Dokumentation:Zweimal lebenslänglich

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Jens Söring nahm den Mord an den Eltern seiner amerikanischen Freundin auf sich, wie er sagt - später revidierte er die Aussage, wurde aber verurteilt. (Foto: Steve Helber/dpa/Associated Press)

Der Dokumentarfilm "Das Versprechen", nach SZ-Recherchen zum Fall Jens Söring, beschäftigt sich mit einem Justizskandal.

Von David Steinitz

Seit 30 Jahren, zwei Monaten und zwei Tagen sitzt der Deutsche Jens Söring im Gefängnis, erst in England, mittlerweile in den USA. Sein Urteil: Zweimal lebenslänglich für den Doppelmord am Ehepaar Nancy und Derek Haysom, die er im Frühjahr 1985 in einem Blutrausch in ihrem Haus in Lynchberg erstochen haben soll.

Im Jahr 2006 besuchte die SZ-Redakteurin Karin Steinberger den Häftling Jens Söring zum ersten Mal, denn es mehrten sich die Hinweise, dass die US-Behörden im Prozess gegen ihn eklatante Fehler gemacht haben könnten. Sörings Fall war zu diesem Zeitpunkt fast in Vergessenheit geraten: nur ein paar juristische Fachzeitschriften hatten sich zuletzt noch damit beschäftigt. Die Recherchen der Journalistin lösten ein großes Medienecho aus, genauso wie die weiteren Reportagen und Interviews, die sie in dieser Angelegenheit veröffentlichte.

Aus dieser Vorarbeit des letzten Jahrzehnts ist nun der Dokumentarfilm "Das Versprechen" entstanden, den Steinberger gemeinsam mit dem Filmemacher Marcus Vetter gedreht hat - ihre dritte Zusammenarbeit. Die Dokumentation, die am 27. Oktober im Kino anläuft, hatte nun ihre Weltpremiere auf dem Filmfest München als Eröffnungsfilm der Sektion "Neues deutsches Kino", wo er die heftige Kontroverse um den verworrenen Fall weiter anfacht.

Der Diplomatensohn Söring war in Asien, Europa und den USA aufgewachsen, 1984 bekam er ein Hochbegabtenstipendium der Universität von Virginia. Bei einem Orientierungsabend lernte er seine zwei Jahre ältere Kommilitonin Elizabeth Haysom kennen, die Tochter der späteren Mordopfer. Ein aufregendes, verführerisches Mädchen, das dem unerfahrenen Jungen sofort den Kopf verdrehte. Die beiden fingen eine fast schon obsessive Beziehung an, so stürmisch, wie es vielleicht nur bei der ersten großen Liebe möglich ist.

In der Nacht des 30. März 1985 kam Elizabeth zurück ins Hotelzimmer, in dem sie mit Jens wohnte und erzählte ihm, sie habe ihre Eltern im Drogenrausch getötet, wie Söring behauptet. Er habe daraufhin vor blinder Liebe beschlossen, den Mord auf sich zu nehmen. Zunächst flohen die beiden nach Asien und dann nach England, wo sie wegen Scheckbetrugs aufgegriffen wurden. Elizabeth wurde bald in die USA ausgeliefert, und auch Jens erklärte sich mit seiner Auslieferung einverstanden, weil die Behörden ihm garantierten, auf die Todesstrafe zu verzichten. Es folgten die Prozesse, bis heute sitzen beide in Gefängnissen, kaum 60 Kilometer voneinander entfernt.

Söring beteuert bis heute seine Unschuld, und auch wenn sich diese nicht einwandfrei beweisen lässt, so decken Karin Steinberger und Marcus Vetter in "Das Versprechen" doch erhebliche Verfahrensfehler auf. Wie konnte es zum Beispiel sein, dass ein Richter, der privat mit der Familie Haysom befreundet war, das Verfahren leitete? Zumal DNA-Tests mittlerweile ergeben haben, dass keine der Spuren am Tatort Jens Söring zuzuordnen sind.

Der Prozess gegen ihn war der erste, der in den USA live im Fernsehen übertragen wurde, die Filmemacher haben sich durch Stunden an Material gewühlt. Und rekonstruieren so mit Originalmaterial, aber auch durch ein langes Interview mit Söring im Gefängnistrakt einen Fall, den man auch jenseits der vermutlich nicht mehr auflösbaren Schuldfrage als Justizskandal bezeichnen kann.

© SZ vom 30.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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