Ein Künstler braucht Ruhe:Endlich hört mal einer zu

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Braucht ein Künstler ein aufgeblähtes Ego? Wie steht es um seine Ehe? Jan Peter Bremers Novelle "Der junge Doktorand" wird unter der Hand zur Posse über männliche Selbstüberschätzung.

Von Meike Fessmann

Künstler sein und eine Ehe führen, das ist schon starker Tobak und mit einem Künstler eine Ehe führen die Steigerungsform. Das Dasein als Künstler scheint es nötig zu machen, das Ego aufzublähen, immer wieder Bedeutungswolken für das Publikum zu produzieren, die manchmal nur zart über dem Künstlerhaupt schweben, das andere Mal so groß sind, dass der ganze Mensch reinpasst. Ein Mensch, der keine Institution im Rücken hat, über keinen Arbeitsplatz verfügt, zu dessen Beschreibung die Nennung des Berufs genügt, muss seine Tätigkeit immer neu zur Anschauung bringen, wenn er sich unter Fremden bewegt. Wie aber ist es zu Hause? Könnte er da nicht ganz entspannt sein?

Jan Peter Bremer, der mit seinem Lockenkopf immer noch jugendlich wirkende Meister der kleinen Form, hat ein neues Buch geschrieben. Mal wieder, müsste man hinzufügen, das letzte, "Der amerikanische Investor", erschien 2011 und wurde mit dem Alfred-Döblin-Preis ausgezeichnet, dem sich 2012 der Mörike-Preis und der Nicolas-Born-Preis zugesellten.

Alle Bücher von Jan Peter Bremer sind schmal, so schmal wie "Der junge Doktorand". Und sie sind komisch, von einer Komik, die aus der Knappheit entsteht, aber nicht schnurstracks aufs Ziel zumarschiert, sondern Schleifen zieht, sich in Anläufe verstrickt, Variationen und Wiederholungen einbaut. Wunderbarerweise kommen sie trotzdem vom Fleck. Und sie enthalten genügend Welt, um mit Romanen zu konkurrieren, die sich Welthaltigkeit auf die Fahnen schreiben. Kann man nicht im Kleinen, so lehrt uns die fraktale Geometrie, die Strukturen des Großen erkennen?

Bremer verzwirbelt die Zeitebenen zum durchaus verzopften Bild einer Künstlerehe

Günter und Natascha Greilach, ein Künstler und seine Frau, leben in einer umgebauten Mühle in der Nähe einer Kleinstadt auf dem Land. Irgendetwas scheint mit der Gestaltung eines Brunnens schiefgelaufen zu sein, was genau, erfahren wir erst spät. Greilach hat sich mit der Kommune überworfen, mit seinem Künstlerfreund ebenso. Natascha Greilach geht trotzdem gern in die Stadt, tummelt sich am Marktplatz oder im "Bistro", spricht mit anderen Frauen. Der Künstler selbst ist froh, wenn er unterdessen seine Ruhe hat. Hauptsache, die Mahlzeiten stehen pünktlich auf dem Tisch und der Alltag wird reibungslos organisiert.

Seit Längerem hat sich "ein junger Doktorand" angekündigt. Beide setzen große Hoffnungen in ihn. Und nicht nur sie. Auch Nataschas Freundin Jutta verspricht sich Aufmunterung. Der aber schiebt sein Kommen immer wieder auf. Nach jeder Ankündigung trudeln im letzten Moment Postkarten ein, auf denen in krakeliger Schrift faule Ausreden stehen. Doch endlich ist er da. Günter Greilach trinkt die ganze Nacht mit dem Ankömmling, der auf den schönen Namen Florian Sommer hört, führt ihn in seine Gedankenwelt ein und hat einen genauen Plan, wie sich der "Doktorand" seinem Werk nähern soll, um es mit seiner Dissertation noch bedeutender zu machen. Natascha, die zunächst mit ihrer Enttäuschung über sein Erscheinungsbild fertig werden muss, verwickelt ihn in Gespräche und erhält schnell eine Menge Informationen. Klar, dass sie die bei Gelegenheit gegen ihren Mann kehren wird, der stets so tut, als sei sie etwas unterbelichtet.

Jan Peter Bremer zwirbelt Gegenwart und Vergangenheit, Hoffnung und Enttäuschung ineinander und entwickelt eine zauberhafte Poetik verschraubter Projektionen. Dabei entsteht das durchaus verzopfte Bild einer Künstlerehe, deren Komik bisweilen an Loriot erinnert. Etwa, wenn sie auf seinen nächtlichen Vorwurf, sie spreche im Schlaf, antwortet, sie schlafe gar nicht; oder wenn er kundtut, es sei mit ihr nun noch schlimmer als zu der Zeit, als sie noch ihre Tage hatte. Der junge Mann, den sie zunächst beide für einen Doktoranden halten, hat selbstverständlich ein Smartphone dabei, das sie als "Telefon" bestaunen, mit dem man Dinge tun kann, deren Geheimnis ihnen verschlossen bleibt.

Nicht zuletzt aus dem Wissensvorsprung, den Bremer der Leserin gewährt, entsteht das Amüsement. Mit Natascha weiß sie bald, dass Florian Sommer noch längst kein Doktorand ist, sondern um die Aufnahme an der Kunstakademie bangt. Seine Mutter, die in der Kleinstadt, aus der er kommt, mit seinem früheren Kunstlehrer liiert ist, hat ihn geschickt. Ihm selbst ist das alles gar nicht so wichtig. Zwar kann er sich vorstellen, irgendetwas mit Kunst zu machen, möchte aber keineswegs dem Bild des einsamen Genies entsprechen. Er sehnt sich nach Gemeinschaft und gerät ins Schwärmen, wenn er Natascha erzählt, dass ihn die Arbeit in einem Sprachcafé für Geflüchtete in Berlin von seiner Einsamkeit erlöst hat. Als Zwölfjähriger hat er bei der Tombola des örtlichen Kunstvereins eine Lithografie von Günter Greilach gewonnen, ansonsten hat er mit dessen Werk nicht viel am Hut. Er kennt es gar nicht.

Das salbungsvolle Gerede von "Auserwähltheit" und "Vermächtnis", die subtilen Erklärungen, die huldvollen Gesten, das ganze joviale Künstlergehabe, das Günter Greilach vor seinem jungen Zuhörer aufführt, verpufft im Orkus seines Desinteresses. Und die von ihrem Mann ständig abgekanzelte Natascha hört, unter der Dusche stehend, den Monolog mit. Es braucht bis zum Ende der Novelle, als die man das ohne Gattungsbezeichnung erschienene Buch bezeichnen kann, bis sie ihn über seine Täuschung aufklärt. Bis dahin sind eine Menge Bosheiten ausgetauscht worden.

Unter der Hand wird aus der Künstlernovelle mit dem Flair vergangener Jahrhunderte eine Posse über Misogynie und männliche Selbstüberschätzung. "Der junge Doktorand" ist auch eine Ehe-Novelle in ebenso knapper wie tragikomischer Form. Mit ihren Aufschwüngen zur Boshaftigkeit und der Fantasietätigkeit der weiblichen Hauptfigur wirkt sie mitunter wie eine charmante Miniaturausgabe von Edward Albees Theater- und Filmklassiker "Wer hat Angst vor Virginia Woolf".

Ob man an Ai Weiwei denkt, der gerade mit großer Geste seinen Wegzug aus Berlin inszeniert, oder an Quentin Tarantino, der als letzter Autorenfilmer auf dem Planeten gefeiert wird, die Fähigkeit, das eigene Ego auf Weltmaßstab zu vergrößern, scheint eine künstlerische Kernkompetenz zu sein. In "Der amerikanische Investor" hat Jan Peter Bremer das Leiden am Zwiespalt zwischen Anstrengung des Schreibens und am Ende kleinem Ertrag herrlich komisch in Szene gesetzt. Das Bedrohungsszenario, in das er die scheinbar lächerlichen Schreibängste einfügte, ist für viele real: die Vertreibung aus der eigenen Wohnung durch Immobilienspekulation. Für die Absurditäten des Kunstbetriebs funktioniert Bremers an Kafka und Robert Walser geschulte Schreibweise brillant. Die Selbstironie der Meister der Brevitas geht den Großmannsüchtigen ab. Kein besseres Motto lässt sich für dieses Spiegelkabinett enttäuschter Erwartungen denken als ein Wort des von Schreibkrisen geplagten Reinhard Lettau: "Ein Schriftsteller ist eine Person, die sich der Illusion hingibt, es werde ein weiteres Buch von ihr erwartet."

Jan Peter Bremer: Der junge Doktorand. Roman. Berlin Verlag, München und Berlin 2019. 176 Seiten, 20 Euro.

© SZ vom 26.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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