Endspurt im Bärenrennen:Heftiger Schluss

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Das Finale des Wettbewerbs widmet sich dem Bösen - in den Filmen von Rithy Panh und Mohammad Rasoulof, der in Iran festgehalten wird.

Von Philipp Stadelmaier

Zum Ende des Wettbewerbs geht es noch einmal richtig an die Substanz. "Das Böse jagt uns. Geschaffen vom Menschen bedroht es ihn in seiner Geschichte", raunt eine Kommentarstimme. So beginnt "Irriadié / Irradiated", der dokumentarische und eigentlich noch mehr essayistische Wettbewerbsbeitrag des kambodschanischen Filmemachers Rithy Panh. Der Film besteht zumeist aus Archivaufnahmen, angeordnet in drei nebeneinander stehenden Bildausschnitten.

Was wir sehen, ist Krieg, Konzentrationslager, Genozide. Die Arbeit des Menschen an seiner eigenen Zerstörung, Flucht und Vertreibung. Und immer wieder (und ein paar Mal zu oft) Atompilze. Daher der Titel: Das Böse durchdringt die Menschheitsgeschichte wie radioaktive Strahlung. Rithy Panh floh einst vor dem Terrorregime der Roten Khmer nach Frankreich, wo er Filmemacher wurde. Im Zentrum seines Werkes steht die Aufarbeitung des Genozids, dem ein Großteil seiner Familie zum Opfer fiel. In "Irradié" weitet er den geografischen und historischen Rahmen aus, dem Fokus auf das mangelnde Bild folgt eine große, monotone Bilderflut. Die Dreiteilung der Leinwand unterstreicht zwar zu Recht die grundsätzliche Ähnlichkeit aller Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Lager der Nazis stehen direkt neben den Lagern der Roten Khmer. Doch das Nebeneinander ist auch ein Durcheinander, eine willkürliche Collagierung, die der Erzeugung maximaler Betroffenheit dient. Nicht alle Bilder gleichen sich, das scheint Panh vergessen zu haben. Außerdem beschränkt er seine Geschichte des Bösen auf das zwanzigste Jahrhundert - ein Bezug zur Welt von heute bleibt aus.

Dagegen klingt der Titel, den der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof gewählt hat, wie eine philosophische Gegenposition: "Sheytan vojud nadarad / Es gibt kein Böses". Doch auch hier geht es um das Böse, zu dem das iranische Regime seine Bürger zwingt. Der Film skizziert die Widersprüche im Leben jener, die Todesstrafen vollstrecken. Da ist der liebevolle Vater, der brav seine Mutter besucht und abends mit Frau und Kind Pizza essen geht - doch nachts bringt er in einem Gefängnis Delinquenten per Knopfdruck um, mit maximaler Gleichgültigkeit, während er sich Kaffee aufbrüht. In einer anderen Geschichte kommt ein Soldat zu seiner Verlobten - und stellt fest, dass er einen Freund der Familie hingerichtet hat, einen politischen Aktivisten.

Die anderen beiden Episoden zeigen jedoch, dass man sich Befehlen immer auch widersetzen kann. Mohammad Rasoulof selbst, der eigentlich in Hamburg lebt, kann nicht zur Berlinale kommen: Nach einer Reise nach Iran wurde 2017 sein Pass einbehalten, seitdem kann er das Land nicht mehr verlassen. Den Film hat er trotz Arbeitsverbot fertiggestellt. Es ist sicher nicht der beste Beitrag im Wettbewerb. Aber einer der widerständigsten.

© SZ vom 29.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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