Enzensberger zum 80.:Poetisches Naturereignis

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Wie ein Blitz fegte Hans Magnus Enzensberger als linkes Wunderkind über die Landschaft. Bis heute ist er klug und überraschend - Anmerkungen eines frühen Lobredners.

Joachim Kaiser

In unserer heute längst verblichenen "Gruppe 47" wurde Enzensberger bereits um die Mitte der fünfziger Jahre als linkes Wunderkind bestaunt. Seine rätselhaft reiche lyrische Begabung, verbunden mit heiterem Hass auf alles Grimmig-Prinzipielle, faszinierte von Anfang an. Es begann nicht tastend-unauffällig eine brave Schriftsteller-Karriere, sondern ein Blitz fiel über unsere literarische Landschaft. Ein poetisches Naturereignis, das natürlich auch Misstrauen provozierte. Skeptiker hielten Enzensbergers Rapidität für pure Virtuosität, so als ob jemand, der mit heiklen literarischen Themen und Tönen unverschwitzt leicht fertig zu werden vermag, deshalb ein Leichtfertiger sein müsse.

"Verteidigung der Wölfe gegen die Lämmer": Hans Magnus Enzensberger feiert seinen 80. Geburtstag. (Foto: Foto: dpa)

Hans Magnus Enzensberger war noch nicht 35 Jahre alt, da hatte er bereits den wichtigsten deutschen Literaturpreis bekommen, den Büchner-Preis. Trotzdem fühlte er sich im Adenauer-Deutschland gar nicht wohl. Gewiss auch deswegen ging er nach Schweden, bereiste er rastlos die ganze Welt.

Gratismut

Sein erster Gedichtband hatte das Titelgedicht: "Verteidigung der Wölfe gegen die Lämmer". Ein toller Wurf. "wer näht denn dem general / den blutstreif an seine hose?", schrie der 28-jährige Autor aggressiv allen ängstlichen Mitläufern zu. Doch selbstherrliche linke Rechthaberei war seine Sache nicht. "Der ganz echte Revolutionär / steht irgendwo ganz weit links von Mao / vor der Fernsehkamera", mokierte er sich auf dem Höhepunkt der APO-Revolte. Freilich scheute er sich keineswegs, koboldhaft und nahezu dämonisch vergnügt auf dem Tisch herumzutanzen, nachdem es ihm gelungen war, der "Gruppe 47" irgendeine Resolution schmackhaft zu machen.

Immerfort wusste er sich zu wandeln und zu überraschen. So wagte es der - eine ganze Intellektuellen-Generation beeindruckende - HME, kühl die Heilsgewissheit revolutionärer Utopisten zu begraben. Einen Weltgeist gäbe es nicht, schrieb er, die Gesetze der Geschichte seien unbekannt. So dass wir, "wenn wir politisch handeln, nicht das erreichen, was wir uns vorgesetzt haben, sondern etwas anderes, was wir uns nicht einmal vorzustellen vermögen".

Als "Wagnis" hätte er selber freilich solche provokanten Sätze nie bezeichnet. Vielmehr prägte er die glänzende Formel vom "Gratismut", falls stolze Gesellschaftskritiker sich etwas auf ihre vermeintliche Courage zugutehalten.

Lesen Sie auf Seite 2, warum es Enzensberger nie darum ging, Positionen zu verteidigen.

Enzensberger ging es nie darum, eifernd Positionen zu verteidigen: "Wo Konsequenz nur um den Preis der Barbarei oder der Selbstverstümmelung zu haben ist, kommt sie mir als ein verabscheuungswürdiger Anachronismus vor . . . Wenn euer Denken, liebe Kollegen, diese Grenze erreicht hat, warum kehrt ihr dann nicht einfach um und probiert den nächsten unerforschten Weg aus?"

Seine lieben Kollegen mussten begreifen, dass sie in ihm einen hatten, auf den sie nicht bauen konnten. Dabei irrten diejenigen, die ihm unterstellten, er sei unter den Propheten der Katastrophe der Munterste. Sie ließen seine Gedichte nicht unbefangen auf sich wirken. Ahnten auch kaum seine Indolenz, seinen finsteren Ekel, seine Undurchdringlichkeit.

Das Nicht-Gemochte

Ein Schweizer Magazin hat Enzensberger einmal recht plakativ befragt, was er denn alles so möge oder eben nicht möge. Er antwortete abgründig. "Galeristenkunst" mag er also nicht. "Sämtliche Werke des Marquis de Sade", "Sektierer", "alle Arten von Sport", "Personen, die das Bedürfnis haben, andere Personen festzunageln". Begreiflicherweise mag er auch "Theaterrezensenten-Theater" nicht. "Expressionismus und andere Formen der Kraftmeierei", "Macht-Erotiker", "Städteplaner" und: "Östliche Weisheiten aller Art". Letztes Beispiel fürs von ihm Nicht-Gemochte: das sogenannte gemütliche Beisammensein.

Wie eminent klug er auch zu agieren wusste als Essayist, als Redakteur, als unvergleichlich belesener Herausgeber der "Anderen Bibliothek": Seine Hauptberufung war gleichwohl die Lyrik. Immerfort, fast tagebuchartig, so wie Chopin lebenslang Mazurken komponierte, Schubert Lieder - unablässig schrieb er Gedichte. Nie bloße Könnerschaft, nie bloßes Bekenntnis. Mittlerweile tönen auch Weltfrömmigkeit und Tod bewegend zart aus seinem lyrischen Werk.

Und diesem HME war es einst gegeben, kluge ältere Herrschaften in Groll zu stürzen! Dem gebildeten Briefwechsel zwischen Werner Kraft (1896-1991) und Wilhelm Lehmann (1882-1968) ist eine heftige Reaktion auf Enzensberger zu entnehmen. Am 31. Dezember 1957 schrieb der Naturlyriker Lehmann an den Kritiker Kraft: "Man macht heute mehr Theorie, als daß man etwas erschafft. Eine von Suhrkamp (!) veröffentlichte neue ,Gedicht'sammlung (,Verteidigung der Wölfe') von Enzensberger hat mich zu verdrießlichstem Zorn und Übelsein erregt. Jetzt klingt's ab, mag das Zeug (das schon seinen Lobredner in der - ganz charakterlos gewordenen - Frankf. Allgemeinen fand) mit dem versinkenden Jahr versinken."

Der leidende Lehmann hoffte vergeben. Das "Zeug" versank keineswegs. Sondern lebt heute noch.

Als sein damaliger "Lobredner" in der FAZ ("Sardinen und Haie" hieß meine Rezension) möchte ich Hans Magnus Enzensberger heute - 52 Jahre später - unvermindert herzlich gratulieren!

© SZ vom 11.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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