Essay:Kämpfer gegen die Dunkelheit im Herzen

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Dietmar Dath verneigt sich vor den Superhelden des Comics, die für ihn der Gegenwart den Spiegel vorhalten.

Von Philipp Bovermann

Wer politisch links steht, hat für Übermenschen normalerweise nicht viel übrig. Der amerikanische Ethnologe und Anarchist David Graeber beispielsweise schrieb über Superhelden, sie würden in einer Welt leben, "in der Faschismus die einzige politische Möglichkeit ist"; in der "Men of Steel" mit spandex-verpackten Leni-Riefenstahl-Körpern die Nacht kollabierender Rechtssysteme durchflattern und wieder für Ordnung sorgen.

Dass ein erklärter Marxist, der Autor und Feuilletonist Dietmar Dath, ein Essay-Büchlein über Superhelden geschrieben hat, aus der Perspektive eines Fans, darf man daher als den Versuch einer Ehrenrettung dieses Genres sehen. Den Superhelden sei eine Lektion abzulesen, nämlich "dass Übertreibung nicht notwendig im Gegensatz zur Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit steht, sondern sie gegenüber der planen Abschrift des Vorhandenen entscheidend verbessern kann."

Dath sieht das Genre als "mythopoetisches Vergrößerungsglas des Individualismus" und leitet es aus der Romantik, insbesondere der radikalindividualistischen Philosophie Friedrich Nietzsches ab. Damit folgt er einer gängigen Deutung. Der "romantischste aller Philosophen", so Dath, wird gerne mit einem Umhang dargestellt, sein Schnurrbart als das allererste "Cape" bezeichnet. Der Superheld drängt sich als popkulturelle Formulierung des Konzepts vom "Übermenschen" geradezu auf.

Dieser überschreitet die modern-normierte, "allzumenschliche" Alltagsexistenz, entweder als Auserwählter (Superman) oder als Selbstermächtigter (Batman), und verbindet sich affirmativ mit seinem "Surplus an Schicksal", das er fortan wie ein Logo auf der Brust mit sich herumträgt; Nietzsche sprach von der "amor fati", der Liebe zum Schicksal. In den dunkleren Ecken der Romantik sind allerdings auch die Fackelzüge der Faschisten losmarschiert. Dath beeilt sich daher, eine andere Abzweigung zu nehmen. Nämlich in Richtung moderner Fantasy, zu der für ihn auch Science Fiction und Horror zählen.

Er stellt Superhelden also in eine Reihe mit den Kommunisten von der Venus und den Zombies, die er auch in seinen eigenen Romanen so gern auftreten lässt. Der Grundgedanke ist ebenso simpel wie evident: All diese Geschöpfe seien Faktualisierungen psychologischer oder soziologischer Wirklichkeiten. "Manchmal fühlt man sich eben, als könnte man fliegen oder die Gedanken der anderen lesen (gerade dann, wenn man das gar nicht will)."

Der kurze und sehr persönliche Abriss der Typologie und Geschichte des Genres mündet in der jüngeren Vergangenheit, zugleich der Jugend des Autors, beim legendären Frank Miller. Dieser erschuf 1986 den Supersaubermann Batman in "The Dark Knight Returns" richtungsweisend als einen von Rachegefühlen geplagten Krieger gegen die eigene Vergangenheit neu. Der Fledermausmann trägt die Dunkelheit im Herzen, die er bekämpft.

Der Stammvater Superman ist unverwundbar und "faster than a speeding bullet"

Dath schreibt: "Der Superheld ist alt geworden, aber weil er auch böse geworden ist, passt er in unsere bösen Zeiten". Damit gelangt er zuletzt zu der üblichen platten allegorischen Lesart, die im Superhelden, neben dem in Erz gegossenen Hormonkampf der Pubertät, in erster Linie einen Spiegel der jeweiligen politischen Gegenwart erkennen will.

Der Superheld ist dabei in fantastischer Gesellschaft. Denn auch an anderen gruseligen Figuren (Zombies, Vampire) lässt sich recht wohlfeil der Zeitgeist ablesen. Die innere Funktionsweise, das Spezifische dieser Figuren spielt keine besondere Rolle, wo sie zu Repräsentanten einer an ihnen exemplifizierten Geschichtserzählung erhoben werden.

Für den Superhelden zum Beispiel hatte Dath weiter vorne in seinem Buch eigentlich eine ganz andere historische Konstitution ausgemacht. Er sieht in ihm "bestimmte Überlappungszonen des Alten mit dem Neuen". Der Stammvater Superman ist einerseits unverwundbar und "faster than a speeding bullet", schneller als eine Kugel, ein pseudo-mythischer Heros wie der Säulenstürzer Samson aus der Bibel oder der Globusträger Atlas; andererseits ist er der "man of tomorrow", der Mensch (oder Mann) der Zukunft, geboren auf dem fernen Planeten Krypton.

Das rückt den Superhelden nun tatsächlich in die Nähe des Faschismus, in dessen Todeskulten sich bekanntlich ebenfalls Archaik mit Futurismus verbanden. Entscheidend ist die Frage, ob es diesen Figuren nicht in die Wiege gelegt ist, sich irgendwann als Monster zu entpuppen. Es ist ja nicht so, dass ihnen ihre Macht durch eine demokratische Wahl verliehen wird. Vielmehr gleichen sie den mittelalterlichen Superhelden von Gottes Gnaden, den Königen, die in der zeitgenössischen Vorstellung zugleich einen biologischen und einen übernatürlich-politischen Körper besaßen. Beide konnten nur mit Gewalt zusammengehalten werden.

Der sprichwörtlich mit sich selbst entzweite Fürst des 17. Jahrhunderts ("Die traurige Melankoley wohnt mehrentheiles in Pallästen", schrieb damals der Dramatiker Kaspar von Stieler) gab schon einen Vorgeschmack auf die Französische Revolution. Steht uns das auch bei den aktuell so vergrübelten und in "Civil Wars" verstrickten Superhelden bevor, und ist das wirklich ein Zeichen "böser Zeiten", wie Dath wähnt? Wird die Kollateralperspektive der ewig Beschützten und Geretteten einen Keil in die Risse treiben, die sich in der "Festung der Einsamkeit" zeigen? Dazu noch mal Dietmar Dath: "Wie sagt doch Superman immer, bevor er seinen Röntgenblick auf eine verschlossene Panzertür richtet? Let's see."

© SZ vom 15.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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