Diskurs-Party:Besuch im Luftschloss

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Das Haus der Berliner Festspiele als "Palast der Republik". (Foto: Eike Walkenhorst/Berliner Festspiele/Immersion)

Im Haus der Berliner Festspiele sorgt ein Remake des Palasts der Republik für erhöhtes Debattenaufkommen: von "Revolution" und "Utopie" ist besonders oft die Rede.

Von Peter Laudenbach

Eine Denkmalschützerin hat die mit rotem Samt bezogenen Stühle, auf denen vor dreißig Jahren die DDR- Bürgerrechtler um runde Tische saßen, zu einem kleinen Denkmal aufgestapelt. Wie ein übrig gebliebener Rest der Geschichte stehen sie im Foyer des Berliner Festspielhauses. Auf der großen Bühne im Gebäudeinneren erklärt ein indischer Marxist, die G7 seien Mitte der Siebzigerjahre nur gegründet worden, um die politisch-ökonomische Durchsetzungsmacht der Länder der Dritten Welt zu brechen. Die amerikanische Philosophin Susan Buck-Morss warnt davor, im revolutionären Kampf entweder Waffengewalt oder Gesetzestreue zum Fetisch zu erheben. Der Staatsrechtler Bernhard Schlink bedauert, dass der am Zentralen runden Tisch der Bürgerrechtler entstandene Entwurf einer neuen DDR-Verfassung Makulatur wurde. Thomas Krüger, der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, denkt darüber nach, ob linker Populismus ein brauchbares Gegengift gegen rechten Populismus sein könnte. Und der linke Populist Yanis Varoufakis erklärt wieder einmal, dass unter dem Diktat des Neoliberalismus kein demokratisches Europa zu haben sei.

An steilen Thesen herrschte an diesem Wochenende im Haus der Berliner Festspiele kein Mangel. Für einige Tage hat sich das zum Debattenmarktplatz umfunktionierte Festspielhaus in aller Bescheidenheit zum Palast der Republik umbenannt.

Viele kluge (und einige nicht ganz so kluge) Köpfe denken über das große Ganze nach und darüber, dass alles auch ganz anders sein könnte. Die sehr lose Klammer, die diverse Podien, Kunstinstallationen, Reden, Performancedarbietungen, Filme und konfusen Tanztheatereinlagen zusammenhält, ist die Frage, was man von der DDR-Bürgerrechtsbewegung und anderen Aktivisten für heutige Kämpfe zur Verteidigung der Demokratie lernen könnte.

Überblendet werden das Kulturschaufenster West und das Repräsentationsgebäude Ost

Weil es sich nicht um eine sachliche Tagung, sondern ein Hochkulturbetriebereignis handelt, geht das nicht ohne rhetorischen Überschwang, ideologische Ausrufezeichen und jede Menge begrifflicher Unschärfen.

Die Seifenblasen-Vokabeln "Revolution" und "Utopie" dürften die am häufigsten bemühten Textbausteine dieser Diskurs-Party sein. Dabei gerät allerlei durcheinander, etwa wenn die US-Philosophin Susan Buck-Morss die antikommunistischen Demonstrationen im Osteuropa der Achtziger umstandslos mit den Occupy-Manifestationen und palästinensischen Anti-Israel-Demonstrationen parallelisiert. Auch sonst ist Buck-Morss für erstaunliche Volten gut. Folgt man ihrem Vortrag, offenbar eine Kurzfassung ihres im Mai erscheinenden Buches "Revolution Today", scheint sie etwa an Stalin vor allem zu stören, dass er in seiner Industrialisierungspolitik die kapitalistische Moderne imitiert hat. Spätestens an dieser Stelle ist man dankbar dafür, dass sich Frau Buck-Morss Wirkungskreis auf akademische Vorträge beschränkt.

An wagemutigen Zuspitzungen lässt es das bunte Palastprogramm nicht fehlen, und auch das Prominenzaufkommen ist mit Teilnehmern wie Bénédicte Savoy, Yanus Varoufakis, Bernhard Schlink oder den großartig verstrahlten Konzept-Rockmusik-Gesamtkunstwerk-Performern von Cheap hoch.

Die Behauptung, hier werde für einige Tage der Palast der Republik neu etabliert, ist natürlich ein geschickter Aufmerksamkeitsverstärker. Der echte Palast diente bis zum Mauerfall als Volksvergnügungsherberge und Sitz des DDR-Scheinparlaments, ein imposantes Schaufenster des Ostens mit Kegelbahnen, Restaurants, weitläufigen Foyers und stets wacher Betriebsschutzpolizei. Die Frage, ob Schließung und Abriss des Gebäudes nach der Vereinigung wirklich aus Gründen der Asbest- oder doch eher der Ideologievergiftung erfolgte, war eines der damals beliebten Feuilleton-Debatten-Themen. Jetzt wird auf dem einstigen Palastgelände hinter preußischen Schlossfassaden und kaum weniger ideologieverdächtig das Humboldt-Forum errichtet. Die Behauptung eines Palast-Klons kann man unschwer als skeptischen Kommentar zu dem lesen, was ihm folgte.

Bürgerrechtler von 89/90 bestechen durch Nachdenklichkeit, Offenheit

Der Palast-Wiedergänger hat sich lustigerweise mitten in der Westberliner Gemütlichkeit angesiedelt, im gutbürgerlichen Bezirk Wilmersdorf. Das Design ist apart: Dank der für die Großinstallation mit bronzefarbener Spiegelfolie bedeckten Glasfassade samt an ihr hängendem Ehrenkranz (allerdings ohne Hammer und Sichel), zeigt das Haus der Berliner Festspiele, ein luftig sachlicher Kasten der Nachkriegsmoderne, eine frappierende Ähnlichkeit mit dem Ostberliner Pedant. Wie der Palast waren die Berliner Festspiele eine Gründung des auch mit Mitteln der Kultur geführten Kalten Krieges, jetzt trifft das Kulturschaufenster West das Repräsentationsschmuckstück Ost in einer Überblendung. Das ist ein gelungener postideologischer Witz. Dass ideologisch gefestigte Neomarxisten wie die Benjamin-Expertin Susan Buck-Morss, ein Star im akademischen Feld, eingeladen werden, hier ihre revolutionsromantischen Runden zu drehen, hat eine eigene Ironie, für die der altmodische Begriff der "repressiven Toleranz" zu harmlos ist. Eher handelt es sich um das Vertrauen aller Beteiligten darauf, dass die kultiviert vorgebrachten Radikalismen garantiert folgenlos bleiben, aber das Diskurs-Event schmücken. So gesehen hat es etwas Beruhigendes, dass der als griechischer Finanzminister gescheiterte Yanis Varoufakis die Realpolitik gegen Theaterbühnen eingetauscht hat und auch das Palast-Wochenende mit einem publikumswirksamen Gastauftritt beehrt.

Der Fake-Palast ist ein Luftschloss, genau wie die gute alte Utopie, die imaginären "Allianzen für ein neues Europa" oder diverse "Dritte Wege", die ein Wochenende lang in ihm beschworen, gefeiert oder auch nur herbeigeschwurbelt werden. Dass es dem durch die Themenfelder von Treuhand bis Techno, von Rechtsstaat bis zur russischen Avantgarde surfenden Programm an Kohärenz fehlt, ist so eventtypisch wie unvermeidlich. Thomas Oberender, der in vielen Richtungen neugierige Intendant der Berliner Festspiele, hat sich den Debatten-Palast ausgedacht. Nicht weniger als eine Suche nach der "Geschichte der nicht eingelösten Möglichkeiten", ein "Labor der erweiterten Wahrnehmung" schwebt ihm vor. Drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall kann man ja mal fragen, ob der Weg zur staatlichen Einheit wirklich so alternativlos war und ob die anschwellenden Hassgesänge der vermeintlich oder real, ökonomisch oder kulturell Abgehängten auch etwas mit dieser Geschichte verpasster Gelegenheiten zu tun hat.

Weit ernsthafter als die Vorträge der Ideologielieferanten sind denn auch die Erinnerungs-Ausgrabungsarbeiten der damals am Versuch, aus der DRR ein demokratisches Land zu machen, Beteiligten. Bernhard Schlink berichtet, wie er 1990 als aus der Bundesrepublik kommender Jurist auf Einladung des runden Tisches am Entwurf einer neuen DDR-Verfassung mitgearbeitet hat. Mit wohltuender Sachlichkeit begründet der Rechtswissenschaftler, weshalb in seinen Augen statt des schnellen Beitritts zumindest der Versuch, mit einer gemeinsamen, für beide einstige Teilstaaten neuen Verfassung die Grundlage für ein wirklich "neues Deutschland" zu legen, sinnvoll gewesen wäre. Beeindruckend sind die Berichte der Bürgerrechtler, die vor dreißig Jahren versuchten, an den runden Tischen einen friedlichen Übergang zur Demokratie zu organisieren. Sie wurden nach der Wiedervereinigung von den im Machtkampf gut trainierten Realpolitikern schnell ins Abseits gedrängt. Hört man Tatjana Böhm vom Unabhängigen Frauenverband oder Bernd Gehrke von der Vereinigten Linken zu, kann man melancholisch werden: ihre nüchterne Nachdenklichkeit, Offenheit, ihr Insistieren auf Teilhabechancen und soziale Fairness hätten diesem Land und seinen Parlamenten in den letzen drei Jahrzehnten gutgetan.

© SZ vom 11.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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