Gleichzeitig kann Nationalismus als Ausdruck nicht markengebundener Identität, als kulturelle Entscheidung und als persönliches Unterscheidungsmerkmal eine Möglichkeit bieten, Bürgerrechte zurückzuerlangen und das kulturelle Leben zu fördern.

Was derzeit in Schottland kulturell und politisch geschieht, entstammt einem kulturellen Aufschwung der Achtziger- und Neunzigerjahre und bietet ein positives Beispiel für eine alternative und anspruchsvolle Bewegung, die gewaltfrei Veränderungen herbeiführt. Interessante Ausprägungen des Multikulturalismus liegen diesem Projekt am Herzen, erfrischend für jemanden wie mich, die an die alten konfessionellen Bruchlinien gewöhnt ist. Man versucht, das Konzept nationaler Identität auf die schlichte selbst gewählte Einwohnerschaft zu erweitern, und das hat Schottlands Selbstbewusstsein nicht geschadet, ganz im Gegenteil. Auch London ist eine bemerkenswert erfolgreiche Mixtur aus zahlreichen Kulturen, was die Stadt so erstaunlich widerstandsfähig macht.

Es gibt viele Beispiele kultureller Einheiten voller innerer Differenzen, die dennoch gut funktionieren. Menschen in Glasgower Arbeitervierteln kämpfen darum, Immigrantenfamilie in ihrer Mitte vor willkürlicher Abschiebung zu bewahren, gleichzeitig faseln unsere Medien mit Schaum vorm Mund über "hart arbeitende Menschen" einerseits und "Schmarotzer" andererseits, über die unaufhörliche Bedrohung durch Fremde. Eine Regierung, die von grauenhaften Sex-Skandalen heimgesucht wird und deren Sozial- und Wirtschaftspolitik am ehesten zu einer Besatzungsmacht passen würde, versucht uns von den Wunden abzulenken, die sie selbst uns schlägt, indem sie den "Anderen" die Schuld dafür in die Schuhe schiebt.

Ein Albtraum ausländischer Gier, erschaffen durch die Fantasie der Massenmedien

Unser neues Pressekontrollgremium, die Independent Press Standards Organisation, eingerichtet nach der Aufdeckung der Telefonabhörskandale bei Murdoch-Zeitungen, kann momentan (allerdings klein gedruckte) Entschuldigungen und Richtigstellungen einfordern, falls die Fakten falsch wiedergegeben wurden. Die meisten Attacken sind jedoch vollkommen faktenfreie Wutausbrüche. In den letzten beiden Jahrzehnten haben die britischen Massenmedien Migranten wiederholt mit der Verbreitung von Krankheiten und allen möglichen Straftaten in Verbindung gebracht. Seid Ra'ad al Hussein, UN-Hochkommissar für Menschenrechte, stellte vor kurzem fest, Europa habe eine "hässliche Schattenseite des Rassismus", die unsere Reaktion auf echte menschliche Not verzerrt. Er bezog sich dabei dezidiert auf Großbritannien und unsere selbsternannte Gesellschaftskommentatorin Katie Hopkins. Wie zahlreiche ähnliche Gestalten versucht auch Hopkins, Empörung zu erzeugen, um Aufmerksamkeit und Klicks auf Webseiten zu generieren. Sie hat eine militärische Ausbildung, hat als PR-Beraterin gearbeitet und wurde als Teilnehmerin einer Reality-Show im britischen Fernsehen bekannt. In vielen arglosen und schwächelnden Demokratien ist das der direkteste Weg zu Prominenz und Posten. Recherche, Fakten, Qualitätsjournalismus - das erfordert Geld, Anstrengung, Fähigkeiten. Leichter ist es, die Vorurteile der Leser zu bestätigen. Umfragen in Großbritannien zeigen, dass die Befragten die Zahlen von Sozialhilfebetrügern und eingewanderten "Anderen" massiv überschätzen - es ist ein Albtraum ausländischer Gier, erschaffen durch die Fantasie der Massenmedien. Al Hussein wies auf Hopkins' Beschreibung von Migranten hin, die "sich ausbreiten wie der Norovirus auf einem Kreuzfahrtschiff". Sie bezeichnete sie als "Kakerlaken" - die gleiche Wortwahl wie beim ruandischen Hassradio Mille Collines, das die Hutu-Mehrheit mit solchen Parolen zum Genozid aufforderte.

Wenn der Hass weltweit kommerzialisiert wird, ist es kein Wunder, dass der Handel mit Menschen als Ware, als Sklaven - wie der Krieg - ein wachsender Wirtschaftszweig ist. Der Umsatz beträgt weltweit etwa 150 Milliarden Dollar. (Sklaven werden, wie Rohöl, in Dollar bewertet.) Dieses Geschäft betrifft mehr als 20 Millionen Menschen. Nicht Kakerlaken. Menschen.

Und neben der Bestrafung von Migranten entzieht die britische Regierung auch zahlreichen hilfsbedürftigen Bevölkerungsgruppen die Unterstützung: Behinderten und psychisch Kranken, Obdachlosen, Armen, Alten, Jungen, Patienten . . . Wir alle sind vom einen oder anderen Aspekt dieser Grausamkeit betroffen. Eine institutionell rassistische Polizei, ein unterfinanziertes Rechtssystem und eine Gefängnisindustrie, die Rückfälle und Profite zu vermehren sucht, verschleiern einige der Folgen. Wie in so vielen welkenden Demokratien sind für Gnadenakte nur noch Gruppen oder Individuen zuständig, die andere Werte verinnerlicht haben als die zunehmend tonangebenden.

Doch in einer Welt, in der es Avaaz und freiwillige Hilfsdienste und Benefiz-Crowdfunding gibt, in der 15 Millionen Menschen im Interesse fremder Menschen, weil die es selbst nicht konnten, gegen den Krieg im Irak demonstriert haben, gibt es schon noch alternative Modelle für die Menschheit. Als Schriftsteller und Künstler haben wir erlebt, dass Kunst stärker ist als Propaganda, dass Liebe nachhaltiger wirkt als Hass, dass Selbst-Darstellung und Selbstentfaltung mehr sein kann als Zügellosigkeit. Wir haben Werte. Diese dunklen Zeiten können uns einiges über das Licht lehren. Wir können Träume schaffen, um die Menschheit voranzubringen, und Ausdrucksformen der Individualität, die viele frei machen können. Ohne diese Träume haben wir nichts als Albträume vor uns. Wir müssen es besser machen.

Was ihr als Nächstes tun, schaffen, schreiben, produzieren wollt, liegt ganz bei euch - es muss eure Sache bleiben. Doch ohne euch sind wir alle rettungslos verloren. Wir wollen uns gemeinsam die Zukunft vorstellen - wenn wir das nicht tun, wird sie sich ohne uns ereignen und uns womöglich dabei umbringen.

A.L. Kennedy , 1965 in Dundee in Schottland geboren, schreibt Romane, Erzählungen und Hörspiele . Auf Deutsch erschien von ihr zuletzt "Der letzte Schrei. Erzählungen" (2015). Der hier abgedruckte Text ist die gekürzte Fassung der Eröffnungsrede zu den "Europäischen Literaturtagen 2015", die bis Sonntag im Schloss Spitz in der Wachau stattfinden . Aus dem Englischen von Ingo Herzke.

© SZ vom 23.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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