Einar Kárasons Roman "Sturmvögel":Männer, die mit Stürmen kämpfen

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Wenn es denn einen Helden gibt, dann ist es die Mannschaft: Fischtrawler in schwerer See. (Foto: Marcel Mochet/DPA)

Einar Kárason erzählt in seinem neuen Roman davon, was es für die Besatzung eines Fischtrawlers bedeutet, sich der entfesselten Natur entgegenzustemmen.

Von Rudolf von Bitter

Seenot im Wintersturm. Mit ihrer Ladung von 400 Tonnen frisch gefangenem Fisch liegt die Mávur, ein solider Fischtrawler von 700 Tonnen, tief im Wasser. Eine Polarfront bringt schwere See und eisige Temperaturen. Der Schiffsbug senkt sich in die Wellentäler, und 18 Meter hohe Brecher fallen mit der Wucht von Lawinen aufs Deck. Das auftreffende Wasser fließt nicht ganz ab, es bleibt eine anwachsende Eisschicht auf den Ankerwinden, den Kränen, Netzen, Körben, Wannen, dem Angelgerät. Das Gewicht des Eises drückt das Schiff weiter nach unten und lähmt es. Wenn es sich unter dem Druck einer Welle zur Seite geneigt hat, braucht es lange, bis es sich wieder aufrichtet, sodass die nächste Welle schon den Untergang bedeuten kann.

Das Eis bildet "massive, bizarr geformte Skulpturen wie aus Kristallglas", hart, schwer, aber immerhin spröde, sodass man es mit Axt und Hammer abschlagen kann. Wo man sich eben noch festhalten konnte, ist das Eis schon wieder nachgewachsen - es ist eine Sisyphos-Arbeit unter der Gefahr, den Halt zu verlieren oder von Bord gespült zu werden. Ein Fenster der Kapitänskajüte hat die See schon eingeschlagen, so kann der Kapitän immerhin klar sehen und seine Warnung schreien, wenn sich ein neuer Brecher vor dem Bug erhebt. Seit die Matrosen gemerkt haben, dass sich das Schiff anders bewegt als sonst, sind sie still geworden. Ihnen ist unheimlich, Angst macht sich breit, und der Sturm, "gewöhnlich dauert so ein Sturm zwölf Stunden", dauert jetzt schon mehr als zwanzig Stunden, und dann anderthalb Tage. Von den Schiffen der Kollegen ist nach gestörten Notrufen im Funkgerät nur noch Rauschen zu vernehmen.

Einar Kárason gehört zu den wichtigsten Stimmen der isländischen Literatur

Dazwischen eine Szene, irritierend in ihrer Gemächlichkeit und in einer Breite erzählt, die der angespannten Situation in der schäumenden Gischt ganz unangemessen zu sein scheint: Wie sich einer eine Zigarette aus der Packung klopft und wie er sie anzündet. Genauso die Ausführlichkeit, mit der der Erzähler die Bestandteile des Mittagessens ausbreitet, während doch größte Eile herrscht und draußen die Eisschichten abgeschlagen werden müssen, wenn das Schiff sich halten soll, sodass die Seeleute auf alles Besteck verzichten und sich das Essen hastig in den Mund schieben. Statt Ruhezeiten gibt es allenfalls zwei Stunden Pause, zur körperlichen Erschöpfung kommt geistige Leere. Aufgeregte Selbstgespräche, Wahn und Visionen erfassen die Leute, aber durchdrehen geht nicht: Sie müssen weiter ran und Eis abschlagen und können sich allenfalls mit Kaffee und Taba aufputschen.

Einar Kárason gehört schon eine gute Weile zu den wichtigen Stimmen der isländischen Literatur. Was er hier nun geschaffen hat, ist aber ein Kabinettstück ganz besonderer Art. Ein Unwetter hundert Seemeilen vor Neufundland im Februar 1959 dient ihm als Kulisse für den Überlebenskampf eines Männerkollektivs. Zunächst mag es verwundern, dass Kárason dies Abenteuer im Imperfekt verfasst hat und auf die Dramatik verzichtet, die er mit einem unmittelbareren Präsens hätte erzielen können. Stattdessen hat er die Geschichte als Erinnerung angelegt.

Einar Kárason: Sturmvögel. Roman. Aus dem Isländischen von Kristof Magnusson. btb, München 2021. 144 Seiten, 18 Euro. (Foto: N/A)

Der Erzähler ist Lárus, für den das Ganze so lange her ist, dass er sich in der Vergangenheit als anderen Menschen sieht und von sich in der dritten Person spricht. Er war damals ein junger Kerl, der davon träumte, ein anerkannter Seemann zu werden. Er ist der Einzige an Bord, dessen Namen wir erfahren, die anderen werden nur nach ihren Funktionen benannt: Kapitän, Bootsmann, Maschinist, Netzmann. Held der Geschichte ist die Mannschaft, "die Männer", die die Notlage zusammenschweißt und die jede Aktion gemeinsam beschließen. Zum Beispiel, dass sie die Rettungsboote ins Meer fallen lassen, weil die mit dem sich türmenden Eis zu schwer werden.

"Die Seefahrt war in Island so gefährlich wie in anderen Ländern das Soldatenleben in Kriegszeiten."

In die Schilderung der andauernden Bedrohung flicht Kárason noch Einzelheiten ein über Mitglieder der Mannschaft: Der eine kann gar nichts anderes als zur See fahren, der andere verliert an Land alle Lebensfreude. Dinge, die sie alle betreffen: die Stellung der Seefahrer in der isländischen Gesellschaft und ihre Arbeitsbedingungen; wie es zum ersten sogenannten Kabeljaukrieg zwischen Island und England im Jahr zuvor gekommen war; welche Bücher es in der Bordbibliothek gibt (besonders beliebt: Seeabenteuer); vor allem aber, welche Schiffe in der letzten Zeit wo und unter welchen Umständen gesunken sind: "Die Seefahrt war in Island so gefährlich wie in anderen Ländern das Soldatenleben in Kriegszeiten."

Obwohl klar ist, dass die Mávur davongekommen ist, ist es so spannend erzählt, dass man immer wieder Passagen überspringen möchte. Dass das Buch vom isländisch-deutschen Schriftsteller Kristof Magnusson, der sich aufs packende Erzählen versteht, übersetzt wurde, hat ihm bestimmt nicht geschadet. Nur einen Gedanken bringen weder die Männer noch der Erzähler auf: den Fang über Bord zu werfen, um das Schiff zu erleichtern. Aber Kárasons Thema ist ja auch die existenzielle Grenzsituation, das Verschmelzen einer Gruppe von Männern zu einer Art Organismus aus Haut und Knochen, Verstand und Mut, der sich der Gewalt einer entfesselten Natur entgegenstemmt.

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