Hörbuch:Alles Private ist politisch

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Der Theaterregisseur, Bühnenbildner und Schriftsteller Einar Schleef. (Foto: imago)

Der Theatermacher und Autor Einar Schleef und seine Mutter Gertrud haben sich selten gesehen. Einander aber berührende und erhellende Briefe geschrieben.

Von Stefan Fischer

Mütter. Wissen vieles besser. Sorgen sich um ihre Söhne. Mischen sich über jede Gebühr in deren Leben ein. Lassen kein gutes Haar an den potenziellen Schwiegertöchtern. Sind beleidigt, weil die Söhne für sie nicht dasselbe Maß an Interesse aufbringen.

Söhne. Wissen vieles noch besser. Belächeln ihre Mütter. Verbitten sich jegliche Einmischung in ihr Leben. Halten aus Trotz an Beziehungen fest, die ihre Mütter untergraben wollen. Fühlen sich belästigt, wenn ihren Abwiegelungen und Beschwichtigungen misstraut wird.

"Weißt Du, Einar, ich weiß gar nicht, was ich von Dir halten soll", schreibt Gertrud Schleef an ihren 19-jährigen Sohn Einar, der einmal ein bedeutender Theaterregisseur und Autor werden sollte. Und, im selben Brief: "Du bist es gar nicht wert, dass Deine Mutter alles für Dich macht." Mit diesen erbosten, vorwurfsvollen Zeilen beginnt im August 1963 ein Briefwechsel, den die beiden mehr als drei Jahrzehnte lang aufrecht erhalten sollten. Es war ihre einzige Verbindung zueinander. Zu telefonieren war kaum möglich, und gesehen haben sie sich anfangs selten und später umständehalber jahrelang gar nicht.

Der Kampf um die innere Freiheit hat seinen Preis

Die ersten 13 Jahre, bis 1976, lebten die beiden noch im selben Staat, in der DDR. Sie in Sangerhausen, er in Berlin, wo er an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee Malerei und Bühnenbild studierte. Auf die Vorhaltungen des ersten Briefes antwortete Einar Schleef seiner Mutter: Ich verstehe Euch völlig, Ihr wartet auf etwas Festes, Bestimmtes, Bürgerliches von mir. Aber solange ich das glaube, wovon ich träume, so lange kann mir nichts passieren."

Das ist der Grundton in diesem Dialog. Einar Schleef hadert mit vielem, mit seinen Kommilitonen, weil die nicht sehen würden, was in der DDR vor sich gehe. Mit dem politischen System, mit dem gesellschaftlichen Duckmäusertum, später mit den Theaterleuten, auch im Westen, die einen anderen Kunstbegriff haben als er. Aber er ist kämpferisch und kompromisslos. Und die Schwierigkeiten, die er sich einhandelt - unter anderem wird er zwischenzeitlich der Hochschule verwiesen -, sind der Preis, den er zu zahlen bereit ist für seine innere Freiheit. Die Mutter ist ängstlicher, leichter einzuschüchtern, stärker auf Sicherheit bedacht.

Was die beiden eint, ist ihre bedingungslose Zuneigung zueinander. Ungeachtet aller Differenzen im Einzelnen. 2009 hat der MDR den ersten Teil dieses Briefwechsels als Lesung inszeniert, 2011 den zweiten. Der Deutsche Audio Verlag hat die Doppel-Produktion nun als Hörbuch veröffentlicht, bei der Matthias Thalheim Regie geführt hat. Thalheim hat mehr als ein Vierteljahrhundert lang die Abteilung Künstlerisches Wort bei MDR Kultur geleitet bis zu seinem Abschied im vergangenen Jahr.

Als der Sohn in den Westen geht, müssen er und die Mutter Tarnadressen verwenden

Jutta Hoffmann und Thomas Thieme sprechen Mutter und Sohn. Beide mit einer großen Zärtlichkeit, die selbst dann nicht ganz verschwindet, wenn Thieme schimpft oder flucht und Hoffmann Vorhaltungen oder Enttäuschungen formuliert. Die beiden Teile des Briefwechsels sind getrennt durch eine starke Zäsur: 1976 konnte Einar Schleef für eine Theaterarbeit nach Wien reisen und ist von dort nicht in die DDR zurückgekehrt. Der Briefwechsel mit der Mutter war danach für ein Jahr unterbrochen, und als sie ihn unter Verrenkungen mit Tarnnamen und -adressen wieder aufnehmen konnten, müssen sie erst wieder eine gemeinsam Sprache finden - eine, die die Zensur passiert.

Der Briefwechsel ist von Anfang an lückenhaft, immer wieder sind Briefe nicht angekommen. Beide vermuten, dass sie abgefangen worden sind. Seit der Sohn im Westen Deutschlands lebt, häufen sich diese Vorfälle. Und so ist dieser Briefwechsel über das Persönliche und Private der beiden hinaus ein aufschlussreiches Dokument über das Leben in der DDR zwischen dem Bau und dem Fall der Mauer. Und über die Borniertheit westlicher Künstlerkreise, die sich nur wenig interessiert haben für diese ihnen fremde Biografie Einar Schleefs.

Ab Ende der Siebzigerjahre fragt Einar Schleef seine Mutter regelrecht aus in den Briefen. Über ihre Jugend, den Krieg, den kränklichen Vater, der früh stirbt. Er sammelt Material, weil er aus ihrem Leben den Stoff für einen großen Roman zieht. 1980 erscheint "Gertrud", vier Jahre später "Gertrud II".

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