Ein Lob an die Schraube:Kopf hoch!

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Schraube Foto:Alessandra Schellnegger (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Deutschen wollen keine Dreher und Bohrer mehr sein. Dabei hat die Schraube für jedes Problem die richtige Lösung.

Christopher Schmidt

Das Paradies liegt in einer stillen Nebenstraße, Münchner Bestlage. Nebenan, auf dem Viktualienmarkt, werden Produkte, welche die Natur freiwillig hergibt, mit Gold aufgewogen. Das Fachgeschäft unseres Vertrauens dagegen handelt mit Artikeln, die nur wenige Cent kosten - obwohl ihre Herstellung Schwerindustrie und jahrhundertelange Grundlagenforschung voraussetzt. Dass sich der kleine Schraubenladen in der Innenstadt halten kann, liegt wohl nur daran, dass es in seinem Segment kaum etwas gibt, was es bei ihm nicht gibt.

Macht den Mann, der mit ihr handelt, zu Recht stolz: die Schraube. (Foto: Foto: dpa)

Man sollte nicht auf die Idee verfallen, den einsilbigen Männern, die hier äußerst würdevoll ihrem Gewerbe nachgehen, einen Streich zu spielen und sich als Schlange in ihren Garten Eden zu ringeln. Bei Vorlage einer kanadischen Sonderschraube zuckt der Inhaber weder mit der Wimper, noch zückt er die Schieblehre, die aus der Brusttasche seines kittfarbenen Kittels hervorlugt. Hier ist es Ehrensache, dass man nur im Notfall auf Hilfsmittel zurückgreift, um ein noch so esoterisches Gewinde zu identifizieren.

Ein kurzer Blick durch die Bifokal-Brille genügt, um den schraubigen Exoten zweifelhafter Herkunft richtig einzuordnen, der da auf dem linoleumbezogenen Holztresen liegt, dessen Hufeisen Kunde und Händler trennt wie ein Schlagbaum. Überflüssig zu erwähnen, dass jede Berührung mit dem mitgebrachten überdrehten Patienten und seinem lädierten Kopf vermieden wird, als handle es sich um ein ansteckendes Seuchenopfer.

Ohne eines der speckigen Musterbücher zu konsultieren, die auf Buchhaltern ruhen wie das Evangeliar in der Kirche, ist das trojanische Pferd knurrend als Zollschraube enttarnt. Zollschrauben kommen aus Übersee, während Europa dem metrischen System folgt. Der bis in unsere Tage anhaltende Kampf um einheitliche Gewindenormen ist eines der dunklen Kapitel der Industriegeschichte. Er hat die Schraube bis in ihre letzte Windung politisiert.

Anstatt wenigstens die Länge der Schraube nachzumessen, ist der Mann bereits verschwunden, um seine Sturmleiter an das Bollwerk der meterhohen Regale anzulegen, und hat, zurückgekehrt, bereits zwar nicht einen Zwilling eingetütet, aber doch eine passende Schraube, und erklärt barsch, er habe viele Schrauben, könne jedoch nicht alle haben. Deshalb müsse man sich mit einer ähnlichen Schraube zufrieden geben, und die gedehnte Art, wie er das Wort "ähnlich" ausspricht, beweist, dass man es mit einem reizbaren Profi im Hochpräzisionsgeschäft zu tun hat, dem das nur Ähnliche so wenig genügt wie einem Hundert-Meter-Läufer die Sonnenuhr als Messinstrument.

The Taming of the Screw

Kein Zweifel, hier wird man nicht bedient, hier wird man gemaßregelt. Hier bemüht man sich nicht um den Kunden, hier beugen sich Gleichgesinnte über das obskure Objekt ihrer Begierde. Und Laien werden nur geduldet. Jeder Besuch im Schraubengeschäft: eine Lektion in Demut.

Bleibt nur, die diversen Schautafeln in den Auslagen zu bewundern, die eher an ein Werkzeugmuseum erinnern. All die in schnörkeliger Schönschrift oder mit dem altmodischen System von Dymo-Prägezangen zur Beschriftung farbiger Plastikstreifen gekennzeichneten Gewindestifte und Schwerkraftdübel, Dichtscheiben und Gabelringschlüssel, Umschaltknarren und Schraubendreher (Schlitz-Kreuz-Torx) - denn hier sagt man korrekterweise Schraubendreher, nicht Schraubenzieher -, sie zerstreuen letzte Zweifel, dass das Geschäft seinen Beinamen "Schraubenzentrale" völlig zu Recht trägt.

Halb Magazin, halb Katasteramt mit gewissenhaften, strengen Archivaren, liegt sein Reichtum nicht in der Mannigfaltigkeit der Waren, sondern in der Mannigfaltigkeit einer einzigen Ware, die vielgestaltig nur insofern ist, als es für jedes Problem genau eine richtige Lösung gibt.

Dabei wirkt die schroffe Unduldsamkeit der Schraubenhändler wie ein spätes Bewusstseinsecho auf die Tatsache, dass es sich bei ihrer Ware, aller Unscheinbarkeit und Alltäglichkeit zum Trotz, um die stolzeste Errungenschaft der Werkzeugmacherkunst handelt. Es ist, als wüssten sie um die ruhmreiche Geschichte ihres Metiers, welche die jüngeren Deutschen vergessen haben.

Während der Nachwuchs kein Werkzeug mehr in die Hand nehmen will, ehren die Altvorderen das Andenken der Vorväter, die einst mit nichts anderem als einer primitiven Handfeile sowie unsäglicher Geduld sprödestem Material die genialste Umsetzung des Prinzips der schiefen Ebene abtrotzten. Die profilierte Einkerbung, die sich wendelartig fortlaufend um einen zylinderförmigen Körper dreht, wird oft fälschlich Spirale genannt, obwohl es sich um eine Helix handelt. Eine Spirale ist ein zweidimensionales, die Helix ein dreidimensionales Gebilde - und damit ist schon das Wichtigste gesagt über die Komplexität der Aufgabe, einen Gewindegang in ein Stück Metall zu schneiden.

Der Poet unter den Wissenschaftlern

Der Erfinder sei der Poet unter den Wissenschaftlern, heißt es. Tatsächlich weiß man nicht, wer die Schraube erfunden hat. Aber die in der Technikgeschichte so späte Karriere der herkömmlichen Verbindungsschraube ist ohnehin nicht auf ihre theoretischen Widerstände zurückzuführen, sondern auf ihre praktischen.

Die mathematischen und physikalischen Herausforderungen der Schraube hatte schon die Antike bewältigt; das Altertum kannte die Schraube, um Lasten zu heben und Gefälle zu überwinden, nicht aber, um zwei Werkstücke miteinander zu verbinden. Die Herstellung der dazu geeigneten Schrauben stellte Legionen von Ingenieuren und Maschinenbauern vor Probleme, die erst das 18. Jahrhundert mit der Entwicklung maschineller Gewindeschneider vollends gelöst hat. Zwar kannte bereits das Mittelalter Dreh- und Drechselbänke sowie mechanische Gewindebohrer, um erstaunlich regelmäßige Spindeln zu erzeugen, spitz zulaufende Schrauben jedoch waren von Hand gefertigte Unikate und wurden wie Preziosen gehandelt.

Die früheste Verwendung der Befestigungsschraube findet sich im 15. Jahrhundert in der Waffen- und Schmucktechnik sowie im Uhrenbau. Die Luntenschlösser von Arkebusen etwa konnten aufgrund der Erschütterung der Explosionen nicht mit Nieten oder Nägeln am Schaft befestigt werden. Die Plattenpanzer des 15. Jahrhunderts bestanden aus beweglich miteinander verschraubten Stahlplatten, dem "Geschübe".

Gesucht und hofiert

Und auch die Fibel, eine Gewandnadel, wurde durch Schrauben zusammengehalten. Ihr Anwendungsbereich zeigt, welch diffizilen Anforderungen die Schraube gerecht werden musste: Sie sollte eine einerseits starre, andererseits flexible Verbindung zwischen schweren Materialien schaffen.

Ritterrüstungen und Prunkharnische waren kostspielige Maßanzüge, die Plattnermeister, gesucht und hofiert wie Couturiers, wurden fürstlich entlohnt für ihre Kunst - Karl V. zahlte seinem Hofplattner für einen Harnisch mehr, als er Tizian für ein Gemälde gab. Deutschland war das Mekka der Plattnerei, hier wurden im Spätmittelalter die besten Schrauben gedreht.

Die Fertigung eines Harnisches beanspruchte mehrere Monate, selbst konnte sich der Ritter allerdings nicht aus seiner Panzerung befreien. Knappen und Helfer brauchten einige Zeit, um ihre Herren mit Hilfe von Schraubenschlüsseln von ihrem Stahlkleid zu erlösen. Manchmal zu spät. Im rheinischen Neuss sollen einmal bei einem Mai-Turnier hundert Ritter in der warmen Frühjahrssonne in ihren Rüstungen erstickt sein.

Turnierrüstungen wogen bis zu fünfzig Kilo und verdoppelten damit das damals durchschnittliche Körpergewicht eines erwachsenen Mannes. Die mittelalterlichen Plattner verfügten bereits über Kombiwerkzeuge, die Hammer, Drahtschneider, Schraubenzieher und -schlüssel in sich vereinten.

Die Schraube, heute ein Massenprodukt, war weiland so kostbar, dass sie nur bei High-End- und Luxusartikeln zum Einsatz kam - die Plattenrüstung ist beides zugleich. Ihr einstiger Nimbus als hochpreisiges High-Society-Spielzeug wirkt noch nach in Redewendungen wie der "geschraubten" Ausdrucksweise oder der "gewundenen" Art.

Schlitz, Kreuz oder Torx?

Zu den vielen Vorzügen der Schraube gehört, dass sie ihr eigener Bohrer ist. Anders als ältere Bohrer erlaubt die selbstschneidende Schraube, die bei mäßigen Umfangskräften erhebliche Lateralkräfte erzeugt, ein gleichmäßiges Einlaufen mit geringerem Kraftaufwand, wobei der Gewindegang zugleich für den Abtransport des Abriebs sorgt. Der Korkenzieher ist übrigens ein Spin-off des Bohrers - vermutlich waren es durstige französische Möbelschreiner, die ihre Handbohrer zweckentfremdeten, um den mittäglichen Rotwein zu entkorken.

In gewissem Sinne ist der Aufstieg der Schraube der Niedergang des Nagels, zumindest aber sein Funktionswandel. Während selbst kurze Schrauben sehr stark sind, reduziert sich die Haltekraft von Nägeln bei dünnen Gegenständen wie Türblättern, bei denen die überstehenden Stifte umgebogen oder abgeklemmt wurden. Die geschraubte Verbindung beruht nicht wie die genagelte auf Reibung, sondern auf einer mechanischen Durchdringung des scharfen Gewindes mit den Holzfasern.

Holzschrauben wurden erstmals im Möbelbau interessant, um T-förmige Scharniere mittels Senkkopfschrauben im Türfutter, der Zarge, unsichtbar verschwinden zu lassen. Nach und nach ersetzten sie die älteren, am Türblatt festgemachten Stangenscharniere. Mit der Mechanisierung stieg die Qualität und sank der Preis für Schrauben. Vormals einzeln gefertigt, wurden im Jahr 1860 in England bereits sieben Millionen Schrauben gedreht.

Die ersten maschinell hergestellten Schrauben hatten immer noch stumpfe Spitzen, waren also nicht selbststartend, außerdem verjüngte sich ihr Körper gleichmäßig, was die Haltekraft beeinträchtigte. Die moderne Schraube dagegen besitzt einen kegelförmigen Schaft, dessen Winkel an der Spitze abstumpft. Die Schraubenlinie muss im Nichts auslaufen, um die Haltekraft der Schraube zu gewährleisten.

Schweigen wir von der Mutter

Die Entwicklung der Schraubenköpfe, namentlich der Übergang von der einfachen Schlitzschraube, dem ältesten Profil, das bereits im Mittelalter mithilfe eines Beils in den Schraubenkopf getrieben wurde, zur Inbusschraube ist ein Thema, das die Schraubenwelt lange spaltete. Der Schritt von der Schlitz- zur Kreuzschlitzschraube hört sich klein an, tatsächlich handelt es sich dabei um einen epochalen Sprung der Evolution. Schlitzschrauben bieten dem Schraubenzieher wenig Halt, die Gefahr abzurutschen und dabei Material und Schraubenkopf zu beschädigen, ist groß.

Erleichterung brachten Inbus-Schrauben - wieder bestand die Schwierigkeit in der Herstellung, da hinlänglich tiefe Inbuslöcher einzustanzen entweder das Material schwächte oder den Kopf verformte. Die Lösung fand der Kanadier Peter L. Robertson im Jahr 1907 mit einer Inbusschraube, deren Profil ein sich nach innen verjüngendes Quadrat mit abgeflachten Kanten bildet, das in der Tiefe in einer auf dem Kopf stehenden Pyramide endet. Durch diese Form wurden die Atome des kalt gestanzten Metalls zusammengedrückt statt verdrängt, und es musste kein Material entfernt werden.

Trotz anfänglicher Erfolge und einiger Hardliner, die die Robertson-Schraube noch heute für die beste Schraube der Welt halten, setzte sich zuerst in der Automobilindustrie die Phillips-Schraube mit Kreuzprofil durch. Obwohl die Robertson-Schraube mehr Halt bietet, wurde es zum Marktvorteil der Phillips-Schraube und ihrer Weiterentwicklung, der Pozidrivschraube, dass sich die in der Industrie mehr und mehr verwendeten Motor-Schrauber leichter von der Schraube lösen ließen, bevor diese überdrehte. So fraß die Automatisierung eines ihrer schönsten Kinder.

Es gehört zur spröden Poesie der Schraube, dass sie eines der wenigen Dinge ist, die unendlich sind in einer von Endlichkeiten beherrschten Welt, dass man bei ihr weiß, "um was es sich dreht", und dass es Ozeane von Erfinderschweiß kostete, um härtesten Stahl so filigran zu formen, dass er an der Spitze ins Nichts übergeht.

Übersprungen sei hier das delikate Verhältnis zwischen der männlichen Schraube und ihrem weiblichen Gegenstück: der Mutter - wie die meisten Mutter-Sohn-Bindungen eine der wenigen perfekten Beziehungen. Aber auch, nachdem die Schraube zu ihrer heutigen Gestalt herangereift war, konnte man ihr noch zweihundert Jahre lang aus dem Weg gehen. Erst als das schwedische Möbelhaus Ikea mit seinen Bausätzen das Wohnen revolutionierte, musste sich fast jeder irgendwann mit der Schraube auseinandersetzen. Denn sie öffnete den Weg in die Emanzipation.

Die instabilen Spezialschrauben von Ikea sind allerdings der Sündenfall in der Geschichte der Schraubverbindungen, und deshalb wurde Ikea zur Strafe an den Stadtrand verbannt.

© SZ v. 25.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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