Essay:Die USA in drei Songs

Fritz Schneider will das kollektive Bewusstsein des Landes anhand von alten - und eher unscheinbaren - Folk-Songs einzufangen.

Von Jens-Christian Rabe

Der 72-jährige amerikanische Essayist und Popkritiker Greil Marcus ist bestimmt einer der klügsten und originellsten, auf jeden Fall aber der fleißigste Ausleger und Berichterstatter von Leben und Werk Bob Dylans. Über die Jahre wurde er so zum berühmtesten Musikjournalisten der Welt. Seinem umfangreichen Werk wird aber sogar dieser Superlativ schon lange nicht mehr gerecht. Greil Marcus ist längst viel mehr als ein Musikjournalist und Popkenner, seit Büchern wie "Mystery Train. Images of America in Rock'n'Roll Music" oder "Lipstick Traces. A Secret History of the 20th Century" ist er einer der großen Kulturhistoriker der Gegenwart, über die man ohne profunde Popkultur-Kenntnisse eigentlich nicht mehr schreiben kann.

In seinem neuen, von Fritz Schneider wieder souverän ins Deutsche übertragenen Essay "Three Songs, three Singers, three Nations" versucht er sich in diesem Sinne ein weiteres Mal nicht einfach bloß daran, etwas über Musik zu erzählen; es geht um eine Art Biografie des kollektiven Bewusstseins der USA über den Umweg der Geschichte von drei alten - und eher unscheinbaren - Folk-Songs: Bob Dylans "Ballad Of Hollis Brown", Geeshie Wileys "Last Kind Words Blues" und Bascom Lamar Lunsfords "I Wish I Was A Mole In The Ground". Wie üblich bei Greil Marcus ist diese Biografie Amerikas aber natürlich keine fade Spazierfahrt geworden, sondern eine so spannende wie assoziationsreiche Bohrung in die Tiefen der amerikanische Identität, bei der die Überzeugung sehr ernst genommen wurde, dass man sich in Sänger und Songs von dieser Welt verlieren muss, wenn man einer höheren Wahrheit teilhaftig werden will.

© SZ vom 18.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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