Drama:Im Geisterhaus

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Lars Eidinger und Jördis Triebel in "Familienfest". (Foto: Julia von Vietinghoff)

Großes Schauspielerkino mit Hannelore Elsner und Lars Eidinger: In "Familienfest" erzählt Regisseur Lars Kraume von einer fiesen Familienfeier.

Von Rainer Gansera

"Man darf ja wohl noch ein Späßchen machen?!" Kokett spielt Günther Maria Halmer den berühmten Konzertpianisten Hannes Westhoff, einen notorischen Zyniker, bei der Feier zu seinem 70. Geburtstag. Er spitzt den Mund, wie er es immer tut, wenn er seiner Lieblingsbeschäftigung nachgeht: andere beleidigen und demütigen. Seine Späßchen sind seelenmörderische Dolchstiche, die er am Familientisch reihum verteilt. Immer gezielt auf die Schwachstellen der Opfer. Alte Wunden aufreißend, ätzende Vorurteile zelebrierend. Besonders leiden müssen seine drei erwachsenen Söhne, die er allesamt für Versager hält. Er lässt den Blick über sie gleiten und höhnt: "Wenn ich hier mein Lebenswerk begutachte: ein Windei, ein Schwuler, ein Schlaumeier!"

"So ist er eben", sagt einer der Söhne achselzuckend. Aber es gefällt ihnen dann doch, wenn sie gemeinsam dagegenhalten, sich vom Alten nicht alles bieten lassen. Noch bevor die Geburtstagsfeier mit richtig vielen Gästen losgeht, ist schon garantiert, dass keine Feststimmung aufkommen wird. Unter dem Tyrannenvater wird das Chaos regieren: Streit, Türenknallen, Nervenkrisen.

Das Geburtstagsfest als Arena für familiäre Zerfleischungen - ein bekanntes Szenario. Thomas Vinterbergs exemplarisches Dogma-Drama "Das Fest" (1999) war schon eine große Abrechnung mit einer verhängnisvollen Patriarchenfigur. Lars Kraume lässt sich nun für sein "Familienfest" davon inspirieren, findet aber rasch zu einer eigenen, packenden Dynamik. Die drei Söhne - der todkranke Journalist Max, der schwule Frederik, der Hallodri Gregor - mögen in der Anlage ihrer Figuren vorhersehbar erscheinen. Lars Kraume verleiht ihnen aber eine funkelnde Lebendigkeit, er ist ein Schauspieler-Regisseur, der seine Akteure herausfordert und aufblühen lässt.

Nicht nur die Brüder-Rollen sind mit Lars Eidinger, Barnaby Metschurat und Marc Hosemann glänzend besetzt. Michaela May konturiert Ehefrau Anne hinreißend als harmoniesüchtiges Wesen. Hannelore Elsner formt den Part von Westhoffs erster Gattin Renate zur herausragenden Gestalt. Renate lebt in Paris, versucht sich als Schriftstellerin, und würde gern so zynisch sticheln und auftrumpfen können wie der Herr des Hauses. Alkoholisiert taumelt sie durchs Festchaos und zitiert, intellektuelle Coolness vorgebend, E.M. Cioran: "Die Würde der Liebe liegt in der ernüchterten Zuneigung, die einen schleimigen Moment überlebt."

Das Familientheater ist temporeich in Art einer bitterbösen Demaskierungs-Komödie aufgeführt, doch Kraume setzt auch Momente der Ruhe dagegen. Ergreifende Augenblicke: Das gemeinsame Musizieren, das plötzlich den Horizont möglicher Versöhnung eröffnet. Eine lange Kamerafahrt, die nach schrillen Streitszenen die Räume durchquert und die herrschaftliche Villa am See wie ein Gespensterhaus erscheinen lässt. Schließlich die Geburtstagsrede des ältesten Sohnes, die ein Angriff sein will und doch zur Liebeserklärung an den Vater gerät. Das sind die Momente, die ins Herz treffen und den Film tragen, auch wenn sich die Story hin und wieder zerfasert und zum Finale leider in ein allzu tränenreiches Schicksals-Melodram verwandelt.

Familienfest , Deutschland 2015 - Regie: Lars Kraume. Buch: Andrea Stoll, Martin Rauhaus. Kamera: Jens Harant. Mit: Günther Maria Halmer, Hannelore Elsner, Michaela May, Lars Eidinger, Jördis Triebel, Barnaby Metschurat. NFP, 89 Minuten.

© SZ vom 15.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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