Dostojewski:Raskolnikows Stimme

Körperlich wird man hineingezogen, wenn Sylvester Groth Dostojewskis Roman "Verbrechen und Strafe" liest. Wird als Hörer verstrickt in die Annahmen, Ausreden, Schlüsse seines Helden Raskolnikow, der Student und Mörder ist.

Von Jens Bisky

Kaum hat der junge Mann seine Kammer unter dem Dach des hohen, fünfstöckigen Hauses verlassen, um an einem außerordentlich heißen Abend ein altes Weiblein zu besuchen, spürt der Hörer eine Beklemmung, als läge die drückende Schwüle nicht allein über den Straßen Petersburgs, sondern auch über ihm. Dabei hat die Geschichte von "Verbrechen und Strafe" gerade erst begonnen. Noch ist der Mord nicht geschehen, mit dem der schlecht gekleidete Student Raskolnikow die Ordnung der Welt erschüttern wird, noch beherrschen ihn die herbeiphilosophierten Scheingründe nicht vollständig.

Aber Sylvester Groth liest Fjodor Dostojewskis Roman von der ersten Zeile an so, dass man sich körperlich ins Geschehen hineingezogen, im Wortsinn mit- und hin- und hergerissen fühlt. Er liest nicht laut, beinahe zu leise, als sei er gewohnt, mit sich selbst zu reden. Er liest langsam, bedächtig, als seziere er während des Sprechens die Sätze und prüfe, wie viel Macht er ihnen zugestehen wolle. Das ist eine ganz eigene Manier, weit ab von den Üblichkeiten und vertrauten Tricks des Hörbuchgewerbes. Einem Roman wie diesem, in dem die Handlung sich aus dem Monologisieren entwickelt, ist diese zurückhaltende, unaufdringlich nuancierende Art des Vortrags angemessen. Sie verstrickt den Hörer in die Sicht der Figuren, vor allem Raskolnikows, so wie dieser sich in seinen Annahmen, Ausreden und Schlüssen verfängt.

Fjodor Dostojewski: Verbrechen und Strafe. In der Neuübersetzung von Swetlana Geier. Gelesen von Sylvester Groth. Der Audio Verlag, Berlin 2917. 3 mp3-CDs, ca 24,5 Stunden, 49,99 Euro.

© SZ vom 21.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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