Dystopie:Elins Mission

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Eine Zukunft zwischen Anarchie und Totalitarismus erwartet die schwedische Gesellschaft und die Heldin Elin 2060.

Von Verena Hoenig

Elin, sechzehnjährige Hauptfigur der dystopischen Romanserie Sturmland, bewegt sich in einer gefährlichen Welt. Es ist Schweden Mitte der 2060er Jahre. Elins Familie lebt in einem mit Stahl und Panzerglas gesicherten Haus auf dem Land, samt Stall und ein paar Tieren. Den Strom erzeugt ein Windrad. Die Welt jenseits des Hofs ist konfliktgeladen und bedrohlich. Stürme haben ganze Landstriche verwüstet, Schnee fällt schon lange nicht mehr. Lebensnotwendige Ressourcen sind knapp, Pferde das am häufigsten genutzte Fortbewegungsmittel. Statt der verbotenen Feuerwaffen werden im Kampf Armbrust und Messer eingesetzt. In anderer Beziehung sind die Menschen technisch auf dem neuesten Stand: Mittels Überwachungskameras wird zum Beispiel jeder Eindringling im Umkreis von 500 Metern auf großen Bildschirmen gezeigt. Und Elins Eltern verdienen ihren Lebensunterhalt mit Online-Aktiengeschäften.

Es gibt kontaminierte Landstriche, die unbewohnbar sind. Das Leben ist reglementiert, die Überwachung durch Drohnen allgegenwärtig und die Polizei korrupt. Am liebsten wäre es der Regierung, wenn alle Menschen in den Städten leben würden. Doch Elins Eltern sperren sich dagegen. Außerdem unterrichten sie ihre Kinder zu Hause, um ihnen die Beruhigungspille "Cool" zu ersparen, die in den Schulen obligatorisch verabreicht wird.

Im Auftaktband Die Reiter entführt eine verfeindete Nachbarsfamilie Elins Bruder Vagn. Weil der Vater verletzt ist, soll Elin losreiten und um Vagns Freigabe verhandeln. Unterwegs gerät sie zwischen die Fronten von Polizeieinheiten und "Waldleuten", die die Regierung stürzen wollen. Anführerin der Rebellen ist Karin, die Tante der Geschwister. Obendrein grassiert eine Fieberseuche und Elin muss sich vor wildernden Gangs und Wildschweinhorden in Acht nehmen. Es fällt auf, dass die Menschen kaum lachen oder herumalbern, aber auch nicht klagen. Sie wirken konzentriert und beherrscht.

Elin ist eine toughe, klarsichtige Jugendliche, die sich zur Wehr zu setzen weiß. Dabei wollte sie nie eine Kämpferin werden. Elin liebt die Musik, spielt Schach, tanzt und schwimmt gern. Doch jetzt, als es um den Schutz ihrer Angehörigen geht, handelt sie entschlossen, auch wenn das bedeutet, jemanden töten zu müssen.

Auf ihrer Mission verliebt Elin sich in Harald, den jüngsten Sohn der verfeindeten Nachbarn. In Die Kämpferin, dem zweiten Band, der etwa ein Jahr später einsetzt, wird Elin mit ihrem Säugling verschleppt und erlebt Schreckliches. Nachdem sie eine Heldentat vollbracht hat, bittet die neue Regierung die junge Mutter, als eine Art Aushängeschild für den Reichstag zu kandidieren. Vagn ermutigt sie dazu, weil er hofft, die Schwester könne dort gegen die geplante Ausweitung totaler staatlicher Überwachung opponieren.

Autor Mats Wahl erzählt minutiös und emotionslos, was zunächst irritiert. Hat man sich jedoch an diesen Stil gewöhnt, beginnt der Rausch: Die Handlung versetzt den Leser in einen Zustand permanenter Anspannung und die amazonenhafte Elin ist in ihrer Impulsivität wie Verletzlichkeit einfach unwiderstehlich. Wie konnte es überhaupt zu den geschilderten Zuständen kommen? Vagn erklärt es seiner Schwester so: "Die, die vor uns da waren, haben weggesehen und weggesehen und weggesehen und waren nicht fähig zusammenzuarbeiten."

Drei weitere Bände des Zukunfts-Epos werden in Kürze folgen. Zum Glück, denn man möchte unbedingt wissen, wie es weitergeht. Zwar kann die Lektüre bisweilen verstören und einen bis in die Träume verfolgen, aber sie löst auch heftiges Nachdenken über die Zukunft der Gesellschaft aus. (ab 15 Jahre)

Mats Wahl : Sturmland. Aus dem Schwedischen von Gesa Kunter. Hanser 2016. Bd 1: Die Reiter. 253 Seiten, 14,90 Euro. Bd 2: Die Kämpferin. 366 Seiten, 16,90 Euro.

© SZ vom 08.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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