Dramaturgie des Politischen:Verschleierung des Frontverlaufs

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Der Dramaturg Bernd Stegemann klagt über die Linke, dämonisiert den Neoliberalismus und beschwört das Gespenst des Populismus.

Von Till Briegleb

Haust Lenin jetzt im Theater? Ist Klassenkampf eine Aufgabe für Dramaturgen? Sind nette Schauspieler demnächst die Speerspitze revolutionärer Umwälzungen? Diese Fragen stellen sich nach der Lektüre von Bernd Stegemanns Essay "Das Gespenst des Populismus" mit absurder Dringlichkeit. Denn der Dramaturgie-Professor der Berliner Schauspielschule "Ernst Busch" und einstige Chefdramaturg der Schaubühne hält in dieser Klageschrift über linke Versäumnisse eigentlich niemanden mehr für tauglich, seinen "Klassenstandpunkt" zu erkennen. In Bernd Stegemanns verzweifelter Trauer, dass es den guten alten Bolschewismus nicht mehr gibt, findet er nur Trost in einem Theaterstück von Milo Rau.

Um das Finale dieses kuriosen Buches zu verstehen, muss man ein wenig ausholen. Stegemann, der sich in seinem Fachessay "Lob des Realismus" 2015 noch mit der Empfehlung an Regisseure hervortat, sie mögen doch bitte vom Experimentierglauben der Kunst lassen und wieder zu einfachen, abbildenden Erzählweisen zurückkehren, damit der arme Zuschauer die Wirklichkeit des real existierenden Klassenkampfes auf der Bühne erleben kann, hat sich nun einem Phänomen zugewandt, von dem man eigentlich dachte, es sei dazu bereits alles gesagt - nur noch nicht von allen: der Populismus.

Stegemanns Ansatz hat allerdings eine bemerkenswerte Pointe für die Debatte parat. Für ihn ist einfach alles Populismus, links, rechts, liberal, radikal, ganz egal. Denn laut seiner Definition zeigt sich Populismus sowohl in der Verwendung von ausgrenzenden Antagonismen und Schemata, wie man es gemeinhin als Populismus versteht, wie im Gegenteil. Auch die "Verschleierung von Widersprüchen durch komplizierte Erklärungen," wie es die von ihm in Bausch und Bogen verteufelte Postmoderne angestiftet habe, folgt demselben Zweck. Alles politische Sprechen in der undialektischen Einheitswelt von Bernd Stegemann dient der Verschleierung eines Frontverlaufs: die "globale Macht des Kapitals" gegen die "Menschen".

Dieser Schematismus hat es Bernd Stegemann so angetan, dass er ihn in ständiger Wiederholung durch seinen Essay wälzt - immer wieder neu verklausuliert in einem akademischen Jargon, der selbst dann schwer erträglich wäre, wenn er weniger redundant bliebe.

Tatsächlich kommt Stegemanns Gespenster-Essay aber konsequent zum gleichen einfachen Resultat. Würden alle Menschen das verklausulierte Sprechen des liberalen Populismus endlich so richtig verstehen, wie es gerade nur der Rechtspopulismus und Bernd Stegemann können, dann müsste der Neoliberalismus die Hose runterlassen und seine wahren Interessen der privaten Gewinnmaximierung offen zeigen. Das wäre eine Revolution, weil dann die demokratischen und freiheitsliebenden Kräfte ihre Kollaboration mit dem Neoliberalismus aufkündigen müssen, und alles wäre wieder gut. Das ist die einfache Realität der Klassengegensätze in Bernd Stegemanns Essay.

Ein Gemisch aus Systemtheorie, Trivialmarxismus und redundanten Polit-Ratschlägen

Nun wäre jeder kluge Disput darüber zu begrüßen, wie die Beziehung von Ökonomie und politischer Macht ungerechte Herrschaftsverhältnisse stabilisiert. Und die Debatte über die Verschleierungstendenzen von Eliten, die sich auf Kosten der Demokratie und des Allgemeinwohls schamlos bereichern, indem sie den Unterdrückten ihre Unterdrückung als alternativlos beschreiben, hat seit den Tagen von Karl Marx Tausende kluge Bücher hervorgebracht.

Aber dafür braucht es sicherlich kein weiteres, dessen Autor mit der Sehnsucht nach einfachen Wahrheiten anderen stereotyp erklärt, was sie bitte tun müssen. Zumal vor dem Hintergrund, dass alles, was in diesem Buch nach Analyse klingt, bei präziser argumentierenden Autoren abgeschrieben ist, meist ohne die Quellen zu nennen. So entlehnt Stegemann seine Thesen zum "demokratischen Paradox" dem gleichlautenden Essay von Chantal Mouffe, die darin in bestechender Klarheit beschrieb, warum Freiheit und Gleichheit eigentlich unvereinbare Konzepte sind, aber trotzdem gemeinsam die liberale Demokratie bestimmen. Anstatt auf seine Zweitverwertung hinzuweisen, diffamiert Stegemann diese kluge Analytikerin des modernen Populismus an anderer Stelle lieber als Nebelwerferin, die nicht begreife, wie man "die Begriffe des Volks und der Klasse für eine linke Politik" retten könne.

Leider bleibt Stegemann jede plausible Definition schuldig, was er genau unter "Klasse" versteht - oder unter "Volk". Und dass Klassenkampf historisch betrachtet einen komplexen Prozess der Organisation von Interessensgruppen voraussetzt, um nicht nur eine Worthülse im Dramaturgendeutsch zu bleiben, wird an keiner Stelle dieses schwadronierenden Buchs auch nur erwähnt. Dafür dämonisiert Stegemann den Neoliberalismus, wie so viele Salonlinke es dauernd tun, durch falsche Personalisierung - als sei diese Ideologie kein strukturelles Phänomen, sondern ein realer Tyrann, den es zu bekämpfen gelte.

Beim ziemlich gequälten Versuch, sein pathetisches Gemisch aus Systemtheorie, Trivialmarxismus, Rundumverurteilungen und redundanten Polit-Ratschlägen möglichst gelehrt klingen zu lassen, reiht Stegemann zudem eine halb gare Formulierung an die nächste. Er benutzt Wörter wie "Migration" oder "Rassismus" unsauber bis falsch und baut Bandwurmsätze, an deren Ende Gesine Schwan plötzlich ein "Herr" ist. Diese Form gedanklicher Schludrigkeit führt dazu, dass am Schluss eine harmlose Schaubühnen-Inszenierung über NGOs in Afrika zum einzigen Beispiel dafür gereicht, wie Stegemanns Aufklärung über den Klassenstandpunkt konkret zur Erweckung führen soll.

Ob Lenin damit die Oktoberrevolution hätte starten können?

© SZ vom 27.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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